Teckbote: Herr Friedrich, ihr Kollege Winfried Kretschmann, der möglicherweise ihr künftiger Koalitionspartner wird, hat am Aschermittwoch ein Bündnis mit der Linken nicht ausgeschlossen. Was sagen Sie dazu?
Peter Friedrich: Die Linke wird den Politikwechsel in Baden-Württemberg nur erschweren oder unmöglich machen. Deswegen kämpfen wir dafür, dass die SPD so stark wird, dass wir eine rot-grüne Koalition führen können und dass die Linke im Landtag keine Rolle spielt. Es versteht sich allerdings von selbst, dass Demokraten miteinander reden müssen. Und wenn die Linke in den Landtag kommt, wird man auch mit ihr sprechen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass die Linke in Baden-Württemberg regierungsfähig ist.
Wie sieht der klassische SPD-Wähler aus? Gibt es ihn noch?
Es gibt Menschen in Baden-Württemberg, und zwar gar nicht so wenige, die schon immer SPD gewählt haben. Vor allem viele Frauen unterstützen die SPD – und das aus gutem Grund, wenn man sich anschaut, was für eine Landespolitik wir von der CDU erleben. Natürlich gibt es Wähler, die uns schon lange die Treue halten. Aber das Wählerspektrum ist mehr in Bewegung als je zuvor. Das merken alle Parteien. Insofern ist es unser Ziel, für alle Menschen ein Angebot zu machen und uns nicht, wie andere Parteien, auf Klientelinteressen zu konzentrieren.
In diesem Winter hoppeln die Autofahrer von einem Schlagloch zum nächsten. Gemeinden müssen Hallenbäder und Büchereien schließen. Können sich die Kommunen ihre Infrastruktur nicht mehr leisten?
Ich bin selbst aktiver Kommunalpolitiker und weiß: Es ist für die Kommunen sehr schwierig geworden. Wir haben im Landkreis Investitionsentscheidungen geschoben, weil uns durch das so genanntes Wachstumsbeschleunigungsgesetz der schwarz-gelben Bundesregierung wertvolle Einnahmen verloren gegangen sind. Nachdem wir unter der SPD-Bundesregierung ein kommunales Investitionsprogramm gestartet haben, müssen jetzt die Kommunen direkt vom Gaspedal auf die Bremse springen, weil Schwarz-Gelb den Kommunen die Gewerbesteuer zusammenstreicht und das Land die Städte und Gemeinden bei wichtigen Aufgaben im Stich lässt, zum Beispiel bei der Schulsozialarbeit oder beim Ausbau der Kinderbetreuung. Insofern werden es für die Kommunen zwei schwierige Jahre. Aber wir kämpfen dafür, dass die kommunalfeindliche Landespolitik am 27. März ein Ende findet.
In vielen Kommunen steht die Neuvergabe der Konzessionen für die Stromnetze an. Sollen die Kommunen ihre Netze zurückkaufen?
Jede Kommune muss schauen, ob das für sie wirtschaftlich machbar ist. Da steckt ja auch eine ganze Menge Know-how drin. Aber grundsätzlich sind wir dafür, die Stadtwerke zu stärken. Wir brauchen die Kommunen und die Stadtwerke als Partner für die Energiewende. Der Atomkompromiss hat die großen Konzerne und die ENBW über alle Maßen gestärkt und bereitet den kommunalen Energieunternehmen große Schwierigkeiten. Es wäre sinnvoll, das zurückzunehmen und eine dezentrale Umstellung zu erreichen. Nur wenn die Kommunen und die Bürger das selbst in die Hand nehmen, können wir den Umstieg auf die regenerative Energieversorgung schaffen.
Der baden-württembergische Mittelstand kann sich sehen lassen. Was muss die baden-württembergische Landesregierung, egal, wie sie nach der Wahl aussieht, tun, damit das auch noch in 20 Jahren so ist?
Es gibt drei große Aufgaben, um den Mittelstand zukunftsfähig zu machen. Das eine ist das Bildungsthema. Ich finde es verlogen, wenn man eine Fachkräftedebatte führt und vergisst, dass es viele hervorragend ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt, insbesondere Frauen, die nicht in dem Maße arbeiten können, wie sie es gerne würden, weil die Kinderbetreuung nicht funktioniert. Wir müssen aus den Talenten, die wir im Land haben, unsere Fachkräfte heranziehen und heranbilden. Zweitens müssen wir die Vergaberegelungen überdenken. Wir haben in Baden-Württemberg keine mittelstandsfreundlichen Vergaberegelungen. Es gibt große Vorhaben des Landes, die an Generalunternehmer ausgeschrieben und dann im europäischen Markt weitergereicht werden. Das hilft dem Mittelstand vor Ort aber nicht. Und die dritte Aufgabe ist der Bereich Forschung und Innovation. Wir haben in Baden-Württemberg eine gute Struktur an den Hochschulen, aber das Problem ist, dass es keine gute Übergabe von Forschung zu Entwicklung und dann zu Vermarktung gibt. Vielfach fehlen Strukturen, die gewährleisten, dass der Mittelstand tatsächlich von dem profitieren kann, was an unseren Universitäten und Fachhochschulen erforscht und erfunden wird.
Die FDP will die Gewerbesteuer abzuschaffen. Wie kann aus Sicht der SPD eine Reform der Gewerbesteuer aussehen?
Was wir schon immer vorschlagen, ist eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Das bedeutet, dass wir tatsächlich alle Betriebe am Ort mit reinnehmen sollten, auch die Freiberufler, also Steuerberater, Ärzte, Rechtsanwälte und so weiter. Wir haben in der Großen Koalition noch dafür gekämpft – das wurde jetzt in Teilen zurückgenommen – dass auch die Konzerne ihre Gewerbesteuer dort zahlen, wo der Gewinn tatsächlich entsteht, und nicht mit Verrechnungsmodellen den Gewinn ins Ausland oder an andere Standorte, wo die Steuer geringer ist, transferieren. Das wäre eine echte Reform, die den Kommunen helfen und die Gewerbesteuer verstetigen würde – im Gegensatz zu dem Modell der FDP, das dazu führen würde, dass in jeder Gemeinde ein anderes Steuerrecht gilt – mit einem Steuersenkungswettbewerb zwischen den Kommunen als Folge.
Wie denken die Menschen der Bodenseeregion über Stuttgart 21? Fühlen sich die Leute benachteiligt, weil zu viel Geld in das Prestigeprojekt fließt?
Es gibt eine ganze Reihe von Bahnstrecken bei uns, die stark entwicklungsbedürftig sind. So zu tun, als würde Stuttgart 21 alle verkehrspolitischen Probleme lösen, halte ich dann doch für ein wenig übertrieben. Aber wir profitieren in der Bodenseeregion durchaus von Stuttgart 21, zum Beispiel durch die schnellere Anbindung an den Flughafen. Wir haben den Flughafen Zürich in der Region, an den wir angebunden sind, wo wir aber gerne weniger Flüge haben möchten. Deshalb wäre es gut, wenn wir in einer besseren Taktung als heute nach Stuttgart zum Flughafen kämen. Aber in der Bodenseeregion interessiert die Leute eher die Situation des Bahnhofs vor Ort als Stuttgart 21.
Die Aussetzung der Wehrpflicht trifft viele soziale Einrichtungen schwer, die sich jahrzehntelang auf Zivildienstleistende verlassen haben. Wie kann diese Lücke geschlossen werden?
Man hätte den Freiwilligendienst erst entwickeln sollen, bevor man die Wehrpflicht aussetzt. Wichtig ist, dass die jungen Leute einen tatsächlichen Anreiz haben. Da geht es um die Vergabe von Studienplätzen, um Sozialversicherung, aber auch um Anerkennung durch die Gesellschaft. Die Freiwilligen müssen auf die Solidarität aller zählen können, anstatt vorgehalten zu bekommen, sie hätten jetzt auch noch ein halbes Jahr vertrödelt. Auch Qualifizierungen, die in der Zeit erworben werden, müssen anerkannt werden, zum Beispiel im pflegerischen Bereich. Das ist viel wichtiger als das Finanzielle. Denn was wir auf der anderen Seite nicht wollen, ist ein Heer von Freiwilligen, die als billige Arbeitskräfte die personellen Lücken im Gesundheitsbereich füllen.
Über Genmais wird immer wieder diskutiert. Welche Haltung nimmt die SPD ein zu weltweiten Patenten auf Saatgut oder das angestrebte Schweine-Monopol das amerikanischen Agrarriesen Monsanto?
Wir sind gegen Patente auf Lebensmittel, weil das der Versuch ist, sich den natürlichen Prozess des Lebens zum Geschäftsmodell zu machen. Patente sind auch nicht nötig, denn sie lösen keine Ernährungsprobleme. Im Gegenteil: Sie führen zu einer Verknappung, da eine Nachsaat oder Folgezucht nicht möglich ist. Schon heute bekommt man auf der ganzen Welt kaum noch Soja, das nicht genmanipuliert ist. Daran sieht man, dass da eine Entwicklung angestoßen wird, die nicht zurückzuholen ist. Dagegen kämpfen wir.
Der Kraftstoff E10 – ist das eine gute Idee oder das Ergebnis eines unausgegorenen, politischen Aktionismus?
Es ist das Ergebnis sehr erfolgreicher Lobbyarbeit, vor allem der Mineralölwirtschaft, der Automobilindustrie und eines Teils der Bauern. E 10 ist weder klimaschonend noch ist es gut für den Motor. Es ist schlicht der Versuch, für die Landwirtschaftsindustrie eine neue Einnahmequelle zu generieren. Aus gutem Grund hat Sigmar Gabriel als Umweltminister in der Großen Koalition E 10 gestoppt. Schwarz-Gelb hat es nun eingeführt. Die Regierung sollte jetzt aber nicht so tun, als seien die Probleme bei der Einführung ein reines Kommunikationsproblem. Es macht einfach keinen Sinn, nachwachsende Rohstoffe in so einem schlechten Verfahren zu verbrauchen. Wir brauchen erneuerbare Energien, aber nicht auf diesem Wege. E 10 bedeutet die Vernichtung wertvoller Rohstoffe an der Zapfsäule.
Sie kommen aus der schönen Bodenseeregion, Ihr Wahlkreis ist Konstanz. Sind die Sitzungswochen in Berlin eine Art Kulturschock oder genießen Sie das pulsierende Leben?
Ich bin überhaupt kein Großstadtmensch. Meinen Besuchergruppen sage ich immer: Das schönste Gebäude in Berlin ist der Flughafen Tegel. Ich mache gerne Politik in Berlin. Dort bin ich sozusagen auf Montage, aber am Bodensee bin ich daheim.
Die Fragen stellten Iris Häfner und Antje Dörr.
Zur Person
Geburtsdatum: 6. Mai 1972
Wohnort: Konstanz
Beruf: Diplom-Verwaltungswissenschaftler (Uni Konstanz)
Parteieintritt: 1980
Politische Ämter:
1992: Stellvertretender Landesvorsitzender Jusos Baden- Württemberg, ab 1997 Landesvorsitzender
seit 2005: Mitglied des Deutschen Bundestags, Ordentliches Mitglied im
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, Sprecher der Youngsters der SPD- Bundestagsfraktion
seit 2009: Generalsekretär der SPD Baden-Württemberg
Familie: verheiratet, zwei Kinder
„Die Linke ist nicht regierungsfähig“
