Lesetipps
Wie Flüchtlinge richtig in der Gesellschaft ankommen können

Beruf Mohammad Haidari lässt sich von der Stiftung Tragwerk zum Jugend- und Heimerzieher ausbilden. Sein ­Beispiel zeigt, wie Integration gelingen kann – und wie wichtig es ist, sofort damit zu beginnen. Von Antje Dörr

Am Anfang, als Mohammad Haidari gerade in Deutschland angekommen ist, klebt ein Zettel an seinem Spiegel, der ihm Halt gibt und der ihn jeden Morgen daran erinnert, nicht aufzugeben. Halt braucht der gebürtige Afghane mehr als alles andere, denn er ist nur 15 Jahre alt und hat mit seinem 13-jährigen Bruder eine Flucht aus dem Iran hinter sich, wo seine Familie seit zehn Jahren lebt. Ohne Mutter und Vater. Auf dem Zettel, den Mohammad morgens beim Haarekämmen liest, stehen Dinge wie „Ausbildung“, „Wohnung“, „Führerschein“, „Auto“. Sein Erzieher, der ihn in der Wohngruppe in Notzingen betreut, hat ihm geholfen, diese Ziele zu formulieren. „So habe ich mich motiviert“, sagt er acht Jahre später.

Heute hilft Mohammad Haidari anderen Jugendlichen dabei, nicht aufzugeben und den richtigen Weg zu finden. Der 23-Jährige macht eine Ausbildung zum Jugend- und Heimerzieher bei der Stiftung Tragwerk – jener Organisation, die ihm vor acht Jahren beim Ankommen geholfen hat. „Als Jugendlicher kam ich hierher und habe so viel Unterstützung bekommen.

 

Ich bringe anderen das Leben bei.
Mohammad Haidari
erklärt seinen Eltern im Iran mit diesen Worten seine Ausbildung zum Jugend- und Heilerzieher.

 

Das wollte ich den Jugendlichen gerne zurückgeben“, sagt der angehende Erzieher, der vorher eine Ausbildung zum Metallbauer absolviert und zwei Jahre in diesem Beruf gearbeitet hat. Haidari arbeitet in seiner Wohngruppe in Owen mit deutschen Jugendlichen – und auch mit Geflüchteten. „Wenn sie hierherkommen, können sie die Regeln oft noch nicht so nachvollziehen. Deshalb schätzen sie meine Erklärungen“, sagt er. Sein Chef Jürgen Knodel kann das bestätigen. „Menschen, die selbst Fluchterfahrung haben, verstehen viel besser, was andere Flüchtlinge brauchen“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Tragwerk.

Von Anfang an aufgefangen

Mohammad Haidaris Geschichte ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass jugendliche Geflüchtete von Anfang an aufgefangen, betreut und gefördert werden. Und wie sich dieser Einsatz für alle Seiten auszahlt. Haidaris Voraussetzungen waren ursprünglich nicht die besten. Im Iran hatte er nur vier Jahre lang die Grundschule besucht und anschließend arbeiten müssen, erzählt Jürgen Knodel. Dennoch hat er es dank Vorbereitungsklasse (VBO) an der Alleenschule, diversen Sprachkursen, einer Ausbildung und – nicht zuletzt – der Betreuung durch die Erzieher seiner Wohngruppe geschafft, seine Ziele zu erreichen und einen Beruf zu ergreifen, „in dem ich der Gesellschaft etwas zurückgeben kann“, wie er es formuliert.

So gute Startchancen wie Mohammad Haidari haben viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMA), die aktuell im Landkreis Esslingen ankommen oder kürzlich angekommen sind, nicht. Es fehlen Wohngruppen, in denen sie betreut werden können. „Wir haben ein Fachkräfteproblem. Aber nicht nur wir, sondern auch die anderen Einrichtungen im Landkreis“, sagt Jürgen Knodel von der Stiftung Tragwerk. Das führe mittlerweile dazu, dass junge Geflüchtete teilweise nicht in betreuten Wohngruppen, sondern in Notunterbringungen leben müssten. „Das sind keine guten Voraussetzungen zum Ankommen hier“, sagt Knodel. Dass junge Geflüchtete zur Schule gehen dürfen, ist aktuell ebenfalls keine Selbstverständlichkeit. Weil die VBO-Klassen voll sind, haben Stiftung Tragwerk und Mehrgenerationenhaus Linde eine Art Notunterricht auf die Beine gestellt. „Wir hoffen sehr, dass es vonseiten der Schule bald ein entsprechendes Angebot gibt“, sagt Knodel.

Mohammad Haidari ist froh, dass er sich für diese Ausbildung entschieden hat. Seine Familie im Iran ist stolz auf ihn, auch wenn es so etwas wie „Jugend- und Heimerzieher“ im Iran gar nicht gibt. Haidari hat es ihnen erklärt und gesagt: „Ich bringe anderen das Leben bei.“