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„Nerven sind die Kabel fürs Gehirn“

Unterrichtsbesuch an Schopflocher Zwergenschule
Unterrichtsbesuch an Schopflocher Zwergenschule

Lenningen. Kleinere und größere Kinder stampfen sich vor dem Schopflocher Schulhaus Schneeklumpen von den Schuhen. Andere schälen sich in der Garderobe bereits aus Handschuhen, dicken Jacken und Skihosen. Eine Viertklässlerin hilft einer Sechsjährigen dabei, die Winterstiefel auszuziehen. Die am höchsten gelegene Schule im Landkreis Esslingen ragt auch durch ihr einzigartiges Konzept aus der Schullandschaft heraus, denn im gesamten Bereich des Regierungspräsidiums Stuttgart gibt es keine zweite Zwergschule. In Schopfloch drücken die insgesamt 18 Erst- bis Viertklässler seit September gemeinsam die Schulbank – der einzige Ausweg, um die Schließung der Dorfschule trotz geringer Kinderzahlen zu verhindern.

Das zarte Bimmeln eines Glöckchens markiert den Start des Deutschunterrichts bei Resi Wörz. Die Schulleiterin ist auch für Musik, Technisches Werken sowie den Heimat- und Sachunterricht zuständig. Ihre Kollegin Edith Schildhabl unterrichtet die übrigen Fächer. „Im Verbund Mensch, Natur und Kultur sprechen wir uns ab, genauso bei Projekten“, sagt Resi Wörz. Wichtig ist den Kolleginnen auch, dass sie bei auffälligem Verhalten einzelner Schüler an einem Strang ziehen.

Alle Kinder versammeln sich im Kreis auf dem Boden. Wer nebenei­nander sitzt, spielt keine Rolle, ob erst vor einem halben Jahr eingeschult oder kurz vor dem Übergang in die weiterführende Schule. „Die Einser hatten eine Hausi. Wir wollen mal gucken, ob sie Blitzleser sind“, sagt Resi Wörz. Für einen Augenblick hält sie Karten mit Wörtern wie „Schere“, „Melone“ und „Roller“ in die Höhe. Den älteren Schülern fällt es sichtlich schwer, nicht reinzurufen. „Nix verraten. Wer‘s weiß, ist still!“, ermahnt die Lehrerin die Zweit-, Dritt- und Viertklässler. „Wir wollen mal gucken, ob eine Einser-Hand oben ist.“ Während draußen heraufziehender Nebel die Sicht versperrt, behalten im Klassenzimmer selbst die Kleinsten den Durchblick. Annika meldet sich. Sie hat „die Ameise“ erkannt. Lucie „die Schere“. Kommt ausnahmsweise doch keiner der Abc-Schützen auf die Lösung, dürfen die Älteren helfen.

Klassenweise gruppieren sich die Kinder in dem riesigen Raum, der dem Ort früher als Gemeindesaal diente, um Tische. Zweit- bis Viertklässler holen ihre Wochenpläne heraus. Resi Wörz setzt sich zu den Erstklässlern und teilt ihnen Arbeitsblätter zu den Blitzwörtern aus. „Die Erwachsenen haben ausgemacht, dass jeder gleich schreiben soll“, sagt sie zum Auftakt und erklärt den Kindern, welche Aufgaben sie zu erledigen haben. Nach dem Ausschneiden und Aufkleben der zugehörigen Bilder sollen die Kleinen die Wörter schreiben und anschließend durch das Aufklappen eines „Spickzettels“ überprüfen, ob sie es richtig gemacht haben. „Ihr seid eure eigenen Lehrer, verstanden?“

Die vier Zweitklässler haben inzwischen ihre Arbeitshefte herausgeholt. Resi Wörz fordert Luke auf, den Beispielsatz vorzulesen: „Ein Geburtstag für Kinder ist ein Kindergeburtstag.“ Nach dem gleichen Strickmuster sollen weitere Sätze formuliert werden. Schwungvoll flitzen die Stifte übers Papier, auf den Seiten füllt sich Zeile um Zeile. Taucht eine Frage auf, helfen sich die Kinder gegenseitig. In aller Ruhe erklärt ein Junge einem Mädchen den Unterschied zwischen „einer Puppe“, also „irgendeiner Puppe“, und „der Puppe“ im Regal zum Beispiel.

„Wie heißt das Nobelwort von Begleiter?“ Eine Viertklässlerin weiß Bescheid: „Das sind die Artikel.“ In Frontalunterricht nimmt Resi Wörz mit den Ältesten die einzelnen Wortarten durch. „Was ist das Besondere an Adjektiven? – Genau, man kann sie steigern.“ Beispielhaft probieren es die Kinder mit „lecker, leckerer, am leckersten“. Auf die Frage, was sie am leckersten finden, bilden sich unter den vier Schülern zwei Gruppen: Die einen favorisieren „Nutella“, die anderen „Leberkäs“.

Die Drittklässler wiederum beschäftigen sich mit Verben, deren Vergangenheitsformen, Lexikoneinträgen beziehungsweise mit zusammengesetzten Wörtern. „Handtasche ist zusammengesetzt aus Hand und Tasche“, sagt ein Kind und streicht dafür von Resi Wörz ein Lob ein. „Ja, das hast du gut gemacht.“

Die flinksten Erstklässler melden sich und präsentieren stolz ihre Wörterlisten. Beim „Roler“ vermisst Resi Wörz „den Zwilling“, also dürfen die Kinder die beiden Silben von „Rol-ler“ klatschen. „Weiß jemand, was ein Emer ist?“, fragt sie in die Runde. Auch der Aemer und der Aimer sind vertreten. Gemeinsam knobeln die Sprösslinge aus, dass der „Eimer“ vorne wohl doch ein „Ei“ benötigt.

Eine Dreiviertelstunde nach Unterrichtsbeginn wird es unruhig. Immer mehr Kinder verlassen ihre Plätze und unterhalten sich. Mozartklänge lassen aufhorchen – die Musik ist für die Schüler eindeutiges ­Signal dafür, wieder einen Kreis zu bilden. Bei der „Schlenkerpuppe“ lassen alle ihre Muskeln spielen. Gefordert sind jedoch vor allem die Älteren: Bei der Erklärung für die Nerven hat ein Junge ein plastisches Bild parat: „Das sind die Kabel fürs Gehirn!“