Lokales

Innovationsschub oder Arbeitsplatzbetrug?

Pro- und Contra-Serie: Heute mit Joachim Kienzle, Südwestmetall, und Wolfgang Scholz, DGB

Joachim Kienzle fŸr S 21 Pro 6 Contra - Friedrichstrasse 36 Gšppingen
Joachim Kienzle fŸr S 21 Pro 6 Contra - Friedrichstrasse 36 Gšppingen
S¿21-Gegner Wolfgang ScholzFotos: Jean-Luc Jacques
S¿21-Gegner Wolfgang ScholzFotos: Jean-Luc Jacques

Pro: Der Geschäftsführer der Südwestmetall-Bezirksgruppe Neckar-Fils, Joachim Kienzle, wirbt vor der Volksabstimmung für den Weiterbau von Stuttgart 21. Dabei erwartet er für die Wirtschaft in Stuttgart und der Region einen ähnlich starken Innovationsschub, wie er vor rund 175 Jahren durch den Bau der historischen Eisenbahnlinie unter König Wilhelm I. von Stuttgart durchs Filstal und über die Schwäbische Alb nach Ulm ausgelöst wurde. Die Ansiedlungen der Maschinenfabrik Esslingen, der Firma Müller Pressen, Schuler, aber auch WMF sind dieser Eisenbahnlinie zu verdanken. „Es geht darum, ob wir den Mittleren Neckarraum mit Großprojekten wie Stuttgart 21 und der Neubaustrecke zukunftsfähig machen wollen oder nicht“, stellt Joachim Kienzle die rhetorische Frage. „Auch Stuttgart in seiner Kessellage wird einen enormen Schub bekommen. Die Investoren dort stehen in den Startlöchern.“

Deshalb fordert der Geschäftsführer der Südwestmetall-Bezirksgruppe Neckar-Fils die Menschen in Baden-Württemberg auf, bei der Volksabstimmung am Sonntag über die finanzielle Beteiligung des Landes am Bahnprojekt Stuttgart 21 „diese historische Chance“ zu nutzen.

„Wer am 27. November mit ‚Nein‘ stimmt, stimmt nicht nur für das Bahnprojekt, sondern auch für Verlässlichkeit und Rechtssicherheit in Baden-Württemberg“, sagt Joachim Kienzle.

Mit dem Votum „Nein“ lehnen die Bürger einen Ausstieg des Landes aus der Finanzierung von Stuttgart 21 ab und geben ein klares Bekenntnis zum Umbau des Bahnhofs und zur Realisierung der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm.

Joachim Kienzle weist darauf hin, dass sich Südwestmetall über die Landesvereinigung Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände an einer Kampagne beteiligt, die – unter anderem mit einem Kinospot – für die Fortführung des Projektes wirbt. „Stuttgart 21 ist ein wichtiges Infrastrukturvorhaben für unser wirtschaftsstarkes Bundesland“, sagt der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes. Es sei demokratisch legitimiert, und sowohl die Schlichtung als auch der Stresstest hätten die Leis­tungsfähigkeit des neu geordneten Bahnknotens bewiesen.

Ein Ausstieg aus dem Projekt würde den Landeshaushalt hingegen mit bis zu 1,5 Milliarden Euro belasten – ohne eine Gegenleistung. „Daher kann das Votum bei der Volksabstimmung nur ‚Nein‘ lauten“, betont Joachim Kienzle.

Durch eine klare Entscheidung gegen den Ausstieg könne es gelingen, den Konflikt beizulegen und wieder für ein bürgerschaftliches Miteinander im Land zu sorgen.

Erfreut zeigt sich Kienzle darüber, dass sich alle Parteien im Landtag einig waren, das Ergebnis der Volksabstimmung ohne Wenn und Aber anzuerkennen.

Contra: „Wenn Gelder in dieser Größenordnung für Stuttgart 21 vergraben werden, müssen sich Gewerkschafter zu Wort melden“, sagt der DGB-Ortsverbandsvorsitzende Wolfgang Scholz, wobei er freimütig gesteht, dass die DGB-Mitglieder in der Frage „Ausstieg Ja oder Nein?“ gespalten sind. Allerdings habe sich der DGB Region Stuttgart mehrheitlich gegen das Projekt S 21 und für eine aktive Mitarbeit im Bündnis „Ja zum Ausstieg“ ausgesprochen.

Die Arbeitsplatzversprechungen der Befürworter von Stuttgart 21 weckten natürlich auch unter Gewerkschaftern Hoffnungen. „Deshalb sind manche dafür.“ Kein Wunder, wurden doch anfänglich gigantische Zahlen genannt. 24 000 Arbeitsplätze sollte das Immobilien- und Bahnprojekt schaffen. „Danach ging‘s bergab. Die Zahl 17 000 stand im Raum und schließlich 10 000 Arbeitsplätze“, erinnert Wolfgang Scholz. „Was das für Arbeitsplätze sind, wird nicht gesagt.“ Er vermutet sie hauptsächlich im Verwaltungs- und Dienstleis­tungssektor.

Das unabhängige Institut für Marketing und Unternehmensberatung (IMU) analysierte die Beschäftigungswirkungen von Stuttgart 21 und kam zu dem Ergebnis, dass durch das Projekt nicht – wie behauptet – ein wichtiger „Jobmotor für die Region“ entsteht. Vielmehr sind die Beschäftigungswirkungen von Stuttgart 21 sehr bescheiden. Auf den für Dienstleistung ausgewiesenen Flächen könnten maximal 2 500 Arbeitsplätze angesiedelt werden. Scholz: „Flächen allein schaffen noch keine Arbeitsplätze.“

Der Kirchheimer DGB-Ortsverbandsvorsitzende befürchtet eine Verlagerung von Arbeitsplätzen innerhalb der Landeshauptstadt, wenn sich in dem neuen Areal Banken, Versicherungen und Kaufgeschäfte ansiedeln.

Während der Bauphase von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke rechnet das IMU-Institut mit 5 000 neuen Arbeitsplätzen, sagt Wolfgang Scholz und verweist gleichzeitig auf eine Erhebung des baden-württembergischen Bauwirtschaftsverbands, der davon ausgeht, dass nur 20 Prozent der Arbeitsplätze an Baden-Württemberger gehen.

„Das IMU-Institut hat errechnet, dass durch K 21 nicht weniger Arbeitsplätze geschaffen würden“, erklärt der Gewerkschafter und S 21-Gegner. Er bedauert, dass die IHK keine Zahlen zu neuen Arbeitsplätzen nannte.

„Wenn neue Arbeitsplätze geschaffen werden, legen wir Wert darauf, dass dies faire Arbeitsplätze sind und keine illegalen Billig­arbeitskräfte beschäftigt werden“, so Scholz. Er kritisiert die hohe Hürde des Quorums und ruft alle Bürger auf, am Sonntag ihre Stimme abzugeben. „Der Volksentscheid ist ein Erfolg für die direkte Demokratie und die Bürgergesellschaft.“