Lokales

Der Tod des russischen Gesandten nährt die Hoffnung auf Frieden

Was der Teckbote vor hundert Jahren – im Sommer 1914 – über die Entstehung des Ersten Weltkriegs „live“ erzählen konnte

Die drohende Kriegsgefahr wird in der dritten Woche nach dem Attentat von Sarajevo im Teckboten durchaus erwähnt. Auch über die italienische Mobilmachung diskutiert die Kirchheimer Zeitung vom Mittwoch,

Andreas Volz

15. Juli 1914, ausführlich. Aber dabei geht es nicht – wie aus heutiger Sicht zu erwarten wäre – um den österreichisch-serbischen Konflikt. Vielmehr hängt die italienische Mobilisierung „mit der neuen Wendung der Dinge in Albanien“ zusammen.

Auch in Albanien ging es um Einflusssphären benachbarter Staaten. Der Teckbote schreibt: „Man weiß, Italien ist eine der interessierten Mächte in Albanien, vor allem das Vorgehen Griechenlands mustert es immer mit doppelt scharfem Auge.“ Im Zusammenhang mit den Autonomiebestrebungen der griechischen Bevölkerung im nördlichen Epirus, der zu Albanien gehört, stellte der Teckbote vor 100 Jahren sogar einen Vergleich zum Serbien-Konflikt her: „Was liegt näher, als die Vermutung, Griechenland spielt in Epirus die Rolle Rußlands in Serbien, es hat im geheimen den gierenden Epiroten das Rückgrat gestärkt und diese haben daraufhin wieder die Offensive ergriffen.“

Auf die Mobilmachung in Italien zurückkommend, schließt der Bericht mit der Feststellung: „Die Lage in Albanien drängt zu einer Entscheidung und da will Italien auf dem Plane sein.“ Sogar das Bündnis mit Österreich-Ungarn wird vorsichtig in Frage gestellt: „Einer Festsetzung Griechenlands an der eigentlichen Adriaküste hat Italien stets den stärksten Widerstand entgegengesetzt, wie es ebenso jeder andern Macht, die dort einen Flottenstützpunkt sucht, sein Veto entgegenruft. Selbst das befreundete Oesterreich ist in seinen Augen in ­Triest schon aus rein historischen Gründen nur geduldeter Gast.“

Zum Serbien-Konflikt erfahren die Teckboten-Leser am Montag, 13. Juli 1914, Details über „die serbische Preßhetze“ gegen Österreich. Nichtserbische Bosnier werden demzufolge in der serbischen Presse als „das mohammedanische und kroatische Gesindel“ bezeichnet, den Österreichern wird – wie umgekehrt ja auch – abgesprochen, in einem „Kulturstaat“ zu leben. Und schließlich fordere eine serbische Zeitung „zum Boykott gegen die österreichischen Firmen in Belgrad, sowie gegen die österreichischen Waren auf“.

Immerhin – so vermeldet dieselbe Ausgabe auf der Titelseite – gebe es die Hoffnung, dass sich der Konflikt ohne weitere Verwicklungen lösen lasse. „Ein schwerer Schlag für das Großserbentum“: So lautet die Überschrift zu der Nachricht, dass der russische Gesandte in Belgrad, Nikolaus von Hartwig, drei Tage zuvor einem Herzinfarkt erlegen war, ausgerechnet bei einem Besuch „in der österreichischen Gesandtschaft“. Hartwig wird beschrieben als „nicht bloß russischer als der Zar, sondern sogar serbischer als der serbischste Serbe“. Aus der „Wiener Presse“ zitiert der Teck­bote: „Es dürfte kaum zu viel gesagt sein, wenn behauptet wird, daß der österreichisch-serbische Streit niemals die großen Dimensionen [...] angenommen hätte, wenn Hartwig nicht unermüdlich geschürt und Serbien geschickt in falschem Wahn gehalten hätte.“

Über den „Eindruck in Berlin“ heißt es weiter: „Trotz seines deutschen Namens und seiner deutschen Abstammung war [Hartwig] die Seele der panslawistischen Bewegung und die großen Erfolge der russischen Balkanpolitik sind ihm in erster Linie zu verdanken gewesen. Insbesondere auf seine Veranlassung hat sich Rußland so vollkommen mit der serbischen Politik verbrüdert, daß man sagen kann: Sein Tod ist für Serbien wohl ein größerer Verlust als für Rußland.“

Am Samstag, 18. Juli 1914, geht der Teckbote in der „Politischen Wochenschau“ noch einmal auf den Todesfall ein, mit mahnenden Worten: „Die serbische Gefahr geht immer noch weiter, wenn auch mit dem Tod des russischen Gesandten in Belgrad, Hartwig, einer der Haupturheber der großserbischen Bewegung gefallen ist.“

Hauptthemen der Rückschau sind die „Reichstagsersatzwahlen“ sowie „die Frage des kirchlichen Frauenstimmrechts“, um die es in der Evangelischen Generalsynode in Baden ging. Auch der elsässische Karikaturist „Hansi“, bürgerlich Jean-Jacques Waltz, spielt eine Rolle in der „Wochenschau“. Wegen seiner antideutschen Haltung war er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, konnte aber rechtzeitig „nach dem geliebten Frankreich“ entkommen. Der Teckbote hält den Verlust des Zeichners, der bis heute im Elsass – vor allem in seiner Heimatstadt Colmar – sehr populär ist, für verkraftbar: „Eine Träne weinen wir ihm nicht nach und Frankreich gratulieren wir zu diesem charaktervollen Mitbürger.“

Der Teckbote berichtet am 18. Juli 1914 noch aus England, wo die „Westminster Gazette“ schreibt: „Serbien werde gut beraten sein, wenn es sich die Berechtigung der Besorgnisse seines großen Nachbarn vergegenwärtige und alles tue, um sie zu zerstreuen“. Die Zeitung aus London schließe mit dem Friedenswunsch: „Wir hoffen, daß die Erfahrungen der Balkankriege eine ernüchternde Wirkung haben werden. Die Mächte waren damals während der ganzen Zeit entschlossen, Verwickelungen zu vermeiden. Wir hoffen auf ein gemeinsames Bemühen, diese Schwierigkeit zu lokalisieren und daß das ,Ultima ratio‘, wie [der ungarische Ministerpräsident] Graf Tisza sagte, nicht einmal zur Erörterung zu kommen braucht.“