Kirchheim
Auf der Suche nach Identität 

Frauenkulturtage Die Journalistin und Buchautorin Laura Cwiertnia hat aus ihrem neuen Dokuroman gelesen.

Kirchheim. In „Auf der Straße heißen wir anders“ verarbeitet die in Bremen geborene Autorin mit einer deutschen Mutter und einem armenischen Vater die eigene Familiengeschichte von vier Generationen. Anlass ihrer Reise in die eigene Vergangenheit war der Tod der Großmutter Maryam, die in den 60ern als Gastarbeiterin nach Deutschland gekommen war. Sie teilte ihr Schicksal mit rund 700 000 Gastarbeiterinnen, die allein gekommen waren und ihre Männer und Kinder in der alten Heimat zurücklassen mussten, was später häufig zu großen Konflikten innerhalb der Familien führte.

Zunächst erfuhren die überwiegend weiblichen Zuhörer an diesem Abend etwas über die zwei Protagonisten: die Enkelin Karla und ihren Vater Avi. Die zwei befanden sich gerade in der Abflughalle eines Flughafens in Richtung Armenien. Eine spannende Suche nach Identität und der „Lücke“ im Leben von Karla begann, über die immer nur geschwiegen worden war. Der Vater hatte mit der Vergangenheit abgeschlossen und schwieg, zumal er in Istanbul aufgewachsen war und keinen Bezug zu seinen armenischen Wurzeln mehr hatte. In Karla weckte dieses Schweigen Neugier.

Mit Streifzügen durch die Geschichte, über den von der Türkei begangenen Völkermord an den Armeniern während der Zeit des Ersten Weltkriegs, als 1,5 Millionen Armenier Opfer wurden, erzählte die Autorin die Vergangenheit ihrer Familie. Sie sprang in verschiedene Zeitebenen, was ihren Schreibstil mosaikartig erscheinen ließ. Während die Reise mit Karla und dem Vater vorwärtsgewandt war, drangen die Rückblenden immer tiefer in die Geschichte ihrer Großmutter und ihres Vaters ein. In einer Rückblende in ihre eigene Kindheit beschrieb sie, wie die deutsche Gesellschaft auf sie mit „deutschem“ Aussehen und ihren Vater mit fremdländischem Aussehen reagierte. Sobald „das Aussehen“ nicht passte, gehörte man nicht dazu.

In einer zweiten Rückblende erfahren die Zuhörerinnen und wenigen Zuhörer, wie das Leben des Vaters Avi in der neuen Heimat aussah und wie es ihm erging, als er seiner Mutter die Schwangerschaft eines Enkels mit seiner deutschen Freundin beichtete. Großmutter Maryam war nicht sonderlich darüber erfreut. Immer wieder blitzen humorvolle Einlagen auf, die der Schwere des Themas etwas nahmen, was der Autorin beim Erzählen wichtig war. Der Hintergrund blieb das Trauma des Genozids an ihrer Familie. Oft würden solch schwere Erlebnisse von Generation zu Generation weitergegeben, was wissenschaftlich belegt sei, erklärte sie.

Auch in deutschen Familien wäre das Schweigen über die Dinge aus der Vergangenheit groß gewesen. „Das Schweigen gibt Traumata stärker weiter als das Reden“, dessen war sie sich sicher. Junge Menschen wären in dieser Gesellschaft angekommen, erläuterte die Autorin. Dennoch hätten ganze Generationen und insbesondere Frauen die deutsche Sprache nie gelernt. Rasch landete die Gesprächsrunde beim Thema „Kopftuch“. Daran schieden sich die Geister. Die Autorin schlug vor, nicht übereinander zu reden, sondern miteinander. Helga Single