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Der deutsche Pass ist mehr wert als Gold

Einbürgerungsfeier im Esslinger Landratsamt: Junge Iraner als Musterbeispiel einer gelungene Integration

In einer Feierstunde im Esslinger Landratsamt sind 120 frisch gebackene Deutsche eingebürgert worden. Gerade den politisch Verfolgten ist der deutsche Pass mehr wert als alles Geld der Welt.

Die Geschwister Anna und Aliakbar Ahmadi und die Mutter Batoul Bedroud sind froh und dankbar über den deutschen Pass. Foto: Robe
Die Geschwister Anna und Aliakbar Ahmadi und die Mutter Batoul Bedroud sind froh und dankbar über den deutschen Pass. Foto: Roberto Bulgrin

Kreis Esslingen. „Willkommen in einer Gesellschaft der Bürger.“ Der Titel des Festvortrags zur Einbürgerungsfeier im Landratsamt hört sich nach Sonntagsrede an. Aber zu den Ahmadis passt er. Die Familie aus dem Iran entspricht dem Idealbild, wie sich Zuwanderer um Integration bemühen sollten. Sie fühlt sich in Deutschland willkommen und ist dankbar für die Wege, die ihnen hier eröffnet wurden. „Küsst euren Pass, er ist mehr wert als Gold“, hat Ali Ahmadi zu seiner Frau und den beiden Kindern gesagt, als sie das Esslinger Bürgerbüro mit den neuen Ausweisen verließen.

„Ich habe meinen Vater noch nie so glücklich gesehen“, erzählt Aliakbar Ahmadi (20). Deshalb schätzt der junge Mann, der vor Kurzem sein Abitur gemacht hat und nun Maschinenbau studiert, das Papier genauso. Tausendmal habe sich sein Vater auf der Behörde für den deutschen Pass bedankt und zu Hause, wo normalerweise Azeri gesprochen werde, habe er plötzlich deutsch gesprochen. Seine Schwester Anna (21) ergänzt: „Er ist stolz und glücklich, dass seine Kinder nun jene Möglichkeiten haben, die ihm im Iran genommen worden sind.“

Die Ahmadis waren im Norden Irans zu Hause, am Kaspischen Meer, und zählten zum aserbaidschanischen Bevölkerungsteil. Der Vater hat sich seit seiner Jugend politisch engagiert. Er sei im Gefängnis gewesen, gefoltert worden und schließlich untergetaucht, erzählt sein Sohn. Studieren durfte er trotz Zulassung der Universität nicht. Er wurde Imker, um sich den Blicken des Staates zu entziehen. 2001 reiste er nach Deutschland, denn ein Onkel wohnte bereits in Esslingen. Sein Asylantrag wurde anerkannt, 2003 kam die Familie über den Umweg Aserbaidschan nach.

„Hallo, wie geht’s? Ich heiße …“ Mit diesen wenigen deutschen Wörtern kamen Anna und Aliakbar in die Vorbereitungsklasse an der Adalbert-Stifter-Schule. Nach einigen Monaten durften sie in die sechste Klasse der Hauptschule, und nach einem weiteren halben Jahr kam das Mädchen auf die Realschule, der Junge aufs Gymnasium. Sein Lehrer habe ihn gefördert und ihm den Weg aufs Gymnasium geebnet, erzählt Aliakbar Ahmadi. Seine Erfahrung: „Wenn man sich anstrengt, dann wird man gefördert.“ Er wurde von der Robert-Bosch-Stiftung unterstützt, machte sein Abi mit 1,9 und ist nun Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung.

Diskriminierung haben die Geschwister selten erfahren. Ab und zu habe in der Schule jemand gelacht, wenn sie ein falsches Wort benützt habe, erzählt Anna Ahmadi, aber das habe nie einen ethnischen Hintergrund gehabt. Inzwischen hat sie gelernt, „wessen Freund der Genitiv ist“, wie sie in ihrer Rede im Landratsamt geschickt einflicht. Am Ende dieses Schuljahres wird auch die 21-Jährige ihr Abitur in der Tasche haben. Dann möchte sie Architektur studieren. „Eine beeindruckende schulische Karriere“, lobt Landrat Heinz Eininger.

Einmal, so vermutet Aliakbar Ahmadi, hat seine Herkunft doch eine Rolle gespielt: Beim Schüleraustausch mit den USA hat er keinen Partner gefunden. Wahrscheinlich habe die Schule Ärger vermeiden wollen. Dennoch ist er überzeugt, dass sein Rezept zur Integration funktioniert: „Wenn man sich respektvoll verhält, dann bekommt man Respekt zurück.“ Jetzt, mit dem deutschen Pass, könne er problemlos überall hinreisen.

„Die Gesellschaft lebt von der Teilhabe ihrer Bürger. Die Bürgergesellschaft braucht Vorbilder“, appelliert Sibylle Thelen von der Landeszentrale für politische Bildung an die 120 frisch gebackenen Deutschen, die zur Feierstunde ins Esslinger Landratsamt gekommen sind. Die Geschwister Ahmadi sind vorbildlich. Sie haben sich nicht nur selbst integriert, sie unterstützen andere ­Migrantenkinder auf diesem Weg. Mit Freunden und anderen Stipendiaten der Bosch-Stiftung haben sie 2007 die Organisation „Jugend für Jugend“ gegründet. Jeden Samstag geben sie in Ludwigsburg Schülern von der ersten bis zur elften Klasse Nachhilfeunterricht und bereiten sie auf Prüfungen vor. Vielleicht werde man noch eine Zweigstelle in Esslingen starten, meint Aliakbar Ahmadi.

Bis vor Kurzem hat er als Schüler jede Woche alte Menschen im Pflegeheim in der Pliensauvorstadt besucht. Den Respekt gegenüber älteren Menschen betrachtet der junge Mann als Teil der heimatlichen Kultur, die ihm von seinen Eltern vermittelt wurde. Den Kontakt zur Verwandtschaft halten sie aufrecht, die Mutter hängt noch sehr an der alten Heimat. Fast jeden Sommer reisen sie deshalb in den Iran – allerdings ohne den Vater. „Für ihn wäre das Risiko zu groß“, sagt der Sohn.