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„Es ist ein harter Weg“Info

Junge Asylbewerber drehen den Film „Leben in Deutschland – aus Sicht von Flüchtlingen“

Flüchtlinge in Kirchheim haben einen Film über ihre Flucht und das Leben in Deutschland gedreht. Die Dokumentation soll für das Schicksal von Flüchtlingen sensibilisieren und in Herkunftsländern über falsche Vorstellungen aufklären.

Junge Menschen aus Eritrea, Somalia, Afghanistan, Russland, Bosnien und anderen Ländern haben einen Film gedreht, der Einblicke
Junge Menschen aus Eritrea, Somalia, Afghanistan, Russland, Bosnien und anderen Ländern haben einen Film gedreht, der Einblicke in das Schicksal von Flüchtlingen bietet.Foto: Daniela Haußmann

Kirchheim. „Jeder denkt, in Deutschland ist alles besser“, erzählt Reshad. Der 17-Jährige flüchtete aus der zentralafghanischen Provinz Wardak in die Bundesrepublik. Sein Vater wurde von den Taliban erschossen. Seine Mutter und seine Schwester ertranken nahe der italienischen Küste, als ihr Boot kenterte. Ein Verlust, den er nie überwinden wird. Reshad ist einer von 18 jungen Flüchtlingen, die die VAOB-Klasse der Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule in Kirchheim besuchen. Die Abkürzung steht für „Vorqualifizierung Arbeit und Beruf ohne oder mit geringen Deutschkenntnissen“. Sie soll helfen, die Startchancen für Flüchtlinge in Deutschland zu erhöhen.

Reshad und seine Mitschüler drehten mit dem Kirchheimer Filmemacher Jan Hanicz die Dokumentation „Leben in Deutschland – aus Sicht von Flüchtlingen“. Das Projekt wurde von der Bruderhaus-Diakonie-Stiftung Gustav Werner und Haus am Berg angestoßen und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, vom Kreis Esslingen, von „Kultur macht stark“ sowie von „jep“ unterstützt. Der etwa 40 Minuten lange Film soll Ressentiments und Vorurteilen entgegenwirken, wie Friedrun Maute vom Fachdienst Jugend, Bildung, Migration der Bruderhaus-Diakonie erklärt. Der Film richte sich an Schulen sowie freie Träger und Einrichtungen im Landkreis, die in der Flüchtlingshilfe aktiv sind.

Der Film soll aber nicht nur hierzulande für das Schicksal von Flüchtlingen sensibilisieren. „Er soll auch in Herkunftsländern wie Marokko und Afghanistan gezeigt werden“, sagt Maute. „Natürlich eingebettet in Workshops, in denen sich die Teilnehmer damit auseinandersetzen, was sie brauchen, um ein gutes Leben zu führen, und welchen Preis sie bereit sind, dafür zu bezahlen.“

Reshad kennt die Vorstellungen, die viele seiner Landsleute vom Leben in den Industrieländern haben. Sie entsprechen nicht der Realität, sagt der junge Mann. „Mein Onkel, der in Afghanistan lebt, glaubt, dass ich reich bin, ein Auto habe, mir alles leisten kann“, erzählt er. „Wenn ich das richtig stelle, glaubt er, dass ich von meinem Reichtum nichts abgeben will.“ Dass man die Sprache lernen, sich in die Kultur einfinden und eine Ausbildung machen sollte, sei den meisten nicht bewusst. „Es ist ein harter Weg, bis man tatsächlich angekommen ist“, betont Reshad.

Gerade deshalb ist Mohammed von dem Filmprojekt begeistert: „Es räumt mit überzogenen Erwartungen auf und vermittelt ein realistisches Bild von den Strapazen der Flucht“, sagt der Eritreer, der Familie und Freunde zurückließ, weil er hoffte, in Deutschland ein besseres Leben zu finden. Der Weg in den Westen entwickelte sich zu einem Martyrium. In Libyen geriet er in Gefangenschaft. Seine Entführer drohten damit, ihn umzubringen, wenn sie nicht 3 000 Euro von seinen Eltern für seine Freilassung erhielten. Das Lösegeld konnte sein Vater nicht aufbringen. Trotzdem ließen ihn die Entführer am Leben. Sie zwangen ihn aber ein Jahr lang dazu, für sie zu arbeiten. Über Italien kam er schließlich nach Deutschland und Kirchheim.

Maria Scheiding, Schulsozialarbeiterin an der Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule, erzählt, dass die Interviews teilweise unterbrochen werden mussten, weil die Gespräche die Befragten im Alter von 14 bis 52 Jahren sehr aufgewühlt hatten. Für Jan Hanicz, der zum ersten Mal mit Flüchtlingen und ihrer Biografie in Berührung kam, gab es Momente, die ihn sehr bewegten. Er ist daher überzeugt, dass der Film auch die Vorstellung zurechtrückt, dass Flüchtlinge nur nach Deutschland kommen, um sich ins gemachte Nest zu setzen.

„Die Betroffenen haben zum Teil traumatische Erlebnisse und Erfahrungen gemacht. Viele können auch nicht in dem Beruf arbeiten, den sie in ihren Herkunftsländern ausgeübt haben“, erklärt Hanicz. So auch die 52-jährige Nadjma Qureshi, die in Pakistan Geografie studiert hat. „Jeder, der sein Land verlassen will, sollte hundertmal darüber nachdenken, bevor er es tut“, so Reshads Fazit.