Lokales

Religion soll keine Rolle spielen

Arbeitskreis Asyl fordert von der Gesamtkirchengemeinde mehr Unterstützung für Flüchtlinge

Der Arbeitskreis Asyl fühlt sich von der Gesamtkirchengemeinde bei der Betreuung der rund 250 Flüchtlinge in Kirchheim zu wenig unterstützt. Die Arbeitskreismitglieder fordern die Gemeindemitglieder auf, allen Flüchtlingen zu helfen – unabhängig davon, ob sie Christen oder Muslime sind.

Sprache als Schlüssel zur Integration: Ein Mitglied des Arbeitskreises Asyl gibt einer Gruppe von Flüchtlingen Deutschunterricht

Sprache als Schlüssel zur Integration: Ein Mitglied des Arbeitskreises Asyl gibt einer Gruppe von Flüchtlingen Deutschunterricht.  Archivfoto: Jörg Bächle

Kirchheim. Der Konflikt schwelt seit einiger Zeit. Bei einer gemeinsamen Informationsveranstaltung des Arbeitskreises (AK) Asyl und der Gesamtkirchengemeinde in der Auferstehungskirche kam nun alles auf den Tisch. Auslöser war der Fall einer christlich-iranischen Familie, der im vergangenen Herbst für Wirbel gesorgt hatte. Die Familie, die in der Martinskirche Taufunterricht erhalten hatte und schließlich zum christlichen Glauben übergetreten war, sollte abgeschoben werden. Daraufhin erfuhr sie ein gewaltiges Maß an Solidarität, an die 50 Gemeindemitglieder begleiteten die Flüchtlinge ins Verwaltungsgericht.

Seitdem gärt es im AK Asyl. Nicht, weil er der Familie die Anteilnahme nicht gönnt. Sondern weil sich die Arbeitskreismitglieder ein solches Maß an Unterstützung auch für die anderen 250 Flüchtlinge wünschen, die in der staatlichen Unterkunft in Kirchheim auf den Abschluss ihres Asylverfahrens warten. Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren gestiegen, viele Menschen brauchen Hilfe in ihrem Asylverfahren oder im Alltag. „Warum finden keine Gemeindemitglieder den Weg in unser Asylcafé oder in unseren Arbeitskreis?“, brachte AK-Mitglied Marianne Gmelin den Kernvorwurf auf den Punkt.

Zwischen dem AK Asyl und der Gesamtkirchengemeinde gibt es im Grunde viele Berührungspunkte. Der AK Asyl besteht nicht nur, aber überwiegend aus Christen. Er hat mit Marianne Gmelin sogar eine Kirchenbezirksbeauftragte für Asyl. Der AK hat den Anspruch an sich selbst, alle Flüchtlinge zu unterstützen. „Für den AK steht das Engagement für den einzelnen Menschen im Mittelpunkt, egal welcher Nationalität oder Religion er ist“, sagte Marianne Gmelin. Dieselbe Einstellung wünscht sich der AK auch von den Mitgliedern der Martinskirchengemeinde und der anderen Gemeinden. „Wir fragen uns: Warum berührt das Schicksal einer vom Islam zum Christentum konvertierten Familie die Menschen so sehr? Welche Rolle spielt die Religion als Kriterium für das Recht auf Asyl?“, sagte Marianne Gmelin.

Laut Susanne Haag, Asylpfarrerin in Reutlingen, sollte die Religionszugehörigkeit der Flüchtlinge überhaupt keine Rolle spielen. In der Diakonie sei es gute Praxis, alle Menschen zu unterstützen – unabhängig von Religion und Herkunft. „Wir kümmern uns um Menschen in Not, und zwar aus unserem Glauben he­raus“, sagte Susanne Haag.

Tatsache ist: Die Martinskir­chengemeinde kümmert sich um jene Flüchtlinge, die den Weg in ihre Gemeinde finden. Und das sind Christen, keine Muslime. Die iranische Familie, die zum Christentum konvertieren wollte, erhielt von Pfarrer Jochen Maier Taufunterricht. Auch nach der Taufe riss der Kontakt nicht ab. „Ich wollte nicht, dass die Taufe das Ende ist. Also haben wir uns monatlich zu einem Gesprächskreis getroffen“, berichtet Jochen Maier. Dieser Kreis bestehe bis heute, weitere Iraner, die sich in Kirchheim taufen haben lassen, sind hinzugestoßen. „Die meisten besuchen sehr regelmäßig den Gottesdienst – viel eifriger als viele andere“, sagte Jochen Maier.

Der Pfarrer der Martinskirchen­gemeinde gab allerdings zu, dass das nicht reicht. „Wir tun zu wenig, um den Menschen zu helfen. Wir brauchen mehr Kontakte ins Asylbewerberwohnheim“, sagte Jochen Maier. Allerdings sehen das offenbar nicht alle Gemeindemitglieder so. „Wir haben uns um unsere Gemeindemitglieder gekümmert“, verteidigte Helmut Maisch, der Vorsitzende des Kirchengemeinderats an der Martinskirche, die Unterstützung der Gemeinde für die iranische Familie. „Das ist unsere Aufgabe. Und der AK Asyl hat eine andere Aufgabe.“

Der Weg zu einem gemeinsamen Engagement für Flüchtlinge wird also nicht einfach werden. Einen Anfang will die Martinskirchengemeinde laut Pfarrer Maier spätestens beim Sommerfest im Wohnheim machen, das im Juni stattfindet. Gemeindemitglied Willi Kamphausen, der die Diskussionsrunde moderierte, war allerdings dafür, schon vorher aktiv zu werden. „Der AK Asyl sollte möglichst bald einladen, damit gemeinsame Vorschläge erarbeitet werden können“, sagte er. Bereitschaft zum Engagement signalisierten auch Yakub Kambir, der Vorsitzende der Sultan Ahmet Moschee, sowie der Pastor der Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde, deren Mitglieder sich schon heute teilweise im AK Asyl engagieren.

Glaubenswechsel und Asyl

Laut Rechtsanwalt Stefan Weidner haben iranische Asylbewerber, die in Deutschland zum Christentum konvertieren, gute Chancen, als Flüchtlinge anerkannt zu werden. Der Grund: „Wer als Konvertierter in den Iran zurückgeschickt wird, wird unter Umständen mit dem Tode bestraft.“ In anderen Ländern würden Christen zwar auch verfolgt und unterdrückt, aber nicht zwangsläufig getötet. Deshalb erkennen die meisten Verwaltungsgerichte nur bei Iranern den Glaubenswechsel als Asylgrund an. Stefan Weidner glaubt allerdings nicht, dass dieser Umstand von Asylsuchenden missbraucht wird. „Die Zahl der Fälle, in denen der Glaubenswechsel der Asylgrund ist, ist sehr klein.“ Wenn Pfarrer merken, dass es den Täuflingen nicht ernst ist, können sie die Taufe auch verweigern. Asylpfarrerin Susanne Haag findet es wichtig, dass die Pfarrer die Flüchtlinge über die möglichen Konsequenzen aufklären und darauf hinweisen, dass eine Taufe nicht unbedingt zum Erfolg im Verfahren führt.adö