Lokales

Familienzwist und Verkehrskontrolle

Teckboten-Serie „Nachtarbeiter“: Unterwegs mit einer Polizeistreife des Reviers Kirchheim

In einer Reportage-Serie stellt der Teckbote Menschen vor, die ihrer Arbeit nachgehen, wenn andere schlafen. Heute, zum Serienstart: Unterwegs in der Nachtschicht mit einer Polizeistreife des Reviers Kirchheim.

Reportage Nachtarbeiter, Polizeirevier KirchheimPolizei, Nacht, Streife, Streifenwagen,Rrathaus
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Reportage Nachtarbeiter, Polizeirevier KirchheimPolizei, Nacht, Kontrolle, Verkehrskontrolle
Reportage Nachtarbeiter, Polizeirevier KirchheimPolizei, Nacht, Kontrolle, Verkehrskontrolle

Kirchheim. Es ist Donnerstag, 21.24 Uhr und bitterkalt. Eine Brille liegt auf dem Gehweg einer Kirchheimer Ausfallstraße. Wenige Schritte davon entfernt kauert eine junge Frau auf dem Asphalt, hält den linken Arm fest an den Körper gepresst und schluchzt laut. Ein junger Mann läuft vor einem am Straßenrand geparkten Auto rauchend auf und ab. Eine Frau mittleren Alters kommt auf Polizeihauptkommissar Christian Cleve, 54, und Polizeiobermeister Alexander Radant, 36, zu und stellt sich als die Mutter der jungen Frau vor. Sie wollte ihre betrunkene Tochter in die Klinik nach Plochingen fahren. Doch die junge Frau habe im Fahrzeug herumgesponnen und habe in voller Fahrt aussteigen wollen. In ihrer Not und Ratlosigkeit rief die Mutter die Polizei und den Freund ihrer Tochter zuhilfe und wartete am Straßenrand auf beide. Dort eskalierte offensichtlich die Auseinandersetzung. Die Tochter schlug ihrer Mutter die Brille vom Gesicht und trat gegen die Beifahrertür des Wagens ihres Freundes. Das Ergebnis war eine Delle in der Tür und ein Sturz der Betrunkenen, bei dem sie sich den Arm brach.

Reportage Nachtarbeiter, Polizeirevier KirchheimPolizei, Nacht
Reportage Nachtarbeiter, Polizeirevier KirchheimPolizei, Nacht

Christian Cleve protokolliert den Vorfall und bittet per Funk das DRK, sich den Arm der jungen Frau anzuschauen. Die sitzt inzwischen rauchend auf der Bank am Gehweg und klagt über ihre Schmerzen im Arm.

21.31 Uhr. Cleve gibt beim Wachhabenden, in dieser Nacht ist es Polizeihauptmeister Ralf Schröpfer, die Situation durch und bittet um eine zweite Streife. Inzwischen haben DRK-Rettungssanitäter die renitente Tochter in ihre Obhut genommen und Erste Hilfe geleistet. Die angeforderte Streife fährt vor. Christian Cleve, der Dienstgruppenleiter der etwa neun Mann starken A-Schicht, berichtet kurz, was passiert ist und bittet die Kollegen, den Krankentransport zu begleiten.

Dann steigen Cleve und Radant wieder in den Mercedes Kombi E 220 CDI mit der blau-silbernen Sonderlackierung und fahren in Richtung Innenstadt.

21.36 Uhr. Die Polizeistreife steht jetzt in der Busparkbucht am Wachthaus und beobachtet den spärlich fließenden abendlichen Verkehr. Die beiden Polizisten winken einen Mini Cooper rechts ran und überprüfen die Fahrzeugpapiere, das Warndreieck und den Sanitätskasten. Alles okay.

Nachtschicht mit Warnweste und Kelle: Polizeihauptkommissar Christian Cleve (vorne) und Polizeiobermeister Alexander Radant bei
Nachtschicht mit Warnweste und Kelle: Polizeihauptkommissar Christian Cleve (vorne) und Polizeiobermeister Alexander Radant bei der Fahrzeugkontrolle am Alleenring.Fotos: Markus Brändli

21.47 Uhr. Auf dem dunklen Bahngelände hinter der AOK leuchten plötzlich Bremslichter auf und entfernen sich relativ rasch in Richtung Henriettenstraße. Alexander Radant gibt Gas. Die Bremslichter gehören zu einem Jeep, der jetzt eilig in eine Tankstelle einbiegt. Der Polizeiwagen hält hinter ihm an. Den Polizisten fallen die unterschiedlichen Kennzeichen am Heck auf. Cleve und Radant kontrollieren den Fahrer und lassen sich die Herkunft der Autoschilder erklären.

Bei McDonalds ist alles gespenstisch ruhig. Ebenso im nahen Industriegebiet. Da taucht aus der Dunkelheit ein „Ein-Auge“ auf. Die Polizisten halten den Golf an und kontrollieren Papiere und Pkw. Christian Cleve stellt einen Mängelbericht aus und reicht ihn dem jungen Mann am Steuer. Dann geht die Streifenfahrt im Kruichling weiter, langsam am Zaun eines beleuchteten Lkw-Parkplatzes entlang. Nichts bewegt sich auf dem Areal.

22.18 Uhr. Radant steuert den nördlichen Teil des großen Kirchhei­mer Reviers an, das von Wernau bis zur Schlatterhöhe reicht. Auch der Wernauer Bahnhof liegt wie ausgestorben da. Die nächste Station ist die Eishalle. Ein paar Gäste verlassen die Halle und gehen auf ihre Autos zu.

Die Streife fährt weiter und parkt nach wenigen Minuten auf dem Parkplatz des Spielkasinos im „Römerle“. Innen sitzen hauptsächlich Männer rauchend an den Spielgeräten und beäugen misstrauisch die blau uniformierten Eindringlinge. Von der Wirtin hören Christian Cleve und Alexander Radant keine Klagen. Wie auch? „Have fun and win!“ lautet das Motto der Veranstaltung.

22.46 Uhr. Der Streifenwagen ist inzwischen wieder in Kirchheim und fährt langsam an den Zapfsäulen der Tankstelle am Schlierbacher Dreieck vorbei. Der Innenraum ist noch beleuchtet und der Pächter winkt den Polizisten lachend zu. Alles in Ordnung.

Gegen 23 Uhr rollt der blau-silberne Mercedes Kombi auf den Parkplatz hinter dem Polizeirevier Kirchheim. Für Polizeihauptkommissar Christian Cleve und Polizeiobermeister Alexander Radant ist die erste Streifenfahrt in dieser Nachtschicht, die bis in die frühen Morgenstunden dauert, beendet. Pause nach rund zweistündiger Streifenfahrt.

„Der Nachtdienst ist eine anstren­gende Sache. Danach ist man erledigt“, berichtet Christian Cleve, der Mann mit den vier silbernen Sternen auf den Schulterklappen. Seit 1995 ist er Dienstgruppenleiter, koordiniert den Dienstplan und teilt die Streifen der A-Schicht ein.

Nicht immer verläuft die Nachtschicht, die um 19.30 Uhr mit der Übernahme beginnt, so ruhig. Cleve blättert im Dienstbuch. Vor allem an Wochenenden werden die Beamten zu Ruhestörungen, häuslicher Gewalt und Schlägereien gerufen. Und auch sonst haben die Polizisten rund um die Uhr gut zu tun: Ladendiebstähle, Wohnungseinbrüche, Sachbeschädigungen, Unterschlagungen, Verkehrsunfälle, Ölspuren sichern, Brände, Verkehrskontrollen, Unfallflüchtige ermitteln, Schwertransporte begleiten, Arbeits- und häusliche Unfälle aufnehmen, Vermisste suchen, Einsätze bei Demos und Umzügen, etwa an Fasnet, Albsteigen im Winter auf ihre Verkehrssicherheit hin überprüfen, Platzverweise aussprechen, Randalierer in ihre Schranken weisen, Firmenalarme, Tiereinsätze, nach Exhibitionisten fahnden, Amtsgerichtstermine; aber auch solch sensible Aufgaben wie Todesnachrichten überbringen, meist zusammen mit dem Nachsorgedienst. Hinzu kommen interne Dienste: Waffen reinigen, Fortbildungsveranstaltungen, Sport. „Und der verwaltungstechnische Aufwand hat in den letzten Jahren zugenommen“, bedauert Christian Cleve immer mehr „Schreibkram“. Die 41-Stunden-Woche der Polizeibeamten reicht dazu nicht immer aus. Überstunden sind vorprogrammiert.

Neue Formen der Kriminalität machen die Spezialisierung der Verbrechensbekämpfer notwendig. „Vor 20 Jahren hat doch kein Mensch an Internetkriminalität oder an Scheckkartenbetrug gedacht“, sagt der Poli­zeihauptkommissar. „Damals wurden auch noch keine Handys geklaut, weil‘s noch keine gab.“ Deshalb werden Polizisten geschult, deshalb gibt es in jedem Revier Spezialisten.

„Und noch eins: Die Qualität unserer Arbeit wird im Hinblick auf die Beweisführung immer wichtiger“, nennt Cleve einen weiteren Grund für stetige Fortbildung.

Die Aufgaben sind vielfältig. „Und wir könnten viel mehr machen, wenn ich mehr Personal hätte“, klagt der Schicht-Dienstgruppenleiter. „Vor allem an Wochenenden und bei Veranstaltungen.“ Doch auch die Polizei muss sparen und den schweren Gürtel mit Pistole, Handschließen, Schlagstock, Pfefferspray und Reservemagazin enger schnallen.

Und weil die Ordnungshüter über die Hälfte der Nachtschicht auf Streife verbringen, geht‘s gleich wieder raus zur zweiten Tour. „Es ist ständig jemand draußen. Mindestens zwei Streifen sind immer unterwegs“, sagt Christian Cleve und schlüpft in die signal-gelbe Warnweste über dunkelblauer Jacke und Schutzweste.

Still blickt der Mond vom Himmel. Ruhig verläuft für die beiden Polizisten die Fahrt durch die Nacht. Doch an Schlaf dürfen sie nicht denken. Neidvoll blicken sie hoch zum vorhangverhangenen Fahrerhaus des Brummilenkers aus Holland, der mit seinem riesigen Blumen-Lkw in der unteren Marktstraße parkt und pennt. Es ist Freitagmorgen, 1.59 Uhr. Noch dreieinhalb Stunden bis Schichtende.