Lokales

Ein Jahr lang auf der Flucht

Der 15-jährige Ehsan aus Afghanistan ist nun in Kirchheim untergebracht

"Die Prinzessin und der afghanische FlŸchtling" Prinzessin spendet Esan einen Sprachcomputer
"Die Prinzessin und der afghanische FlŸchtling" Prinzessin spendet Esan einen Sprachcomputer

Kirchheim. Der 15 Jahre alte Ehsan stammt aus einem Ort in der Nähe von Herat, einer Stadt im westlichen Afghanistan. In seinem Heimatdorf

Heike Allmendinger

war zwar nichts von Krieg zu spüren, erzählt er. Doch seine Familie hatte Probleme – große Probleme. Ein 30 Jahre alter Mann habe seine damals 15-jährige Schwester heiraten wollen. „Aber sie wollte nicht.“ Der Mann lauerte der Familie auf, er wollte Ehsans Schwester „klauen“. „Er sagte zu mir: Ich mach dich tot“, erinnert sich der Junge. Seine Mutter suchte daraufhin Hilfe bei der afghanischen Polizei. „Aber sie hat gar nichts gemacht“, sagt Ehsan. Auch von seinem Vater konnte er keine Unterstützung erwarten. Ihn hatte er seit sieben Jahren nicht mehr gesehen.

Ehsans Mutter wandte sich dann an einen dem 15-Jährigen unbekannten Mann. „Sie hat mit ihm geredet“, erzählt der Junge. Kurze Zeit später begab er sich zusammen mit seiner Schwester, dem Unbekannten und vielen weiteren Menschen auf eine Reise. Seine Mutter hatte es veranlasst, dass die Kinder mit einem Lkw zunächst in die Türkei fuhren. Die Reise war beschwerlich. Ehsan und seine Schwester hatten wenig zu essen, in der Türkei mussten sie sich im Wald verstecken, erzählt er. Mit dem Schiff sollte es dann weitergehen nach Griechenland. Doch plötzlich gab es einen großen Tumult, eine Schießerei, viele Polizisten seien da gewesen. Ehsan verlor den Überblick, er wollte nur noch weg und flüchtete. Dabei wurden er und seine Schwester getrennt. Er verlor sie irgendwo in der Türkei.

Ehsan musste die Schifffahrt nach Griechenland dann alleine mit dem unbekannten Mann und den weiteren Flüchtlingen aus Afghanistan antreten. In Athen fand die Gruppe in einer Kirche Unterschlupf. Elf Monate lang hat Ehsan dort gelebt und auf seine Schwester gewartet. Doch sie kam nicht. Deshalb reiste der Junge mit dem Schiff weiter nach Frankreich und von dort aus mit einem Lkw nach Deutschland.

An der Autobahn bei Kirchheim wurde Ehsan abgesetzt. Der 15-Jährige irrte alleine durch die Teckstadt. Bei einem Passanten erkundigte er sich nach der Polizei und fand schließlich den Weg zu den Beamten, die ihn zur Stiftung Tragwerk brachten.

Das war vor acht Monaten. Seither ist Ehsan in der Kirchheimer Jugend- und Altenhilfeeinrichtung untergebracht. Dort erhält er nach seiner einjährigen Flucht viel Hilfe und Unterstützung. Er lernt die deutsche Sprache und besucht die Schule der Stiftung Tragwerk. Sein großes Ziel ist der Hauptschulabschluss. Später schwebt ihm eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker vor.

In Kirchheim gefällt es ihm gut, sagt Ehsan. Doch, wenn er erzählt, spürt man, dass ihm seine Mutter, seine Schwester und seine ganze Heimat fehlen. Die deutsche Sprache zu lernen, sei sehr schwierig. Außerdem hat der Junge mit Schlafstörungen zu kämpfen. Aber er freut sich über die Hilfe, die er erfährt, und darüber, dass er einen Freund gefunden hat: Ali – ein 17 Jahre alter Junge, der ebenfalls von Afghanistan aus nach Deutschland geflüchtet ist und bei der Stiftung Tragwerk Hilfe fand.

Ehsan weiß nicht, warum er ausgerechnet nach Kirchheim gebracht wurde. „Ich habe gesagt: Ich will nach Deutschland. Und dort egal, wohin.“ Sabine Maier, die bei der Stiftung Tragwerk für die Wohngruppen verantwortlich zeichnet, hat indes eine Vermutung: Sie glaubt, dass die Schlepper, mit denen Ehsan gereist war, in Kirchheim anhielten, weil sie wussten, dass es dort ein Heim gibt. „Aber das können wir nicht genau sagen“, fügt Sabine Maier hinzu. Für „unbegleitete Jugendliche“ sei die Rechtslage in Deutschland momentan recht gut, betont sie. In der Regel würde man die Jugendlichen nicht in ihr Heimatland abschieben.