Lokalsport

VfL-Pläne unter Beschuss

Kirchheimer Sportstudio-Betreiber geht gerichtlich gegen geplantes Vereinszentrum vor

Der VfL Kirchheim kommt nicht zur Ruhe. Gut vier Monate nach der scharfen Zäsur in der Fußball-Abteilung steht dem Verein juristischer Ärger ins Haus. Studiobetreiber machen Front gegen das geplante Sportvereinszentrum beim Stadion. Ein Kirchheimer Unternehmer will dem Verein gerichtlich seinen gemeinnützigen Status aberkennen.

VfL-Pläne unter Beschuss
VfL-Pläne unter Beschuss

Kirchheim. Noch existiert das neue Vereinszentrum des VfL Kirchheim nur auf dem Reißbrett. Es gibt keinen Bautermin, noch nicht einmal einen Grundsatzbeschluss, der belegt, dass das vier Millionen Euro schwere Bauvorhaben vereinsintern mehrheitsfähig ist. Was es inzwischen aber gibt, ist eine gerichtliche Klage, die das Projekt, wenn nicht zu Fall, so zumindest zeitlich in Verzug bringen könnte. Wann verfolgt ein Verein als Sport-Dienstleis­ter gewerbliche Ziele und stellt damit eine Konkurrenz zu privaten Anbietern dar? Diese Frage will Holger Mauch jetzt gerichtlich klären lassen. Der 55-jährige Betreiber des Gesundheitszentrums „Asahi“ im Gewerbegebiet Bohnau hat Klage beim Amtsgericht eingereicht mit der Forderung, den VfL Kirchheim aus dem Vereinsregister zu streichen.

Mauch ist seit 34 Jahren als Selbstständiger im Geschäft und behauptet: „Ich habe nichts gegen Wettbewerb, aber bitte mit fairen Mitteln.“ Die allerdings vermisst er in den Plänen für das neue Vereins­zentrum an der Jesinger Allee. Sein Argument: Das Vereinsangebot mit modernstem Trainings- und Wellnessbereich, großzügigen Öffnungszeiten und ebensolchen Mitgliedsbeiträgen sei von einem gewerblich betriebenen Sportstudio nicht zu unterscheiden. Einziger Unterschied aus seiner Sicht: Der ohnehin steuerbegünstigte Verein schultert diese Last mit finanzieller Unterstützung der öffentlichen Hand. Was den Unternehmer besonders wurmt: Über die an die Stadt zu entrichtende Gewerbesteuer unterstütze er auf Umwegen die direkte Konkurrenz.

Die Bedenken des Klägers sind nicht neu. Als die Pläne für ein Vereinszentrum konkreter wurden, wandte er sich vor eineinhalb Jahren bereits an Gemeinderat und Stadtverwaltung, um auf die Situation aufmerksam zu machen. „Ich fühle mich bis heute nicht ernst genommen,“ sagt Mauch, der die große Mehrheit seiner Branchenkollegen hinter sich wähnt. „Das sind seit Langem hier ansässige Firmen, die sich in ihrer Existenz bedroht sehen.“ Tatsächlich ist der beklagte Mangel an Chancengleichheit auch anderen ein Dorn im Auge. Marcus Kinkelin und Andreas Söll, beides Gesellschafter des erst vor Jahresfrist eröffneten „Körperwerks“ in der Innenstadt, haben mit einem offenen Brief an Rat und Verwaltung klar Stellung bezogen (siehe Artikel unten) und fordern vor allem die Stadt auf, ihre Rolle als Projektförderer „kritisch zu überdenken“.

Für Mauchs Rechtsbeistand, Dr. Christoph Franke, steht fest: „Was sich hier am Markt vollzieht, ist nicht rechtmäßig.“ Investitionsvolumen, Planung und Größe des Kirchheimer Vorhabens halte jedem gewerblichen Vergleich stand, behauptet er. Der Bielefelder Jurist spricht von einem bundesweiten Trend und rechnet fest mit einer Klagewelle, die damit erst ins Rollen komme. „Die Problematik ist spätestens jetzt bekannt“, sagt er. „Dem Beispiel werden weitere folgen.“

Beim Württembergischen Landessportbund (WLSB) in Stuttgart klingt das ganz anders. Der Verband ist wichtigster Motor und Förderer, wenn es darum geht, die Sportvereine fit für die Zukunft zu machen. Rund 320 000 Euro an Fördermitteln fließen ins VfL-Vereinszentrum, sollte es denn gebaut werden. Der WLSB leis­tet zudem Beraterdienste und steht den Vereinen planerisch und juris­tisch zur Seite. „Erfolgschancen gleich null“, findet Heinz Mörbe, Hauptgeschäftsführer des WLSB klare Worte im Kirchheimer Rechtsstreit. Er rät in der Sache zu mehr Gelassenheit. Ihm sei kein Fall bekannt, in dem ein Sportstudio jemals erfolgreich gegen einen Verein geklagt hätte, sagt er. Dass ein Verein einen hauptamtlichen Geschäftsbereich betreibe, sei völlig normal. Seinen gemeinnützigen Status berühre dies in keiner Weise. „Sonst müssten Sie auch dem FC Bayern oder dem VfB Stuttgart seine Gemeinnützigkeit absprechen“, meint der gelernte Jurist.

Eine vergleichbare Klage hat das Amtsgericht Böblingen mit Beschluss vom Dienstag vergangener Woche bereits abgelehnt und zu den Akten gelegt. Zankapfel war dort das geplante Sportvereinszentrum des TSV Waldenbuch, ein Vorhaben mit einem Finanzvolumen von knapp drei Millionen Euro, und auch dort war die Bielefelder Kanzlei von Chris­toph Franke mit dem Fall betraut. Der liegt jetzt beim Stuttgarter Oberlandesgericht als zuständige Beschwerde-Instanz und soll nun erneut geprüft werden.

Dass die Klage in Kirchheim die Pläne zumindest ins Stocken bringen könnte, fürchtet Mörbe nicht. „Es gibt keinerlei Grund, die Projektentwicklung deshalb auszusetzen.“ Ein Satz, den man bei den Verantwortlichen in Kirchheim vermutlich gerne hören wird. Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker muss im neuen Jahr einen Nachtragshaushalt vorlegen. Ob und in welcher Höhe die Stadt gegebenenfalls mit einer Bürgschaft einsteigt, muss in der Ratssitzung am 1. Februar ebenso geklärt werden wie die Grundstücksfrage. „Ich sehe die Dinge sehr gelassen“, meint die Rathauschefin. „Ein Rückschlag für das Projekt ist dies keinesfalls.“

Auch Doris Imrich, Vorsitzende des VfL Kirchheim und kraft ihres Amtes als Projektleiterin eingesetzt, verfiel nicht in helle Aufregung, als sie die Klageschrift am Freitag erstmals in Händen hielt. Sie vertraut auf das juristische Urteilsvermögen von VfL-Rechtsbeistand Gunther Frey, der gestern aufgrund mehrerer Gerichtstermine nicht für eine Stellungnahme zu erreichen war. Imrich erklärt die Zukunft des Vereinszentrums derweil zur Existenzfrage: „Wenn wir das Projekt nicht stemmen können“, sagt sie, „dann weiß ich nicht, wohin die Reise geht.“

Kommentar: Mehr Kante

Die Sache klingt paradox: Ausgerechnet eine Branche, der Marktanalysten eine goldene Zukunft versprechen, weil der physische Zerfall in einer unsicher gewordenen Welt das einzig Verlässliche ist und nichts näher liegt als der nächste Hexenschuss – ausgerechnet dort geht es mit harten Bandagen zur Sache. Gemach möchte man sagen, es ist genügend vom Kuchen für alle da. Beispiele gibt es genügend, die vor allem von Sportverbänden gerne ins Feld geführt werden, und die unter Vereinen und Privatanbietern von friedlicher Ko­existenz zeugen.

Doch ganz so einfach ist es nicht. Nach dem Abschied von der Mucki-Bude sind die Grenzen inzwischen bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Zwischen hoch qualifizierter Physio­therapie, leistungsorientiertem Athletik-Training und Kuschelsport in der Wohlfühl-Oase passt hinter ein und dieselbe Tür oft kein Blatt Papier. Bloß keinen Trend verpassen, schließlich gilt der Freizeitsportler des 21. Jahrhunderts als Erlebnis-Nomade, der schleunigst weiterzieht, wenn Langeweile droht. Was Privatanbieter wie Vereine zum Überleben brauchen, ist ein klares Profil. Weniger Einheitsbrei, mehr Kante zeigen bedeutet mehr Luft für alle. Ob entgeltliche Physiotherapie Vereinszweck ist, darüber lässt sich ebenso streiten wie über die Frage, ob der abendliche Lauftreff des Studios nicht besser im Verein aufgehoben wäre.

Unbestritten ist: Vereine als Wettbewerber werden auch in Zukunft eine Sonderrolle spielen. Dafür spricht ihr gesellschaftlicher Auftrag, der typisch deutsch sein mag, aus dem Gemeinwesen jedoch bisher nicht wegzudenken ist. Ob als Partner der Ganztagsschule, als integrative Kraft im Jugendbereich oder als Nährboden für den Spitzensport.

BERND KÖBLE