Lokales

Schüler machen Platz für Flüchtlinge

Landkreis bringt erstmals Asylbewerber in einer Sporthalle unter – Holzmaden erwartet Syrer

Immer mehr Asylbewerber kommen nach Baden-Württemberg. So viele, dass der Landkreis es kaum schafft, ihnen ein Dach über dem Kopf zu besorgen. Nun wird erstmals eine kreiseigene Sporthalle als Schlafsaal zweckentfremdet. Unterdessen wartet Holzmaden auf die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge, die in das ehemalige Seniorenzentrum einziehen.

Leben auf 15 Quadratmetern: 100 Flüchtlinge aus Syrien, Gambia und Eritea haben in der Sporthalle des Berufsschulzentrums Esslin
Leben auf 15 Quadratmetern: 100 Flüchtlinge aus Syrien, Gambia und Eritea haben in der Sporthalle des Berufsschulzentrums Esslingen-Zell Unterschlupf gefunden. Foto: Roberto Bulgrin

Holzmaden/Esslingen. In Holzmaden ist alles bereit. Fast alles. Im ehemaligen Seniorenzentrum, in dem künftig bis zu 24 Asylbewerber Unterschlupf finden, sind noch ein paar Restarbeiten zu erledigen. Die Bevölkerung hat sich laut Bürgermeisterin Susanne Jakob gut auf die Ankunft der neuen Bewohner vorbereitet. Dominierten bei der Informationsveranstaltung im Juli noch die kritischen Töne, so haben sich mittlerweile mehr Ehrenamtliche für einen Arbeitskreis Asyl gefunden, als Flüchtlinge nach Holzmaden kommen. Zunächst beziehen nur 13 Personen das ehemalige Seniorenzentrum. Laut Landratsamt kann die Zahl jedoch auf 24 aufgestockt werden.

„Es gibt ein paar Frauen, die den Flüchtlingen nach ihrer Ankunft ein Abendessen kochen wollen. Es gibt Menschen, die Deutschkurse geben wollen, und solche, die den Flüchtlingen die Freizeitangebote im Ort zeigen“, beschreibt Susanne Jakob die Bandbreite des Engagements. Viele Holzmadener hätten angeboten, Möbel oder andere Gegenstände zu spenden. „Das sind gute Ausgangsbedingungen dafür, dass sich die Menschen bei uns zurechtfinden“, glaubt die Bürgermeisterin, die die Betreuung als „unsere humanitäre Aufgabe“ sieht.

Wann genau die Flüchtlinge in Holzmaden ankommen, steht laut Peter Keck, Sprecher des Landratsamts, noch nicht fest. Möglicherweise noch im September, vielleicht aber auch später. Fest steht aber: Es werden syrische Familien sein, die in der Urweltgemeinde vorerst eine neue Heimat finden. Die Familienmitglieder stammen aus dem Kontingent syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge, deren Aufnahme die Bundesregierung 2013 beschlossen hat. Anders als andere Flüchtlinge müssen sie kein Asylverfahren durchlaufen, sondern erhalten sofort eine befristete Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.

Ortswechsel. Hinter der Sporthalle des Berufsschulzentrums Esslingen Zell im kicken sich ein paar Männer einen Ball zu. Das Innere der Sporthalle ist nicht wiederzuerkennen: Wo noch vor den Sommerferien Schüler schwitzten, sieht es nun aus, als hätte jemand einen riesigen Setzkasten auf den Boden gelegt. Aus MDF-Platten sind 15 Quadratmeter große Kabinen entstanden, darin jeweils ein Stockbett und ein Einzelbett, ein Kühlschrank, Tische und Stühle. Zimmerdecken haben die Kabinen nicht, Fenster fehlen ebenfalls, weil Kabine an Kabine gebaut ist. Durch das Dach der Halle fällt Sonnenlicht. Hier leben seit ein paar Tagen rund 100 Flüchtlinge aus Syrien, Gambia und Eritrea. Frauen und Kinder sind nicht darunter.

In der Küche des neuen Wohnheims, die im ehemaligen Gymnastikraum untergebracht ist, herrscht dicke Luft. Und das nicht nur, weil zwei gambische Männer gerade ihr Mittagessen zubereiten. „Dieser Ort ist menschenunwürdig“, diktiert ein aufgebrachter Syrer einer Journalistin ins Mikrofon. Die umstehenden Männer nicken. Sie wünschen sich, in Wohnungen untergebracht zu werden, nicht in Kabinen ohne Decke und ohne Privatsphäre.

Die Landkreisverwaltung ist über diese neue Wohnform selbst nicht glücklich. Der erste Kreis zu sein, der eine Sporthalle mit Flüchtlingen belegen muss, ist schließlich nicht gerade preisverdächtig. „Wir haben aber keine andere Wahl. Der Wohnungsmarkt ist komplett leer gefegt“, sagt Thomas Eberhard, Dezernent für Infrastruktur, der mit seinen Mitarbeitern ständig unter Hochdruck nach neuen Unterbringungsmöglichkeiten sucht. Er könne nicht ausschließen, dass die kreiseigenen Sporthallen auf dem Nürtinger Säer und in Kirchheim nicht auch noch zu Wohnheimen umfunktioniert werden müssten.

34 Unterbringungen für Asylbewerber gibt es aktuell im Landkreis. Trotz der Belegung der Sporthalle in Zell und weiterer fünf Unterkünfte rechnet die Landkreisverwaltung mit dem Fehlen von rund 300 Plätzen bis Jahresende. „Sorge bereitet uns auch das nächste Jahr“, sagt die neue Sozialdezernentin Katharina Kiewel. „Wir gehen davon aus, dass wir bis Ende 2015 3 500 Plätze zur Verfügung stellen müssen.“ Angesichts dieser Zahl schüttelt Thomas Eberhard nur den Kopf. „Das ist vollkommen unrealistisch“, lautet seine Einschätzung. Ein Journalist will während des Pressegesprächs wissen, ob der Landkreis daran gedacht habe, die Flüchtlinge in Zelten unterzubringen. Eberhard antwortet nur indirekt. Das käme witterungsbedingt nicht in Frage, weil die Zelte, die zum Beispiel das Technische Hilfswerk (THW) zur Verfügung stelle, aus Baumwolle seien.

Die Schuld für die Misere sieht die Landkreisverwaltung beim Land Baden-Württemberg. „Es kann nicht sein, dass das Land die Asylbewerber verteilt, ohne auf die besondere Situation des jeweiligen Landkreises Rücksicht zu nehmen“, sagt Thomas Eberhard und meint damit den besonders engen Wohnungsmarkt im Mittleren Neckarraum. Die Pauschale, die das Land pro Jahr und Asylbewerber zahlt, müsse außerdem dieser Situation angepasst werden.

Indes versuchen die kommissarische Wohnheimleiterin Rosemarie Peltier und Julie Hoffmann, die den Sozialdienst für Flüchtlinge bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) leitet, in der Sporthalle so etwas wie Alltag entstehen zu lassen. Nicht nur die Sporthalle selbst ist in Teilen noch eine Baustelle, auch sonst ist vieles ungeklärt. „Wir müssen Sprachkurse initiieren und brauchen dringend eine Kleiderkammer“, sagt Julie Hoffmann. Die Kirchen und die Stadt seien bereits mit im Boot. Unter den Flüchtlingen müsse Gemeinschaftsgefühl entstehen, Regeln, zum Beispiel für die gemeinsame Nutzung der drei Küchen und der Sanitärräume, müssten etabliert werden. „An dieser Halle werden wir alle lernen“, sagt Julie Hoffmann. Besonders glücklich klingt sie nicht.

Auch für die Schüler des Berufsschulzentrums Zell ist ab nächster Woche alles anders. Sportunterricht gibt es nur noch für die Schüler der beruflichen Gymnasien in der nahen städtischen Sporthalle. Für alle anderen ist Sport erstmal Privatsache.

Wendlingen: Wohnheimbau für Asylbewerber verzögert sich

Die Stadt Wendlingen hat dem Landkreis die Aufnahme von bis zu 130 Flüchtlingen in Modul-Containern an zwei Standorten zugesagt. Allerdings gibt es an beiden Standorten Probleme. In Bodelshofen, wo 50 Flüchtlinge Unterschlupf finden sollten, gibt es baurechtliche Hürden. In dem Gebiet, das als Gewerbegebiet ausgewiesen ist, ist die Unterbringung von Asylbewerbern verboten. Nun soll der Bebauungsplan geändert werden, um dort zumindest vorübergehend das Aufstellen von Wohncontainern zu erlauben. Beim zweiten Standort auf dem ehemaligen Park-and-Ride-Parkplatz neben der Römerbrücke, wo 80 Wohnheimplätze entstehen sollen, stockt der Prozess ebenfalls. Der Grund: Bei der Nachbarschaftsanhörung gingen Vorschläge für eine veränderte Platzierung der Wohnmodule ein. Diesen Vorschlag, den sich die Stadt Wendlingen zu eigen gemacht hat, gilt es nun zu berücksichtigen. Der Sprecher des Landrats geht davon aus, dass das Wohnheim auf dem ehemaligen Park-and-Ride-Parkplatz im Frühjahr 2015 bezogen werden kann.nz/adö