Lokale Kultur

Auf der Suche nach Heimat

Karla Andrä und Josef Holzhauser präsentieren „Überall ist Wunderland“ in der Kirchheimer Stadtbücherei

Kirchheim. „Heimat und Fremde“ lautet das Rahmenthema des Sommerprogramms der Stadtbücherei. Am vergangenen Freitag kamen Karla Andrä und Josef Holzhauser mit ihrem Beitrag „Überall ist Wunderland“. Wenn die beiden Künstler, die

auch Lebenspartner sind, von Augsburg nach Kirchheim reisen, so kommen sie nicht in die Fremde, sondern sozusagen in eine künstlerische Heimat, passend zum Leitthema, denn sie sind von verschiedenen Auftritten her bekannt. Letztes Jahr brachten sie ihren Zuhörern Brecht näher. Auch ihretwegen waren wohl die Stuhlreihen der Stadtbücherei trotz der Terminverschiebung und trotz der Konkurrenz des Sommernachtskinos gleich gegenüber gut besetzt.

Karla Andrä hat einen Reisekoffer mit kurzen Texten verschiedenster Autorinnen und Autoren gefüllt. Gemeinsam ist ihnen die Sehnsucht nach einer Heimat. Sie sind vertrieben aus ihrer geografischen Heimat aus politischen Gründen (Heine, Brecht, Biermann), wegen ihrer jüdischen Herkunft (Rose Ausländer, Hilde Domin), oder sie sind auf der Heimatsuche in ihrem Inneren wie die Romantiker Wilhelm Müller oder Joseph von Eichendorff. In der Gegenwart gibt es das Heimatproblem der Immigranten wie bei der türkischstämmigen Alev Tekinay oder dem bulgarischstämmigen Ilija Trojanow. Eine zeitlose Gruppe bilden die Sesshaften, denen die „Heimat“ zu eng ist und die sich nach einem „Tapetenwechsel“ (Hildegard Knef) sehnen.

In abwechslungsreicher Reihenfolge folgen nun die Texte aufeinander, vorgetragen von der gelernten Schauspielerin Karla Andrä, wie gewohnt mit dem gerade notwendigen Aufwand an schauspielerischen Zutaten. Der Koffer und eine kleine Bank, das sind die ganzen Spielrequisiten und ihr farbenfrohes Kleid, das Reiselust erweckt. Die Schauspielerei deckt die Wirkung der Texte nicht zu, sondern verstärkt sie. Josef Holzhauser ist in derselben Absicht auf der musikalischen Ebene mit seinen Gitarren tätig. „Texte und Töne“, heißt es im Untertitel des Programms. Und diese Töne findet Holzhauser. Gleich am Anfang setzt er mit seiner faszinierenden Version von „Over the rainbow“ ein thematisches und stimmungsmäßiges Signal. Die meisten anderen Überleitungen und Begleitungen sind Eigenkompositionen.

Zu Beginn werden die verschiedenen Formen der Heimatsuche ouvertürenhaft vorgestellt: Hesse, der zurzeit Konjunktur hat, titelt zwar „Heimat haben ist gut“, trifft für sich persönlich aber die Entscheidung: „Mir ist besser, zu suchen und finden statt mich eng und warm an das Nahe zu binden.“ Wolf Biermann hat überhaupt kein „Heimweh nach früher“. Ganz anders empfinden andere politische Flüchtlinge. Heine weiß nicht „Jetzt wohin“, und Brecht zögert im Exil, auch nur einen Nagel in die Wand zu schlagen angesichts des dauernden Wohnsitzwechsels.

Im ersten Teil des Programms dominiert dieser schmerzliche Aspekt der Heimatsuche, ergreifend Rose Ausländers „Mutterland“: „Mein Vaterland ist tot/sie haben es begraben/im Feuer/ich lebe/in meinem Mutterland/Wort“ und Hilde Domins „Ziehende Landschaft“. In der zweiten Hälfte wird die Stimmung etwas tröstlicher: Heimat ist dort, wo es einem gut geht – wie Horaz schon vor zweitausend Jahren festgestellt hat. Eine der Lebenssituation abgerungene Heiterkeit, die schon im ersten Teil angeklungen war, wird durch Christian Morgenstern und Joachim Ringelnatz immer vernehmlicher, und schließlich findet die Seele in J. v.Eichendorffs unsterblicher „Mondnacht“ und Rilkes „Vor lauter Lauschen und Staunen“ ihre Ruhe. Die Zuhörer und Bibliotheksleiterin Ingrid Gaus nahmen diese Botschaft dankbar entgegen.