Kirchheim
Brecht war auch ein Poet

Literatur Karla Andrä und Josef Holzhauser gastierten im Rahmen von „Texte und Töne“ mit Brechts Lyrik in der Stadtbücherei Kirchheim. Von Ulrich Staehle 

Schlagen Sie Brecht auf“, rief Karla Andrä nach der zweiten Zugabe dem immer noch applaudierenden Publikum zu. Die Begeisterung sollte dazu führen, einmal oder wieder einmal Brecht zu lesen.

Die Stücke Brechts werden, mit Ausnahme der Dreigroschenoper, kaum mehr aufgeführt. Doch es gibt auch den Lyriker Brecht. „Zweitausenddreihundert Gedichte hat er geschrieben“, teilt

 

„Mit einem Satz ist man bei Brecht im Politischen.
Karla Andrä

  

sie noch mit. Die Schauspielerin Karla Andrä und der Gitarrist Josef Holzhauser, die in der Stadtbücherei im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Text und Töne“ ein Gastspiel geben, kommen aus Augsburg, wo Brecht 1898 geboren wurde und aufgewachsen ist. Daher ihr Anliegen, Brecht nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Vor ziemlich genau zehn Jahren waren sie schon einmal in gleicher Mission in Kirchheim. Nun hat die neue Leiterin der Stadtbücherei, Carola Abraham, sie wieder eingeladen anlässlich Brechts 65. Todestages. Wer damals mit dabei war, freut sich darüber, Bekanntes wieder in bewährter Darbietung zu genießen und einige neue Programmpunkte kennenzulernen. Schließlich ist im Grunde alles neu, denn nach zehn Jahren hat sich die Welt verändert und Texte werden in verschiedenen Zeiten verschieden wahrgenommen. Das Anliegen der Gäste aus Augsburg ist das gleiche wie damals: Sie wollen, dass Brecht als Poet entdeckt wird. Marxist und Klassenkämpfer bleiben im Hintergrund.

Den inhaltlichen und stimmungsvollen Rahmen bietet Brechts Gedicht „O Lust des Beginnens“. Hier spricht kein fins­terer, verbitterter Klassenkämpfer, sondern ein Mensch voller Lebenslust. Im Gedicht „Der Blumengarten“ wünscht sich das lyrische Ich, so produktiv zu sein wie dieser. Brecht genießt intensiv das Schwimmen im Fluss („Vom Schwimmen in Flüssen und Seen“). Und er, der Frauenverbraucher, schreibt, ja, Liebesgedichte. Diese bewegen sich zwischen der zynischen Einstellung zur Liebe in den bekannten „Erinnerungen an Marie A.“ und wirklich innigen Äußerungen im Alter: „Deine Sorg ist meine Sorg / Meine Sorg war deine / Hattest du eine Freud nicht mit / Hatt’ ich lieber keine“. Er gesteht sich auch zu, verliebt gewesen zu sein und dadurch geschwächt: „Schwächen: Du hattest keine / Ich hatte eine / Ich liebte.“

Aber das räumt Karla Andrä ein: „Mit einem Satz ist man bei Brecht im Politischen.“ Es gibt eine Kluft zwischen oben und unten. Die populären Songtexte aus der „Dreigroschenoper“ kamen bei diesem Thema auch zum Vortrag.

Doch man ist dieser Begebenheit nicht hoffnungslos ausgeliefert. Nicht von Revolution ist die Rede, sondern von der berechtigten Aussicht, dass „alles sich wandelt“, dass hartes Gestein dem weichen Wasser weichen muss. Von dieser Weisheit spricht der Lehrer Laotse „auf dem Weg in die Emigration“. Die Verhältnisse werden sich ändern. Auf dem „nicht abgeholten Grabstein“ Brechts darf deshalb nach seinem eigenen Willen stehen, dass sein Leben gelungen war. Ein Grund, für die Vortragenden, am Schluss wieder in den Jubel von „O Lust des Beginnens“ einzustimmen.

Das Ehepaar Karla Andrä und Josef Holzhauser ergänzt sich ideal. Sie, im auberginefarbenen Kleid, spielt ihre schauspielerische Kompetenz aus, rezitiert die Texte sozusagen mit dem ganzen Körper und arbeitet damit auch den formalen Reichtum der Gedichte Brechts plastisch heraus. Bei „Am Ufer der Moldau“ zeigt sie, dass sie auch singen kann. Partner Holzhauser bietet mit seinem faszinierenden Gitarrenspiel dezente Untermalungen und virtuose Zwischenspiele. Sie bestehen aus eigenen Kompositionen sowie Übernahmen von den Brechtkomponisten Hanns Eisler und Kurt Weill.