Lokales

Nach der Taufe droht das Martyrium

Die Kirchheimer Martinskirchengemeinde setzt sich für iranische Gemeindemitglieder ein

Für den Glauben sterben: Das Martyrium ist in Europa eigentlich längst Geschichte. Einer iranischen Familie, die seit anderthalb Jahren in Kirchheim lebt, könnte aber genau dieses Schicksal drohen – sollte der Asylantrag endgültig abgelehnt und die Familie in den Iran abgeschoben werden.

Iran
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Andreas Volz

Kirchheim. Die Familie besteht aus Vater Ali, 36, Mutter Masoumeh, 30, und den beiden Töchtern, noch nicht ganz vier Jahre und noch nicht ganz ein Jahr alt. Anfang Februar 2011 hat sich die Familie erstmals bei einer deutschen Ausländerbehörde gemeldet, zwei Wochen später hat sie ihren Asylantrag gestellt. Im August 2011 haben sich die Eltern mit der Frage, ob sie getauft werden können, an Jochen Maier gewandt, den Pfarrer der Kirchheimer Mar­tinskirchen­gemeinde. Nach intensiven Gesprächen zur Vorbereitung auf die Taufe hat Pfarrer Maier die vierköpfige Familie im Dezember getauft – zusammen mit weiteren Flüchtlingen aus unterschiedlichen Ländern, die ebenfalls den christlichen Glauben annehmen wollten.

Die Gespräche über den Glauben sind auch nach der Taufe fortgesetzt worden, berichtet Helmut Maisch, der Erste Vorsitzende des Kirchengemeinderats. Er selbst ist gemeinsam mit Jochen Maier und Marianne Gmelin am „Asylantenkreis“ der Martinskirche beteiligt. Die Gruppe besteht aus rund 15 Personen. Es geht darum, dass Flüchtlinge die Hintergründe des christlichen Glaubens, der Rituale und Feste kennenlernen können. Die iranische Familie, der nun die Abschiebung droht, sei aber nicht nur in diesem Kreis aktiv, betont Helmut Maisch. Sie besuche auch fast jeden Gottesdienst und sei zu einem festen Bestandteil der Gemeinde geworden.

Zur Begründung für den Übertritt sagt Helmut Maisch: „Die sind von ihrem eigenen System enttäuscht. Dort sind sie schikaniert worden.“ Auslöser für die Flucht im Januar 2011 sei ein Streit mit den Behörden gewesen. Dabei war es um ein Haus gegangen, das Ali eigentlich geerbt hatte. Der Streit mit einem Religionswächter sei handfest geworden: Am Ende saß der Familienvater sieben Monate im Gefängnis, wobei Folterungen durchaus üblich seien, wie Helmut Maisch erzählt. Kurz bevor er sich nach der Entlassung erneut im Gefängnis hätte melden müssen, hat der Mann gemeinsam mit seiner Familie die Flucht ergriffen.

Helmut Maisch hat sich aus mehreren Gründen als Ansprechpartner zur Verfügung gestellt – zum einen wegen seines Engagements in der Kirchengemeinde. Dann gibt es noch seine innere Überzeugung, „dass wir als Christen die Fremdlinge nicht bedrücken dürfen“. Und schließlich weiß er selbst, was es bedeutet, in anderen Ländern und Kulturen zurechtzukommen. Beruflich hat er insgesamt 16 Jahre im Ausland verbracht: im einstigen Jugoslawien, in Spanien, China und – im Iran. Drei Jahre lang war er in Tabriz für seinen deutschen Arbeitgeber bei einer Motorenfabrik tätig. Tabriz ist eine Stadt mit rund 1,5 Millionen Einwohnern, gelegen im Nordwesten des Iran, zwischen der türkischen Grenze und dem Kaspischen Meer.

Als sich 1998 abzeichnete, dass Helmut Maisch in den Iran gehen würde, war sein erster Eindruck ein Bild in der Zeitung, das eine Hinrichtung in Teheran zeigte: „Da haben die mit einem Autokran jemanden aufgehängt.“ Auch wenn das nicht gerade der beste Eindruck war, ist Helmut Maisch trotzdem aufgebrochen. Als er von Teheran nach Tabriz weiterflog, saß neben ihm ein junger Sicherheitsoffizier, der ihn fragte, was er vom iranischen System und vor allem von der Kleiderordnung halte.

Dass die Kleiderordnung insbesondere für Frauen strikt ist, weil sie eine Vollverschleierung verlangt sowie Gewänder, die fast bis zu den Knöcheln reichen, dürfte allgemein bekannt sein. Aber auch für Männer gebe es eine Art Einheitskleidung, sagt Helmut Maisch. Beispielsweise müssten sie ganzjährig lange Ärmel tragen und dürften keine Krawatten anlegen. Das ist im Vergleich zur Frauenkleidung zwar eher harmlos und auch für Europäer wesentlich einfacher zu befolgen, aber trotzdem handelt es sich um eine vorgeschriebene „Gleichmacherei“, die der Kirch­heimer vor seinem eigenen kulturellen Hintergrund nicht wirklich akzeptieren kann – auch wenn ihm nichts anderes übrigblieb, als sich daran zu halten.

Zum Sicherheitsoffizier im Flugzeug sagte er deshalb: „Bei uns hat sich das anders entwickelt. Wir haben ganz andere Erfahrungen gemacht. Bei uns gibt es auch keine Trennung von Männern und Frauen in der Öffentlichkeit.“ Anschließend hat ihm sein Gesprächspartner die eigene Position klargemacht, wobei sich keinerlei Annäherung der Standpunkte abzeichnete. „Ein anderer Mann braucht meine Frau nicht zu sehen“, sagte der junge Mann und machte deutlich, dass er seine Frau komplett als sein Eigentum betrachtet.

Die Behandlung der Frauen hat Helmut Maisch häufig empört: Wenn sich zehn Frauen in einem Laden angestellt hatten und ein Mann kam herein, dann wurde dieser Mann sofort und vor allen anderen bedient. Wenn ein Religionswächter auf einem öffentlichen Platz auf sich aufmerksam machte, tasteten sofort alle Frauen nach ihrem Gesicht, um sicherzustellen, dass nicht irgendwo ein winziges Härchen versehentlich noch zu sehen sein könnte. „Selbst alte Frauen haben ihren Stock fallen lassen, um mit beiden Händen kontrollieren zu können. Die hatten richtig Angst.“

An einem anderen Punkt ähnelt die Unfreiheit der Biedermeierzeit in Mitteleuropa: „Junge Menschen wollten gerne mit uns reden und einmal ihr Englisch in der Praxis testen. Das war durchaus möglich. Aber sobald wir ein paar Sekunden stehengeblieben sind, hieß es sofort: ,Weiterlaufen!‘ Sonst wäre es eine nicht ge­nehmigte Versammlung gewesen.“

Freiheiten lassen sich allenfalls im Privaten genießen. Private Einladungen seien deshalb auch recht häufig – obwohl auch da noch Spitzel zugegen sind. Über die Gastfreundschaft der Iraner lässt Helmut Maisch ohnehin nichts kommen: „Egal, wo wir hinkamen, haben uns wildfremde Menschen zum Tee oder sogar zum Essen eingeladen.“ Wenn er sich nun also für die iranische Familie in Kirchheim einsetzt, möchte er damit auch ein Stück der Gastfreundschaft zurückgeben, die er selbst erfahren hat.

Im Norden des Iran hat Helmut Maisch auch armenische Kirchen gesehen. Die christlichen Armenier genießen im Iran tatsächlich so etwas wie Religionsfreiheit. Ganz anders sieht es mit Muslimen aus, die zum Christentum konvertieren. Nach strenger Gesetzesauslegung, die auf archaischen Prinzipien beruht, droht ihnen die Todesstrafe. Vor diesem Schicksal steht möglicherweise auch die Familie, die in Kirchheim und an der Martinskirche Zuflucht gesucht hat.

Vor Gericht geht es morgen darum, dass die Familie belegen kann, nicht aus taktischen Gründen, sondern aus innerer Überzeugung zum Christentum übergetreten zu sein. Nur dann besteht die Chance, dass dem abgelehnten Asylantrag vielleicht doch noch stattgegeben wird. Die Martins­kirchengemeinde möchte ihre Mitglieder unterstützen und mit einer größeren Gruppe zum Gerichtstermin nach Stuttgart fahren. Treffpunkt ist um 12 Uhr am Kirchheimer Bahnhof.