Lokales

Rachefeldzug Kurden gegen Türken

Moderate Jugendstrafen

Nach über fünfmonatiger Hauptverhandlung hat das Landgericht gestern einen Schlussstrich unter die brutalen Vorgänge der „Nürtinger Musiknacht“ gezogen und die neun jugendlichen Kurden wegen gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Landfriedensbruch zu relativ milden Jugendstrafen zwischen zwei und drei Jahren verurteilt.

Nürtingen. Der Forderung der Staatsanwälte, die Jugendlichen auch wegen versuchten Mordes in vier Fällen abzuurteilen, kamen die Richter der 3. Großen Kammer gestern nicht nach. Die beiden zur Tatzeit 19- und 20-jährigen Kurden aus Nürtingen und Esslingen müssen drei Jahre in den Jugendstrafvollzug, von denen sie allerdings bereits ein Jahr durch die Untersuchungshaft verbüßt haben.

Vier weitere 18- bis 21-jährige Mittäter, aus Nürtingen, Stuttgart und Leutenbach kamen mit Jugendstrafen von zweieinhalb Jahren glimpflich weg, wobei auch diese Strafen nicht zur Bewährung ausgesetzt wurden. Ein 21-jähriger Stuttgarter Schüler muss zweieinviertel Jahre verbüßen, während der Rest der Bande mit Jugend-Bewährungsstrafen von jeweils zwei Jahren plus Teilnahme an einem Anti-Gewalt-Training belegt wurden.

Dass der Überfall in der Nacht zum 8. Mai letzten Jahres auf die Gäste des türkischen Lokals in der Nürtinger Bahnhofstraße kein versuchtes Morddelikt war, begründete der Jugendkammervorsitzende damit, dass die Angeklagten zwar Schläge mit Knüppeln, Stangen und Teleskopschlagstöcken verabreichten, doch rechtzeitig damit aufhörten, ehe es schwere gesundheitliche Folgen mit einer möglichen Billigung des Todes für die Opfer gab und zudem die Verletzungen nicht lebensgefährlich waren. Das Ganze habe als eine Art „Einschüchterung“ gedient.

Festgestellt hat das Gericht, dass die nächtliche Abreibung in einem kleinen Anlass vom 1. Mai den Ursprung hatte. An jenem Tag hatte es vor der Gaststätte Streit zwischen türkischen und kurdischen Jugendlichen gegeben. Der türkische Gastwirt verjagte die Kontrahenten, die sich zuvor dort auch geprügelt hatten und von denen beim Weggang ein Türke zurückrief: „Ich ficke alle Kurden!“ Dies, so der Richter, sei eine direkte Beleidigung gegen alle Kurden gewesen. Vor allem gegen die, die sich dann am Abend des 8. Mai in einem kurdischen Vereinsheim in Cannstatt trafen und dort das weitere Vorgehen planten.

Der „Rachfeldzug“, der gegen den Nürtinger Gastwirt und seine türkischen Gäste gerichtet war, habe dann gegen 23 Uhr stattgefunden, wobei die teils vermummten Angreifer in zwei Gruppen durch die Innenstadt zu dem Lokal stürmten, bewaffnet mit Schlagstöcken, Pflastersteinen, Flaschen und einem Stahlrohr. Wer im Einzelnen die Waffen hatte und einsetzte, habe die Strafkammer nicht ermitteln können, sagte der Richter gestern im Urteil.

Das Gericht stellte fest, dass bei dem nur 30 Sekunden langen Überfall vier Personen teilweise durch Schläge und Fußtritte erheblich verletzt wurden: Kopfplatzwunden, Prellungen an Armen und Rücken, einer wurde bewusstlos, ein anderer verletzte sich beim Sprung über einen Drahtzaun. Die Ärzte des Nürtinger Krankenhauses hatten alle Hände voll zu tun, die Verletzten zu versorgen. Das Motiv sei eindeutig gewesen: „Rache“. Dies habe bereits im Ermittlungsstadium ein einstiger Mitbeschuldigter und zuletzt als Zeuge vorgesehener PKK-Aktivist gesagt. Vor Gericht jedoch schwieg dieser Zeuge.

Alle Angeklagten hatten in den letzten Wochen Geständnisse abgelegt, aber eine Tötungsabsicht bestritten, die allerdings der Staatsanwalt anzweifelte. Erst jetzt konnte sich die Strafkammer mit dem Ankläger und den Verteidigern auf eine Linie einigen, sodass gestern bereits nach der Verkündung der Urteile feststand, dass die Stuttgarter Staatsanwaltschaft keine Revision einlegen wird. Bei zwei der Verurteilten hat das Gericht anhand einschlägiger Vorstrafen „schädliche Neigungen“ angenommen, aber deren Entschuldigungen und Bereitschaft zu Schmerzensgeldzahlungen an die Opfer strafmildernd berücksichtigt.