Lokales

Das Ficker-Areal wird zur Wundertüte

Rechnerisch ist das Erlebniszentrum bereits voll - Im April beginnt die konkrete Planung

Das Ficker-Areal entpuppt sich als wahre Wundertüte: Das geplante Erlebniszentrum mit Lokalen und Großkino soll noch durch die Freie Kunstakademie komplettiert werden. „Frischen Wind“ spürt Stadtplaner Pohl durch Kirchheim wehen.

Das Fabrikgebäude der Otto Ficker A.G. prägt das Stadtbild von der Stuttgarter Straße aus. Dieser Anblick soll auch nach dem Umb
Das Fabrikgebäude der Otto Ficker A.G. prägt das Stadtbild von der Stuttgarter Straße aus. Dieser Anblick soll auch nach dem Umbau zum Erlebniszentrum erhalten bleiben. Foto: Deniz Calagan

Kirchheim. Projektentwickler Goll hat Grund zu Freude: „Wenn‘s alle ernst meinen, haben wir das komplette Areal schon verplant“, erzählt der Mann, der das ehemalige Fabrikgelände im Herzen Kirchheims zum Freizeitmagneten für alle Generationen machen will. Als Centermanager des Esslinger Dick weiß er, wovon er spricht. Das dortige Freizeit- und Erlebniscenter sei längst „generationslos“. - Ein Etikett, das durch und durch positiv gemeint ist: Vom Schüler bis zum Rentenalter nutze jedermann das Dick.

Ähnliches erhofft man sich fürs Ficker-Areal. Mit knapp 18 000 Quadratmetern ist es etwas kleiner als das Dick, dafür stehen die Gebäude weniger dicht. „Das Ficker-Gelände atmet mehr“, meint Goll euphorisch.

Die Euphorie teilt die Kirchheimer Verwaltungsspitze. Stadtplaner Gernot Pohl spricht von Dynamik in der Stadt: Das Ficker-Areal, das Steingauquartier, die Bruckmühle, der S-Bahn-Anschluss, die passende Bürgerschaft und das stimmige Hinterland gelten als Erfolgsgaranten für neue Entwicklungen. Menschen, die „Ideen, Geld und Gespür für gute Orte“ haben, geben sich nach Angaben von Gernot Pohl derzeit die Klinke im Kirchheimer Rathaus in die Hand. „Alles andere als 08/15“ ist das Ficker-Areal, für das jetzt als zusätzlicher Nutzer die Freie Kunstakademie Nürtingen im Gespräch ist. „Das ist eine Riesenchance für uns“, betont Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker. Sie hatte selbst zum Telefonhörer gegriffen, nachdem die Kündigung des jahrzehntealten Mietvertrags der Kunstakademie am Neckar publik geworden war. Im Gespräch ist unter anderem eine vernetzte Kunstakademie an mehreren Standorten, einer davon in Kirchheim.

„Junge Menschen strahlen auf die Stadt aus“, verweist die Stadtchefin auf die Erfahrungen mit den Studenten vom Pädagogischen Fachseminar. Die Freie Kunstschule passe ins Konzept der Schulstadt Kirchheim, aber auch zum Ziel, die Kunst aufzuwerten. Klar ist, dass es hier vor allem um Klasse statt Masse geht: Etwa 30 Studierende schreiben sich laut Pohl pro Jahr in der Kunstschule ein mit unterschiedlichsten Schwerpunkten. „Der eine baut im Lego-, der andere im Caterpillar-Format“, fasst der Stadtplaner zusammen. Für beides bietet die Wundertüte Ficker-Areal Platz. „Die Freie Kunstschule bereichert die Gesamtstadt und sorgt für einen gewissen kulturellen Standard“, lautet Pohls Resümee.

Der Planungszeitraum lässt noch Spielraum. Im April wird Eberhard Goll ein erstes „Flächenlayout“ im Gemeinderat präsentieren. Bis Ende nächsten Jahres werden die Gebäude noch vom Briefhüllenhersteller ­BlessOF genutzt. Für diese Firma hofft die Verwaltungsspitze, in Kirchheim eine neue, kleinere Bleibe zu finden.

Natürlich geht es auch im neuen Erlebniszentrum auf dem Ficker-Areal um mehr als Freizeitspaß. Die Oberbürgermeisterin rechnet mit etwa 300 Arbeitsplätzen. „Der Einzugsbereich für Kirchheim ist sehr gesund“, verweist Eberhard Goll auf das Lenninger Tal und den Weilheimer Raum. Dort überall ist seine „Zielgruppe“ angesiedelt, die ihre Freizeit im Ficker-Areal verbringen will. Genügend Parkplätze gibt es rundum, aber auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist die Anreise möglich. Die Innenstadt ist nur einen Steinwurf entfernt.

„Ich bin froh, dass wir die Verbindung durch die untere Max-Eyth-Straße haben“, sagt Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker mit Blick auf die neue Fußgängerzone und sieht ihre Verkehrspolitik bestätigt. Erste Pläne für eine Chocolaterie in der hier angesiedelten historischen Bruckmühle haben sich zwar zerschlagen, doch die Stadtverantwortlichen sind zuversichtlich, einen anderen Investor zu finden.

Auf großes Interesse stößt nach Aussagen von Gernot Pohl auch das Steingauquartier auf dem ehemaligen EZA-Areal. Bekanntlich sollen dort Wohnungen, Werkstätten und Läden entstehen. Pohl berichtet auch von Anfragen junger Familien. Auf die hat man nämlich ein besonderes Augenmerk. Schließlich liegt das Durchschnittsalter des Kirchheimers mit 43,1 Jahren klar über vergleichbaren Städten rundum, wie der Stadtplaner zu bedenken gibt. Dass sich auch junge Familien für das Steingauquartier interessieren, liegt sicher zum einen am anhaltenden Trend zur Stadt. Aber auch preislich kann das Areal aufgrund der Ausweisung als Mischgebiet mit klassischen Einfamilienhaussiedlungen konkurrieren. Was in nächster Nähe, nämlich auf dem Ficker-Areal, geschieht, verfolgen die Bauwilligen mit großem Interesse.

Kommentar: Höchste Zeit

Die Industrialisierung brachte im 19. Jahrhundert den Wohlstand in die Region. Jetzt sind es zentrumsnahe Baudenkmale aus dieser Zeit, die erneut Riesenchancen für Kirchheim bergen. Das Interesse seitens solventer Investoren scheint groß zu sein, ebenso die Nachfrage. Mit einem gebündelten Angebot an Großkino, Kletterhalle, Trendlokalen und mehr wird in Kirchheim das Rad beileibe nicht neu erfunden. Doch solch ein Angebot stößt in eine Marktlücke. Am Fuße der Teck ist man von Stuttgart ausgehtechnisch eben doch mehr als einen Katzensprung entfernt, S-Bahn hin oder her.

Das riesige Ficker-Areal, die kleine, aber feine Bruckmühle und die Brache auf dem EZA-Gelände bieten der Stadt die Chance zur Belebung und Verjüngung. Viele Angebote, auch die neu ins Gespräch gekommene Freie Kunstakademie, zielen auf die junge Generation. Das ist für Kirchheim eminent wichtig. Wenn Chancen bejubelt werden, offenbart dies oft auch Defizite. Die Stadt gilt derzeit wahrlich nicht als Eldorado für Teens und Twens. Statistisch liegt das Durchschnittsalter der Kirchheimer Bevölkerung über demjenigen vergleichbarer Städte im Umland, weshalb böse Zungen schon mal von „Oldie-City“ sprechen.

Wenn langfristig eine gute Mischung in Kirchheim entstehen soll, ist es allerhöchste Zeit für eine Verjüngung.