Dettingen. Mittwochnacht, 25. März, gegen 3.30 Uhr: Sechs Polizisten reißen den jungen Mann in einer Gemeinschaftsunterkunft in Dettingen aus dem Schlaf und legen ihm Handschellen an. Mit dabei ist ein Arzt, der den Eritreer angeblich mit Medikamenten ruhig stellt.
Der 19-Jährige wurde zum Frankfurter Flughafen gebracht. Von dort aus ging es mit dem Arzt nach Rom. Weni Araya aus Wendlingen gelang es, über Umwege mit ihm Kontakt aufzunehmen. Wie von ihr zu erfahren war, wurde der Eritreer in der italienischen Hauptstadt auf die Straße gesetzt und lebte zunächst mit anderen Flüchtlingen in einer Tiefgarage. „Zum Glück hat sich dann ein Pfarrer seiner angenommen“, kann Ursula Raichle vom AK Asyl erleichtert berichten. Dieser habe ihm eine Unterkunft zur Verfügung gestellt.
Es sei eine Menschenrechtsverletzung, dass man „ihn bewusst in die Obdachlosigkeit getrieben hat“, sagt Weni Araya. Und das, obwohl mehrere Gutachten bestätigt hätten, dass der junge Mann traumatisiert und suizidgefährdet ist. Die Wendlingerin hat selbst eritreische Wurzeln. Sie kümmert sich um die Flüchtlinge aus Eritrea, die in Dettingen untergebracht sind, hilft beim Übersetzen oder begleitet die Männer zum Arzt. Auch mit dem 19-Jährigen war sie vor Kurzem bei einer Amtsärztin im Esslinger Gesundheitsamt. Deren Diagnose: Der Mann ist reisefähig – vorausgesetzt, ein Arzt ist dabei. „Hätte die Ärztin gesagt, er gehört nicht abgeschoben, dann hätte man es auch nicht getan“, gibt Weni Araya zu bedenken.
Der Eritreer wurde aufgrund der Dublin-III-Verordnung nach Italien gebracht. Diese besagt, dass für einen Flüchtling der Staat zuständig ist, in dem er zuerst angekommen ist. Dies war im Falle des Eritreers Italien. „Dort ist man aber gar nicht in der Lage, sich um die vielen Flüchtlinge zu kümmern, die hier erstmals europäischen Boden betreten“, sagt Günter Blodau vom Dettinger AK Asyl. In Dettingen habe der 19-Jährige nach vierjähriger Flucht wenigstens ein kleines Stück Ersatzheimat und Geborgenheit gefunden. Er habe die Schöllkopfschule besucht und sei kein Wirtschaftsflüchtling. Auf seiner Flucht sei er im Sudan von einer Lösegeldbande mehrere Monate gefangen gehalten und gefoltert worden. „Sein Pech war, dass man ihm die Einreise über Italien nachweisen konnte.“
Von Libyen aus hatte es der junge Mann mit einem Schlepperboot, das mit 300 Menschen besetzt war, nach Lampedusa geschafft. In Italien weigerte er sich, Fingerabdrücke abzugeben. Er flüchtete und flog mithilfe eines Schleppers nach Frankfurt. „Dort kam er sofort in Abschiebehaft“, erzählt Weni Araya und betont, dass er bis dato nicht auf italienischem Boden registriert worden sei. Es sei also widerrechtlich gewesen, ihn zwei Monate später zurück nach Italien zu bringen, wo er sich erneut weigerte, sich mit Fingerabdrücken registrieren zu lassen. Ein Polizist verprügelte ihn daraufhin schwer, erzählt Weni Araya. Irgendwann habe er keine Kraft mehr gehabt. Er gab dem Druck nach und ließ ein Fingerprinting zu. Anschließend landete er auf der Straße und schaffte es im Sommer 2014, mit dem Zug nach Deutschland zu flüchten. Von diesem Zeitpunkt an lebte er mit 23 anderen Eritreern in Dettingen.
„Ich bin entsetzt und zutiefst betroffen über die Abschiebung des Eritreers“, sagt Günter Blodau. Die Politik rufe in allen Gemeinden zu ehrenamtlichem Engagement auf, um die Flüchtlingsproblematik bewältigen zu können. In Dettingen funktioniere dies hervorragend. Es gebe keine Akzeptanzprobleme, jetzt aber eine große Betroffenheit. „Warum wird durch solch unsinniges, kostspieliges und zutiefst unmenschliches staatliches Handeln den engagierten Menschen vor Ort ihre Bereitschaft und Motivation zerstört?“, fragt Blodau.
Er und die anderen Ehrenamtlichen haben den jungen Mann ins Herz geschlossen. Sie hoffen, dass er überlebt. „Ich weiß nicht, wie es weitergeht“, sagt Weni Araya. „Aber ich wünsche mir, dass er den Weg hierher zurück irgendwie schafft.“