Lokales

S 21: Am Tiefbahnhof scheiden sich die Geister

Pro- und Contra-Serie: Heute mit Kreisrat BM a.D. Hermann Bauer, FW, und Kreisrätin Marianne Erdrich-Sommer, Grüne

S¿21-Befürworter Hermann Bauer
S¿21-Befürworter Hermann Bauer
S¿21-Befürworter Hermann Bauer
S¿21-Befürworter Hermann Bauer

Pro: Weilheims Ex-Bürgermeis­ter Hermann Bauer, der für die Freien Wähler im Kreistag sitzt, beschäftigt sich bereits seit 30 Jahren mit der Hochgeschwindigkeitstrasse Wendlingen-Ulm und intensiv damit seit den 90er-Jahren.

„Es war klar, Stutt­gart 21 ist ein zusammenhängendes Projekt mit Tiefbahnhof und Neubaustrecke“, das umweltfreundlich ist und wesentliche Verbesserungen für den Nahverkehr im Landkreis Esslingen mit sich bringt. Hier führt Hermann Bauer die Verbindung der Messe und des Flughafens an und nennt die verkürzten Fahrzeiten im Regionalverkehr, sei es aus Richtung Tübingen-Nürtingen oder aus Ludwigsburg oder Backnang. Für den Fernverkehr halbiert sich nahezu die Fahrzeit auf der Strecke Stuttgart-Ulm. Jetzt benötigt der ICE für diese Route 54 Minuten. Wenn die Hochgeschwindigkeits­trasse fertig ist, erreichen die schnellen Hirsche Ulm in 28 Minuten.

Auch auf anderen innerstädtischen Strecken, etwa nach Frankfurt oder Köln, verkürzen sich die Fahrzeiten. Die Bahn gewinnt an Attraktivität, „es gibt weniger Inlandsflüge und weniger Verkehr auf der Autobahn“, sieht Hermann Bauer weitere Vorteile. Deshalb versteht Weilheims früherer Bürgermeister nicht, weshalb die Grünen S 21 ablehnen. „Das ist eigentlich ein grünes Projekt.“ 100 Hektar ehemalige Gleisfläche werden zu Park, zu Wohn- und Dienstleistungsflächen in 1A Lage. „Das schont Flächen im Umfeld und in der Region.“

Für ihn als Mann der kommunalen Selbstverwaltung ist es wichtig, dass Stuttgart 21 demokratisch zustande gekommen ist. „Es waren jeweils Dreiviertel-Mehrheiten dafür. Gerichte haben das Projekt überprüft und die Presse hat es von vielen Seiten durchleuchtet wie kein anderes Projekt zuvor.“ Und die geologischen und hydrologischen Risiken seien beherrschbar, meint der Kommunalpolitiker und verweist auf bereits gebaute Tunnels in Stuttgart.

Ein Vertragsbruch seitens der grün-roten Landesregierung hätte fatale Auswirkungen auf die Industrie und den Wirtschaftsstandort Stutt­gart. „Die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit steht auf dem Spiel“, so Weilheims Bürgermeister a. D. Auch für die Kommunen hätte das Auswirkungen. „Für die kommunale Seite wäre ein Ausstieg das falsche Signal“. Der Schaden würde rund 1,5 Milliarden Euro betragen – „für Nichts.“ Und vom Planungsverfahren her wäre man wieder beim Stand Null, denn es gebe von der Landesregierung keinen Alternativplan. Außerdem müsste der jetzige Kopfbahnhof zum Betrag X renoviert werden.

Aus all diesen Gründen bittet der altgediente Weilheimer Bürgermeis­ter und Kreisrat der Freien Wähler die Bürger, dass sie „auf jeden Fall“ am Sonntag zur Volksabstimmung gehen. Hermann Bauer empfiehlt mit „Nein“ zum Kündigungsgesetz zu stimmen.

Contra: Marianne Erdrich-Sommer, Vize-Chefin der Grünen im Kreistag, spricht sich aus hauptsächlich zwei Gründen gegen Stuttgart 21 aus, wobei sei aber betont: „Die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm halte ich für eine wichtige Verkehrsanbindung, egal wie sie letztendes verläuft, weil Baden-Württemberg sonst gegen­über anderen Fernzugstrecken echt benachteiligt wäre.“ Am Stuttgarter Kopfbahnhof hält sie aus ganz praktischen Gründen fest. „Ich war schon immer der Meinung, dass der Kopfbahnhof für den Bahnkunden des öffentlichen Nahverkehrs und der Fernzüge ein einfacheres und bequemeres Umsteigen ermöglicht. Die Chance, in einen falschen Zug einzusteigen, ist geringer.“

Zum anderen verweist sie auf Erfahrungen andernorts, „wenn ich für ein Projekt sehr viel Geld in die Hand nehme, fehlt es im ganzen Land für Nahverkehrsverbindungen.“

Dann kommt Marianne Erdrich-Sommer auf die durch die Protestbewegung 2009 und Anfang 2010 initiierte „neue Qualität der Diskussion“ und ihre Auswirkungen zu sprechen. Nach der Diskussion und den Entscheidungen in den entsprechenden parlamentarischen Gremien kam die Stuttgarter Bevölkerung und sagte, sie bezweifle, dass das die richtigen Entscheidungen für Stuttgart seien. Diesem Protest schlossen sich immer mehr an, weit in das bürgerliche Lager hinein. Für die Grüne Wendlinger Kreisrätin ist es die Frage, „ob ich gegen solch einen großen Protest einfach parlamentarische Entscheidungen durchdrücken kann.“

Um bei diesem Volumen an Geld und dieser gigantischen Baustelle, die auf die Stuttgarter zukommen wird, nicht über den Bürgerwillen hinwegzugehen, ist für Marianne Erdrich-Sommer die Volksabstimmung die richtige Antwort. Dabei findet es die Fraktionsvize der Grünen im Kreistag schade, dass das Kündigungsgesetz der Aufhänger für die Volksbefragung ist. „Wenn ich gegen Stuttgart 21 bin, stimme ich mit „Ja“ und als Befürworter mit „Nein“.

Über die hohe Hürde des Quorums in Baden-Württemberg ist Marianne Erdrich-Sommer nicht sehr glücklich. „Aber nun ist es so, und ich denke, es wird sich weiter entwickeln zu mehr Praxistauglichkeit.“ Die Volksabstimmung im Südweststaat sei eben noch kein eingeübtes demokratisches Mittel wie in anderen Bundesländern. Ein Positives habe die Diskussion auf jeden Fall: Noch nie sei der Bürger über Großprojekte so gut informiert worden wie bei S 21. Nun könne der Bürger selbst entscheiden, wer glaubwürdig ist und wer nicht. Dabei denkt sie unter anderem auch an die Wendlinger Einschleifung und die Filder­anbindung, die noch gar nicht planfestgestellt wurden. „Dass sich die Bahn auf solch ein Harakiri einlässt, ist hoch problematisch.“