Lokales

Kranken Lebensqualität schenken

Der Sozialpsychiatrische Dienst Kirchheim feiert sein 25-jähriges Bestehen

Seit 25 Jahren berät und begleitet der Sozialpsychiatrische Dienst (SpDi) in Kirchheim Betroffene und Angehörige in den oft schwierigen Lebenslagen nach einer psychiatrischen Behandlung. Patienten und Mitarbeiter haben auf ihrem Hoffest einen eindrucksvollen Einblick in die Arbeit des SpDi gegeben.

25 J. Jubiläum des Sozialpsychiatrischen Dienstes - im Johannes-Busch-Gemeindehaus Kirchheim
25 J. Jubiläum des Sozialpsychiatrischen Dienstes - im Johannes-Busch-Gemeindehaus Kirchheim

Kirchheim. „Ich habe den Drang, alles zu kontrollieren“. – „Ich fühle mich isoliert, krank, abgestempelt“. – „Die ständigen Arztbesuche stinken mir“. – „Ich kann nicht gut sprechen“. – „Die Stimmen sagen: bring dich um, du bist nichts wert“. Mit jedem Satz legen die Männer und Frauen symbolisch einen Stein in ihren „Lebensrucksack“. Die Steine versinnbildlichen die Last, die ihre Krankheiten in den Leben der Schützlinge des SpDi darstellen.

Dorothee Ostertag-Sigler vom SpDi-Team erklärt, dass es das Ziel des Dienstes ist, die belasteten Frauen und Männer um einige ihrer „Steine“ zu erleichtern. Lächelnd nehmen daraufhin die Mitglieder der Kontaktgruppe wieder Steine aus dem symbolischen Rucksack und legen sie in einem Korb mit der Aufschrift „Sozialpsychiatrischer Dienst“ ab: „Ich werde akzeptiert, wie ich bin“. – „Die Menschen in der Kontaktgruppe machen mich froh“. – „Es tut mir gut, wie sich die anderen in der Gruppe um mich kümmern“. – „Die Gespräche helfen mir, mit meiner Krankheit zurechtzukommen“. – „In der Gruppe habe ich das Gefühl, dass ich als Mensch etwas wert bin“.

Nach einem gemeinsamen Essen zu den Klängen der Akustikgitarre des kurzfristig eingesprungenen David Braun von der Musikschule Hopf begann der offizielle Teil des Hoffestes zum 25-jährigen Bestehen des Sozialpsychiatrischen Dienstes Kirchheim.

Der Geschäftsführer des Kreisdiakonie-Verbandes, Eberhard Haußmann, gab einen Rückblick in eine Zeit, in der psychische Krankheit noch nicht, wie heute, verstanden und behandelt wurde. Er sprach von Unsicherheit, Leid, Angst, von Konzentrationslagern und Zwangsjacken.

Haußmann lobte, dass sich seit dem einiges geändert habe, betonte aber, man solle die Entwicklungen nach wie vor mit kritischem Auge betrachten. Außerdem kritisierte er die geänderte Finanzierung durch Land und Landkreis und gab zu bedenken, dass die Arbeit des SpDi auch Einsparungen mit sich bringe, weil er stationäre Aufenthalte verkürze oder sogar verhindere. Der Kreisdiakonie-Geschäftsführer machte sich große Sorgen um die notwendigen Geldmittel für die junge Organisation.

Michael Köber gratulierte im Namen des Landkreises zum Jubiläum und erklärte, die Hilfe müsse sich den Menschen anpassen und nicht umgekehrt: „Letztendlich geht es darum, dass Gesundung mit, ohne und trotz professioneller Hilfe möglich ist“.

Roland Böhringer grüßte im Namen der Stadt. Er sprach über den demografischen Wandel, der zukünftig mehr alte und auch mehr psychisch erkrankte Menschen erwarten lasse. „Deshalb sind Einrichtungen wie der Sozialpsychiatrische Dienst unverzichtbar“.

Dekanin Renate Kath erinnerte in ihrem Grußwort: „Es gehört zum Menschsein dazu, im Laufe des Lebens, manchmal auch längere Zeit, hilfsbedürftig zu sein und einander zu brauchen“. Sie wünschte dem SpDi weiterhin „das Herz und die Augen, auf die Menschen zu schauen und auf das, was sie benötigen“.

Ingrid Riedl, Leiterin der Diakonischen Bezirksstelle Kirchheim, beschrieb die Geschichte des 25 Jahre jungen Dienstes. In den 60er-Jahren, kümmerte sich Elisabeth Mögelin im Rahmen ihrer Tätigkeit als Bezirksfürsorgerin um psychisch erkrankte Menschen. 1973 gründete sie den „Patientenclub“, heute die Kontaktgruppe. So legte die damalige „Ein-Frau-Bezugsstelle“ den Grundstein für den heutigen Sozialpsychiatrischen Dienst.

Einzelgespräche, Hausbesuche, ambulant Betreutes Wohnen, Soziotherapie, eine Angehörigengruppe: Die Angebote des SpDi sind vielseitig. Besonders stolz ist der Dienst auf seine Kontaktgruppe und das zweimal in der Woche stattfindende „Busch­café“. Beides soll den seelisch erkrankten Menschen die Möglichkeit geben, sich gegenseitig kennenzulernen, zu unterstützen und ihre Freizeit gemeinsam zu gestalten.

Dorothee Ostertag-Sigel, Anja ­Kirschner, Ursula Path und Klaus Konzelmann beraten und unterstützen die psychisch kranken Menschen auf ihrem Lebensweg. Oft ist diese Arbeit anstrengend und belastend. Die Gründe, warum sie den Job trotzdem gerne machen, sind bei jedem Ehrenamtlichen und Angestellten andere. In einem Punkt waren sich aber alle einig: „Wenn man merkt, dass man Menschen wirklich hilft, wenn man ihnen mehr Lebensqualität schenken kann, dann lohnt sich die Arbeit“.

Gerda Klaus arbeitet seit 36 Jahren ehrenamtlich beim SpDi. Ihr ist wichtig, für psychisch kranke Menschen Zeit zu haben, ihnen zuzuhören, aber vor allem: ihr Sprachrohr zu sein. Man sei zu einer großen Familie zusammengewachsen.

Ich fühlte mich nur noch fremdbestimmt

Ganz still wurde es beim Hoffest des Sozialpsychiatrischen Dienstes (SpDi), als die 64-jährige Kirchheimerin Heidi H. allen Mut zusammennahm, um von ihrem Leben mit einer psychischen Krankheit zu erzählen.

Vanessa Frenz

Kirchheim. Die Rentnerin berichtete, wie sie nach der Geburt ihrer Tochter starke Zukunftsängste entwickelte. Dann kam sie zum ersten Mal in eine Klinik. Zu dieser Zeit lernte sie auch Elisabeth Mögelin von der Diakonischen Bezirksstelle in Kirchheim kennen. Sie half Heidi H., ihre Erwerbsunfähigkeitsrente zu beantragen.

Die psychische Gesundheit der jungen Frau verschlechterte sich aber weiter. Zwei Aufenthalte in psychosomatischen Kliniken folgten. Kurz ging es besser, aber dann wurden die Psychosen schlimmer: „Ich fühlte mich von meinen Nachbarn bedroht, sie bestimmten mein ganzes Leben“, erzählt sie, „Ich konnte dem nicht entrinnen, da sie durch die Wände dringen konnten“.

Die Kirchheimerin konnte nicht mehr in ihrem eigenen Bett schlafen. Sie erzählt, die Nachbarn hätten ihr Befehle gegeben, nachts aus dem Haus zu gehen oder bestimmte Lebensmittel nicht zu kaufen.

Während dieser Zeit erkannte die seelisch Erkrankte das Buschcafé des Sozialpsychiatrischen Dienstes Kirchheim als Rückzugsort: „Dort hatten die Nachbarn keinen Einfluss auf mich“.

Heidi H. zog um, aber das änderte nichts. Dorothee Ostertag-Sigler vom Sozialpsychiatrischen Dienst besuchte die Dame damals immer wieder und bot Hilfe an. Heidi H. wehrte sich jedoch. Sie bestand da­rauf, in ein Pflegeheim umzuziehen: „Ich dachte, dort habe ich meine Ruhe, werde versorgt und kann den ganzen Tag fernsehen. So stellte ich mir das vor“. Aber die Sozialpädagogin ließ nicht locker und brachte Heidi H. dazu, einen Arzt aufzusuchen. „Ich wusste gar nicht, warum ich da hingehen sollte, ich habe mich ja nicht krank gefühlt“, beschreibt die Rentnerin ihre damalige Situation.

Der Arzt verschrieb Heidi H. Medikamente, die dem Schützling des SpDi viele Ängste nahmen. Die Sozialpädagogin beantragte zudem ambulant Betreutes Wohnen, einen Pflegedienst und Essen auf Rädern. Heidi H. gewann ihre Lebensfreude zurück: „Die Nachbarn waren auf einmal viel netter und boten mir auch Hilfe bei der Kehrwoche an.“

Vor einigen Jahren bekam Heidi H. Probleme mit ihrem Rücken und mit Schwindelanfällen. Ihre Betreuerin vom SpDi ging mit ihr von Arzt zu Arzt, ohne Ergebnis. Also organisierte sie der Rentnerin einen Rollator und eine Haushaltshilfe. „Mein Wägele war meine Rettung. Dadurch fühle ich mich viel sicherer, und die Schmerzen waren weg. Und meine Haushaltshilfe, die Antuanet, ist Gold wert“, schwärmt Heidi H..

Die Studentin des Sozialpsychiatrischen Dienstes, Damaris Eisinger, kümmerte sich zu dieser Zeit zusätzlich um die psychisch Kranke, übte laufen mit der Rentnerin, um ihr ihre Angst davor zu nehmen.

Mit der Diakonie konnte Heidi H. auch ihre Wohnung renovieren und bekam neue Möbel und eine Waschmaschine. „Ich fühle mich zu Hause wieder wohl“, lächelt sie. „Ich weiß nicht, was ich ohne die Kontaktgruppe, das Buschcafé und das ambulante Betreute Wohnen machen würde“, schließt die 64-Jährige.