Lokales

Motiv ist weiterhin unklar

Nach der Messerstecherei sind drei Tatverdächtige in Haft

Nach der Messerstecherei im Kirchheimer Asylbewerberwohnheim sind drei Tatverdächtige in Haft.  Foto: Jean-Luc Jacques
Nach der Messerstecherei im Kirchheimer Asylbewerberwohnheim sind drei Tatverdächtige in Haft. Foto: Jean-Luc Jacques

Einen Tag nach der tödlichen Messerstecherei im Asylbewerberwohnheim herrscht unter den Flüchtlingen Angst, Betroffenheit und Wut. Einer der Tatverdächtigen war als aggressiv bekannt. Unterdessen hat die Polizei drei der Männer wegen Mordes und Mittäterschaft in Haft genommen.

Antje Dörr

Kirchheim. Jutta Vodic müsste sich heute eigentlich zerreißen. Laufend stehen Menschen vor der Bürotür der AWO-Sozialarbeiterin, die die Flüchtlinge in der Kirchheimer Unterkunft betreut. Menschen, denen die Angst ins Gesicht geschrieben steht. „Sie sagen, dass sie sich hier nicht mehr sicher fühlen“, sagt Jutta Vodic. Andere berichten, dass sie oder sogar ihre Kinder die tödliche Messerstecherei gesehen haben, bei der gestern ein Mensch starb. Jutta Vodic telefoniert dann mit Ärzten oder Psychotherapeuten, versucht für die Asylbewerber Termine zu bekommen. Anderen hört sie einfach nur zu. Aber sie kann die Gefühle, die der Mord ausgelöst hat, nicht alle auffangen. Ob, und vor allem wann Psychologen geschickt werden, konnte der Sprecher des Landratsamts gestern nicht sagen.

Am Nachmittag meldet die Polizei Neuigkeiten. Mittlerweile gehen die Beamten von drei Tatverdächtigen aus. Einer ist der 19-jährige Algerier, der mit einem Küchenmesser mehrmals auf seinen 22-jährigen türkisch-kurdischen Mitbewohner eingestochen hat. Gegen ihn wurde Haftbefehl wegen Mordes erlassen. Außerdem wurden zwei 19 und 26 Jahre alte Männer, deren Staatsangehörigkeit noch ungeklärt ist, festgenommen. Die Ermittler gehen derzeit davon aus, dass sie den Algerier bei der Tat unterstützt haben. Gegen sie wurde Haftbefehl wegen Mittäterschaft erlassen. Alle drei Tatverdächtigen befinden sich nun im Gefängnis. Warum es zu der tödlichen Messerstecherei kam, ist weiterhin unklar. Die Polizei weiß nur, dass es bereits in der Nacht zuvor Streit zwischen einigen der Beteiligten gab.

Im Asylbewerberwohnheim ist Said Amiri eingetroffen. Er ist Mitglied des Arbeitskreises Asyl, kennt viele der Flüchtlinge persönlich. Amiri berichtet von einer „großen Nervosität“ unter den Bewohnern des Heims. „Viele haben nun Angst, dass die Öffentlichkeit denkt, sie wären alle so“, sagt Amiri. Andere haben die Messerstecherei beobachtet und kämpfen nun damit, die Bilder wieder aus dem Kopf zu bekommen. Said Amiri weiß, dass viele der Flüchtlinge aus ihren Herkunftsländern trau­matisiert sind, weil dort Gewalt an der Tagesordnung war. „Wenn man dann so etwas sieht, kommt natürlich alles wieder hoch.“

In der Alten Wäscherei setzt sich Said Amiri mit ein paar Flüchtlingen zusammen, lässt sie erzählen. Alle sind Männer, und viele sind sehr aufgebracht. Die Spekulationen, warum es zu der Messerstecherei kam, gehen wild durcheinander. Die einen sehen Streitigkeiten zwischen Volksgruppen als Grund für die Auseinandersetzung, andere beklagen, dass verschiedene Nationen gemeinsam in einem Zimmer leben müssen. Der junge Kurde, der bei der Auseinandersetzung verletzt worden ist, sagt, dass sein Mitbewohner – einer der Tatverdächtigen – schon vorher aggressiv gewesen sei. Offenbar war einer der Tatverdächtigen für kurze Zeit in der Psychiatrie, wurde jedoch schon nach kurzer Zeit wieder entlassen.

Am Ende meldet sich ein junger Iraner mit ausgezeichneten Englischkenntnissen zu Wort. Er sagt, dass er es leid sei, auf vier Quadratmetern zu hausen, ohne Privatsphäre, ohne Arbeit oder Perspektive. Er spricht es nicht aus, aber zwischen den Zeilen klingt es deutlich heraus: Wenn Menschen unter solchen Bedingungen zusammenleben müssen, steckt darin Sprengstoff. Und zwar nicht zu knapp.

Der Arbeitskreis Asyl veranstaltet am heutigen Samstag um 11 Uhr eine kleine Trauerfeier im Flüchtlingswohnheim. Wer Interesse hat, ist willkommen.