Lokales

Böhmischer Ohrenschmaus

Literarisch-musikalische Soirée mit Bernhard Moosbauer und Jens Wollenschläger im Kornhaus

Kirchheim. Einen „böhmischen Ohrenschmaus“ hatten Bernhard Moosbauer und Jens Wollenschläger

anlässlich ihrer literarisch-musikalischen Soirée im Kirchheimer Kornhaus versprochen. Es gelang dem Barockexperten Moosbauer, mit seiner Lesung von Auszügen aus Jaroslav Hašeks Erfolgsroman „Der Brave Soldat Schwejk“ zeitgeschichtlichen Bezug herzustellen. Erschienen ist das Buch als Fortsetzungsroman im Jahr 1921. Jaroslav Hašek war Teil der Prager Bohème. Es heißt, er saß jeden Tag in der Kneipe, schrieb Satiren, die er bei Zeitungen ablieferte, um das Honorar gleich wieder zu vertrinken. Man spricht von 35 halben Litern Bier pro Tag.

Gleich zu Beginn des Romans wird Schwejk wegen vermeintlicher Kritik am in Sarajevo erschossenen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand festgenommen und in ein Irrenhaus gesteckt; dann aber aufgrund dort festgestellter „Blödheit“ bald wieder entlassen. In den Krieg ziehen muss er trotzdem, selbst wenn er sich im Rollstuhl zur Musterung schieben lässt. Rheuma hin, Blödheit her: Es geht zur Front. Aber erst einmal hilft Schwejk seinem Vorgesetzten dabei, dessen amouröse Abenteuer durchzustehen, um anschließend das Fahrgeld für den Zug zu versaufen.

Inmitten des als absurden Theaters gezeichneten Weltkriegs nimmt Schwejk – zum Unmut seiner Vorgesetzten und zur Freude der Leser – jeglichen Befehl allzu wörtlich, findet immer wieder Schlupflöcher, dem Kampfgeschehen zu entgehen und weiß zu jeder Frage, ebenso lakonisch wie subversiv, eine so gar nicht passende Anekdote zu erzählen. Zu entscheiden, ob er nun wirklich einfältig ist oder sich nur so stellt, um dem Schrecken der Schützengräben zu entkommen, bleibt dem Leser überlassen.

Wenn auch inzwischen eine gelungene Neuübersetzung des tschechischen Klassikers vorliegt, ist noch immer die Übersetzung der 1944 im Konzentrationslager Auschwitz ermordeten Grete Reiner stilprägend, die dem schelmischen Schwejk mit dem Kunstidiom des sogenannten „Böhmakelns“ ein sprachliches Gewand mit bleibendem Wiedererkennungswert auf den Leib schneiderte. Dies ist zugleich eine Steilvorlage für Bernhard Moosbauers komödiantisches Talent, der den subtilen wie situativen, die krisenhaften Signaturen seiner Zeit jedoch stets erfassenden Galgenhumor des Schwejk Kraft seiner Rezitation wunderbar zu transportieren wusste.

Dem literarischen Weltkriegstheater stellten Moosbauer und Wollenschläger barocke musikalische Schlachtengemälde zur Seite. Solche „Battaglien“ warten typischerweise mit diversen Instrumentaleffekten auf, etwa mit zum Fahnenappell rufenden Trompetensignalen wie sie auch in der Battaglia des Utrechter Meisters Jacob van Eyck zu hören waren, die Barockviolinist Moosbauer solistisch zu Gehör brachte. Mit rustikaler, das in den Kampf ziehende Fußvolk zeichnender Lautmalerei und mit siegesgewisser höfischer Prachtentfaltung wartete „The Battle“ aus der Feder des Shakespeare-Zeitgenossen William Byrd auf, das Jens Wollenschläger am Cembalo mit packender Motorik zu deuten wusste.

Mit der „Türkenschlacht bei Wien 1683“ widmeten sich beide Musiker einem für lange Zeit kollektiv erinnerten Datum; bezeichnete doch das osmanische Scheitern der zweiten Belagerung Wiens das ersehnte Ende der „Türkennot“, welche die europäische Christenheit bis dato politisch wie mental empfunden hatte. Die bildgewaltige, Anton Andreas Schmelzer zugeschriebene Sonate, stammt eigentlich aus dem Zyklus der sogenannten „Mysterien“-Sonaten des böhmischen Komponisten und Violinvirtuosen Heinrich Ignaz Franz Biber. Mit einem musikalischen Lamento, Variationen des Hamburger Städtischen Kapellmeisters Johann Schop über das seinerzeit ungemein populäre „Lachrimae“ von John Dowland, beschlossen die beiden Künstler einen Abend, der die Schrecken des Kriegs zwar nicht in realistischer Manier vor Augen stellte, aber ästhetische Reflexe präsentierte, deren bellizistischer Appell sich verändert haben mag, deren bildhafte Ausdrucksstärke jedoch ungebrochen ist.