Lokalsport

US-Bier statt Champagner in der Kabine

Klaus Wöller erlebte als Torhüter 1984 das erste olympische Finale einer deutschen Hallenhandball-Nationalmannschaft

SPOR_Woeller
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In London läuft das olympische Handballturnier und keine deutsche Mannschaft ist dabei. Vor 28 Jahren war das anders. Am 12. August 1984 unterlag das Team von Bundestrainer Simon Schobel im olympischen Finale in Los Angeles nur knapp dem Vizeweltmeister Jugoslawien. Klaus Wöller, der mit Andreas Thiel damals zwischen den Pfosten stand, erinnert sich.

Bernd Köble

Salach. In deutschen Wohnzimmern war es bereits weit nach Mitternacht, doch weil es die Nacht auf Sonntag war, trieb es keinen Handballfan in dieser Stunde ins Bett. Schließlich hatte eine bundesdeutsche Nationalmannschaft zum ersten Mal in der Geschichte des Hallenhandballs die große Chance auf den Olympiasieg. Dabei hätte die DHB-Auswahl in Los Angeles eigentlich gar nicht dabei sein dürfen. Die Mannschaft des damaligen Bundestrainers Simon Schobel hatte bei der B-WM in Holland die Qualifikation knapp verpasst und gegen die Ungarn beim Torverhältnis den Kürzeren gezogen. Doch es war noch immer die Zeit des Kalten Krieges. Nach dem Einmarsch der Sowjettruppen in Afghanistan und dem West-Boykott der Spiele in Moskau 1980 fuhren die Staaten des Warschauer Pakts vier Jahre später die Retourkutsche. Ungarn blieb wie auch Weltmeister Russland den Spielen in den USA fern und Deutschland war über Nacht plötzlich dabei.

Und wie: Mit Siegen gegen die USA, Spanien, Schweden, Südkorea und Dänemark zog die Schobel-Sieben als ungeschlagener Gruppensieger ins Finale gegen Vizeweltmeister Jugoslawien ein. Damit hatte niemand gerechnet. Am wenigsten die Mannschaft, die sich auf dem Campus der Universität mit Boxern und Wasserballern das bescheidene Quartier teilte.

Im Finale am 12. August standen im 17 000 Zuschauer fassenden Forum von Inglewood, wo zuvor das Basketballturnier ausgetragen wurde, noch gut fünf Minuten auf der Anzeigetafel. Die Jugoslawen führten nach dem Treffer von Milan Kalina mit 18:15. Kurz zuvor hatte Simon Schobel die letzte Karte gezogen und für den entnervten Andreas Thiel Klaus Wöller zwischen die Pfosten gestellt. Der parierte den ersten Wurf, der aufs Tor kam, und der Essener Jochen Fraatz sorgte mit seinem dritten Strafwurf auf der Gegenseite für den 16:18-Anschlusstreffer. Als kurz da­rauf Erhard Wunderlich mit einem Gewaltwurf von halblinks das 17:18 erzielte, war Deutschland plötzlich wieder dran. Doch die lange Zeit nervös agierenden Männer vom Balkan spielten die verbleibenden 27 Sekunden routiniert und clever herunter, und das norwegische Schiedsrichtergespann Bolstadt und Antonsen, das in der ersten Hälfte bereits acht Strafwürfe gegen die Deutschen verhängt hatte, ließ die Jugoslawen ohne auf die Uhr zu schauen gewähren.

Für Klaus Wöller war die Niederlage doppelt bitter: Zum einen war es bis dahin nie leichter gewesen, Olympiasieger zu werden, darüber waren sich alle Experten einig. Zum anderen hatte der damals 28-Jährige gerade gegen Vizeweltmeister Jugos­lawien zuletzt seine besten Spiele geboten und Andreas Thiel im Finale nicht seinen besten Tag erwischt. Doch Wöller, der während des Turniers fünfmal zum Einsatz kam und der in der ersten Hälfte bereits einen Strafwurf von Mile Isakovic gehalten hatte, schmorte bis kurz vor Schluss auf der Bank. Heute sagt er: „Ich glaube, dass wir das Spiel mit mir damals gewonnen hätten.“ Sein freundschaftliches Verhältnis zu Andreas Thiel belastete dies jedoch nie. „Mit Siggi Roch und uns beiden hatten wir damals drei Torhüter, die sich nicht viel schenkten“, sagt Wöller. „Unser Konkurrenzkampf hat sich aber immer aufs Sportliche beschränkt.“

Statt den ersten deutschen Olympia-Erfolg mit Champagner zu begießen, musste der Frust in der Kabine mit amerikanischem Bier hinabgespült werden. Simon Schobel und sein damaliger Co-Trainer Heiner Brand brauchten lange, um der Mannschaft klarzumachen, dass auch die Silbermedaille ein Grund zum Feiern ist. „Handball-Silber mit goldener Zukunft“, titelten am Montag früh die Gazetten. Der jungen und noch unerfahrenen Mannschaft mit Spielern wie Martin Schwalb, Michael Paul oder Michael Roth traute man große Erfolge in den kommenden Jahren zu. Wohl etwas voreilig, denn was folgte, waren die schwärzesten Jahre im deutschen Handball seit Langem. Nach Platz sieben bei der WM 1986 in der Schweiz verpasste das deutsche Team nach der Olympia-Qualifikation für Seoul auch die WM 1990 in der Tschechoslowakei. Klaus Wöller musste diese Phase nicht mehr miterleben. Wer in seinem Haus in Salach heute durch die Tür tritt, wird an glanzvollere Zeiten erinnert. Fotos und Zeitungsausschnitte an den Wänden dokumentieren die Karriere eines Nationaltorhüters, die 1976 begann und knapp zehn Jahre und 72 Länderspiele später abrupt endete. Auf eine Weise, die dem Typen Klaus Wöller entsprach. Bequem war Wöller nie. „Ich hätte vielleicht öfter mal die Klappe halten sollen“, meint er heute. „Vielleicht hätte das meiner Karriere gutgetan.“

Im Dezember 1985 hätte er vor allem wohl früher zu Bett gehen sollen. Nach zwei Trainingsspielen gegen Island zog Wöller mit Kumpan Erhard Wunderlich – ebenfalls nicht als Kind von Traurigkeit bekannt – im lebhaften Reykjavik am späten Abend um die Häuser. Dass beide den Zapfenstreich im Mannschaftshotel danach deutlich verpassten, fand Chefcoach Simon Schobel gar nicht lustig. „Sepp“ Wunderlich kam mit einer Verwarnung davon, Wöller flog aus dem Kader und erhielt fortan keine Einladung mehr zu Lehrgängen der Nationalmannschaft.

Der Mann fürs Unkonventionelle war Klaus Wöller schon im Vorfeld der Olympischen Spiele. Der Torhüter der Reinickendorfer Füchse machte damals eine Ausbildung zum Werbekaufmann in einer Berliner Agentur. Weil sich der Chef bei der Freistellung seines Angestellten zierte, lud Wöller kurzerhand ein Fernsehteam des SFB für ein Porträt zu sich an den Arbeitsplatz ein. „Danach hatte ich alle Freiheiten“, erinnert er sich, „und der Fall war erledigt.“

Klaus Wöller, geboren am 23. April 1956 in Hannover, spielte seit Beginn seiner Karriere unter anderem für den TuS Nettelstedt, mit dem er 1981 den DHB-Pokal und den Europacup der Pokalsieger gewann, für die Reinickendorfer Füchse Berlin und für den TSV Milbertshofen. Am 20. November 1976 gab er in Rumänien unter Coach Vlado Stenzel sein Länderspiel-Debüt. Klaus Wöller lebt heute als selbstständiger Versicherungskaufmann in Salach und trainiert im dritten Jahr die Bezirksliga-Handballer der SG Lenningen.