Lokale Kultur

Die Andersdenkende

Frauenkulturtage: Lore Seichter-Muráth entwirft ein Bild von Rosa Luxemburgs Leben, Lieben und Denken

FrauenKulturTageFrauenleben - Männergleich: Das Leben der Rosa Luxemburgin der VHS, Spitalkeller mit Lore Seichter-Muráth,
FrauenKulturTageFrauenleben - Männergleich: Das Leben der Rosa Luxemburgin der VHS, Spitalkeller mit Lore Seichter-Muráth,

Kirchheim. Wer kennt sie nicht? Die Bilder von Rosa Luxemburg, einer kleinen, energischen Frau mit ­wachem, fast stechendem Blick. „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden!“ Das ist der vielleicht berühmteste ihrer oft markanten Sätze. Aber wer war sie eigentlich

Monika Riemer

als Frau und als Mensch? Lore Seichter-Muráth, Schauspielerin und Autorin aus Berlin, entwirft in ihrer szenischen Lesung das lebendige Bild einer Rosa Luxemburg, die ungewöhnlich für ihre Zeit, eine sehr belesene und gebildete Frau war, deren jüdische Eltern weltoffen waren und die ihre fünf Kinder offen erzogen. Die überdies für eine klare Trennung von Religion und Staat eintraten. Rosa Luxemburg setze ihren messerscharfen und analytischen Verstand ein, um für ihre Ideale und für Gerechtigkeit zu kämpfen. Sie war aber auch eine Frau, die liebte und leidenschaftlich war. Und die letztlich heimtückisch ermordet wurde. Weil sie unbequem war und ihre Meinung unbeirrt vertrat.

Seichter-Muráth beginnt mit der Schilderung einer Szene, die verwirrt: Sommer 2012 in Berlin: „Die Schönen schlürfen Absinth und hatten keinen Blick für mich. Wer schlürft heute noch Absinth?“ Dann die gehetzte Stimmung und „grässlich, boshafte“ Menschen. Die Sprecherin berichtet von „stechenden Schmerzen an Stirn und Schläfe.“ Sind wir doch im Berlin von 1919?

Ein Fenster schlägt zu, der Albtraum ist zu Ende. Gut vorstellbar, denn Seichter-Muráth hat über ein Jahr für ihr Stück „Frauenleben – Männergleich: Das Leben der Rosa Luxemburg“ gearbeitet und recherchiert. 28 Fassungen hat sie geschrieben, bis sie mit ihrem Stück zufrieden war. Kein Wunder, wenn dieses Thema dann durch Träume geistert. „Es geht mir nicht darum, einen Vortrag zu halten, sondern den Draht zu den Zuhörern zu finden und ganz nahe an der beschriebenen Frau dran zu sein“, beschreibt Seichter-Muráth ihre Arbeit. Szenische Collagen nennt sie ihre Stücke, welche sie unter anderem auch schon über Käthe Kollwitz, Sophie Scholl und Hildegard von Bingen entwickelte.

Nach der Traumszene geht es um Rosa Luxemburgs Kindheit, ihre Jugend und ihre Flucht nach Zürich, die nach ihren ersten sozialistischen Aktivitäten geboten war. Die Züricher Universität war die einzige deutschsprachige Universität, an der zu dieser Zeit Frauen und Männer gleichberechtigt studieren durften. Außerdem trafen sich Ende des 19. Jahrhunderts viele verfolgte ausländische Sozialisten in dieser Stadt. Später dann ihre Stationen in Paris, Berlin, in Oberschlesien und sogar in Stuttgart. Dort lebte ihre Mitstreiterin und Freundin Clara Zetkin.

Immer wieder musste sie sich auch gegen ihre männlichen Mitgenossen zur Wehr setzen. „In jener Zeit hatten Frauen noch nicht einmal das Wahlrecht“, klagt Seichter-Muráth. „Die revolutionärste Tat besteht darin, laut zu sagen, was ist“, zitiert sie weiter. Genau das reichte dem wilhelminischen Staat, um Rosa Luxemburg immer wieder ins Zuchthaus zu stecken. Sie trennte sich von ihrem langjährigen Partner Leo Jogiches. Seichter-Muráth stellt die Zerrissenheit der Frau Rosa dar. Der geliebte Mann, aber auch der Wunsch nach Kindern. Der sollte unerfüllt bleiben.

Irgendwann dann kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, neigte sich Luxemburgs Loyalität gegenüber ihrer sozialdemokratischen Partei dem Ende zu. Die radikale Kriegsgegnerin dachte an Selbstmord, später im Gefängnis erkrankte sie an Depressionen und fand Trost in ihrer botanischen Sammlung.

Seichter-Muráth beschreibt wieder die Anfangsszene: Berlin im Jahre 1919. Rosa Luxemburg – gefangen, geschlagen, ermordet. Zum Schluss singt Seichter-Muráth mit klarer Stimme ein Arbeiterlied. Mit Absicht wählt sie ein amerikanisches, denn die deutschsprachigen wurden ihrer Ansicht nach zu DDR-Zeiten missbraucht.

Leider fanden bloß knapp 20 Zuhörerinnen und Zuhörer in den Spitalkeller. Leichte Kost ist offenbar leichter unters Volk zu bringen. Dabei wirken die inneren Bilder, die bei Seichter-Muráth entstanden sind, lange nach. Man kann förmlich hören, riechen und spüren, was geschehen war. Der eine oder die andere kramt vielleicht wieder eine Rosa-Luxemburg-Biografie hervor. Luxemburgs Geisteshaltung tut eben immer noch Not. Dass Freiheit in jeglicher Hinsicht ein kostbares Gut ist, wird uns oft dann erst erschreckend klar, wenn sie brutal bekämpft und zerstört wird. In Moskau, Paris oder anderswo.