Lokales

Salz für die Suppe

Arbeitskreis Christinnen und Christen in der SPD

Den „Arbeitskreis Christinnen und Christen in der SPD“ (AKC) gibt es bundesweit, einer der Sprecher ist der frühere Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse. Bisher gab es im Südwesten sechs regionale Gruppen. Jetzt wurde im Steingauzentrum die siebte, die Gruppe Esslingen-Göppingen gegründet.

PETER DIETRICH

Kirchheim. Schuld ist letztlich Pfarrer Christoph Friedrich Blumhardt, der einst mit seinem Vater in Bad Boll wirkte. „Blumhardt war für mich die geistliche Grundlage, in die SPD einzutreten“, sagt Helmut Staiger, der den Gründungsabend organisiert hatte. Schon als ehemaliger ÖDP-Regionalrat hatte er sich der SPD-Fraktion angeschlossen, so war die Nähe mit den Jahren gewachsen. Staiger wurde jüngst als Lenninger Bürgermeisterkandidat bekannt.

Landesweit zählt der Arbeitskreis rund 800 politisch Engagierte, zu Veranstaltungen in Stuttgart kommen meist 40 bis 80. In Kirchheim war die Runde noch etwas kleiner. Die Grippewelle tat das ihrige, so musste der musikalische Beitrag von Andreas Volz entfallen. Angela Madaus, AKC-Sprecherin auf Landesebene, war gesund zum Interview angereist. „Wir verstehen uns als Salz in der Suppe der SPD und legen den Finger in alle Wunden“, sagte sie zum ökumenischen Arbeitskreis, in dem auch Nichtmitglieder willkommen sind. Der AKC hat eine Resolution zur Friedenspolitik verabschiedet, setzt sich mit dem umstrittenen TTIP-Abkommen und der Sterbehilfe auseinander.

„Ich bin vorderösterreichisch geprägt“, sagt Madaus. Sie wuchs in der Nähe von Biberach streng katholisch auf. „Meine Großmutter hat mit mir Rosenkränze gegen die gelbe Gefahr, also die Chinesen, gebetet.“ Zur SPD fand die pensionierte Geschichtslehrerin und Kirchengemeinderätin durch Willy Brandt. Heute lebt sie im pietistisch geprägten Walddorfhäslach, dort staunte sie anfangs über die fromme Ablehnung der Fasnet. Sie engagiert sich auch im Landesvorstand der „AG 60 plus“ der SPD.

Als Referent zum Thema „Blumhardt und die Politik“ hatte Staiger ein Nicht-SPD-Mitglied eingeladen, Prälat i.R. Paul Dieterich. Der Blumhardt-Experte hat seine Blumhardt-Begeisterung vom Vater übernommen. Geboren wurde Blumhardt der Jüngere 1842 als Pfarrsohn in Möttlingen, heute Ortsteil von Bad Liebenzell. Ständig war er in der Familie von kranken und behinderten Menschen umgeben, die Neuanfang und Heilung suchten. „Er hat die leidende Menschheit von Anfang an erlebt“, sagte Dieterich. „Er hat gelernt, es gibt keinen unsichtbaren Gott. Er rechnete mit einem Gott, der hier auf der Erde ist und etwas tut.“ Gegenüber denen, die der Welt entfliehen wollten, war Blumhardt kritisch.

Der Vater holte ihn als Hilfe nach Bad Boll, dort diente er viele Jahre ohne Karriereambitionen. Als aber einer Bad Boll ein „evangelisches Lourdes“ nannte, konnte er das gar nicht leiden. Blumhardt war überzeugt: Gott wird nicht nur die Menschen, sondern einmal die ganze Kreatur erlösen. Die Erneuerung betrifft die ganze Gesellschaft: das Kastenwesen und die Knechtschaft des Kapitals, Nationalismus und Militarismus und vieles mehr. Blumhardt war weltoffen: Er war mit Pfarrer Kneipp befreundet und dem Vegetarismus nahe, ohne daraus eine Heilslehre zu machen. Er hatte große Freude an der Kunst und betonte, dass diese frei sein müsse.

Im Juni 1899 besuchte er eine Protestversammlung der SPD gegen die Zuchthausvorlage: Streikenden Arbeitern drohte Gefängnis. Er erklärt sich mit den Arbeitern solidarisch. „Er sagte, Jesus sei auch ein Proletarier gewesen, mit zwölf Proletariern als Jüngern.“ Er besucht eine Versammlung zur miserablen Lage der fabrikarbeitenden Frauen. Die lokale Zeitung reagierte mit einer Sonderausgabe zu „Pfarrer Blumhardts Bekenntnis zur Sozialdemokratie“. Alle dachten, er sei Mitglied, was gar nicht stimmte, doch er trat dann ein. Die Arbeiter machten ihn zu ihrem Kandidaten, sechs Jahre saß er im Landtag. Sein Engagement missfiel der Kirche. Ob ihm der Pfarrtitel entzogen wurde oder ob er ihn unter Druck selbst abgelegt hat, ist laut Dieterich nicht ganz klar. „Man hat ihn nie zum Gespräch gebeten, aber sich von ihm distanziert.“ Doch trotz Kritik blieb Blumhardt der Kirche treu. Das galt auch für die SPD, obwohl sein Verhältnis zu ihr ab 1904/1905 gespannter wurde. In den Reichstag wollte er nicht, er wirkte wieder in Bad Boll.

Blumhardt, der Mann der Kirche und der SPD, ist für Dieterich „eine wahnsinnige Herausforderung“. Was diese heute bedeute, „während die Reichen immer reicher und das Mittelmeer zum Massengrab“ werde, das wollte Dieterich nicht so einfach sagen. Dies solle jeder selbst herausfinden, am besten ein ganzes Leben lang.