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Achselschweiß und Biramost als Energieträger

„Fachwerkbauten unter Druck“: Bauforscher Schäfer referierte zum Auftakt der großen Kirchheimer Fachwerkausstellung

Das Stadtbild Kirchheims hat sich positiv gewandelt, dank gesellschaftlicher Kräfte: Die Bürgerinitiative „Rettet die Altstadt“ bewahrte 1973 eine ganze Fachwerkzeile in der Kornstraße, vom Spital bis zur Gaststätte Waldhorn, vor dem Abriss.

Fachwerkhäuser wie hier in Kirchheim stellen heutzutage touristisches Kapital dar.Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques
Fachwerkhäuser wie hier in Kirchheim stellen heutzutage touristisches Kapital dar.Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Oben genannten Eindruck teilte Bauforscher Gerd Schäfer zahlreichen Besuchern mit, die zu seinem Vortrag „Fachwerkbauten unter Druck“ ins Kornhaus gekommen waren. Der Vortrag bildete den Auftakt zur Ausstellung „Fachwerk in Kirchheim unter Teck – Geschichte und Gegenwart“.

Städte in der Größe Kirchheims seien Wachstumsgemeinden, erklärte Schäfer. Sie hätten das Glück, dass junge Leute am Ort bleiben und nicht abwandern. Es gäbe Menschen, die die Altstadt hegen und pflegen. Hier zeigten sich die Vorzüge des eigenen „Filzes“. Bauforscher, wie sein Kollege Tilmann Marstaller, seien Pfadfinder der Hauserkundung. „Sie stecken die Nase in jedes Zapfloch.“ Bauhandwerker mit Spezialkenntnissen zur Fachwerkrestauration seien gefordert. Meist eignen sie sich ihre Kenntnisse autodidaktisch an. In den Berufsschulen käme die Praxisvermittlung viel zu kurz, von der Altbausanierung ganz zu schweigen. Hier gelte eher der Spruch: „Net geniera, betoniera.“

Schlechter bestellt um den Erhalt der Fachwerkhäuser sei es im ländlichen Raum. Als Beispiel nannte der Referent Creglingen im Main-Tauber-Kreis, bekannt durch den Marienaltar von Tilman Riemenschneider. Auch dort gäbe es wunderschöne historische Gebäude. Doch die Bevölkerung schwindet, junge Leute wandern ab, alte Leute bewohnen die alten Gebäude. „Kein Parkplatz, keine Garage, kein Garten – wie kann man da wohnen“, laute bisweilen der Kommentar. Schäfer hingegen findet diese Atmosphäre „heimelig“. Als ehrenamtlicher Stadtführer führt er Gäste durch Schwäbisch Hall. Natürlich kämen die Touristen wegen der Freilichtspiele und der Museen, aber auch wegen der tollen alten Gassen. Sie seien das Grundkapital des Tourismus. Die Leute fühlen sich dort wohl.

Seit 1972 bestehe ein hervorragendes Gesetz zum Schutz von Kulturdenkmalen. Dieses Gesetz könne jedoch nur eingehalten werden, wenn genügend Personal bei den Gebietsreferenten für Baustellen zur Verfügung stehe. Winfried Kretschmann solle die Stellen aufstocken, anstatt Personal im Denkmalschutz einzusparen. Diesen Seitenhieb konnte er sich nicht verkneifen. Dass so mancher Bauherr den Denkmalschutz als Last empfindet, das drückte ein Spruch aus, den Schäfer an einem Bauzaun in Bad Wimpfen lesen konnte: „Herr, schütze dieses Haus vor Dreck und Schmutz, vor Feuer, Krieg und Denkmalschutz.“

Energetische Maßnahmen könnten nach Ansicht Schäfers nicht bedingungslos von einem Neubau auf einen historischen Fachwerkbau übertragen werden. Unter dem dicken Wintermantel des hermetisch isolierten Vollwärmeschutzes seien schon so manche Holzteile zu Blumenerde geworden. Holz brauche die Luft der Umgebung. Luftdichte Versiegelung führe zu Schimmelbildung. Alte Häuser seien insofern energiesparend, weil sie nicht neu gebaut werden müssen. Die Erhaltung dieser Gebäude basiere hauptsächlich auf körperlicher Energie. „Achselschweiß und Biramost ist die verbrauchte Energie, die eingesetzt wurde.“

Die Zuhörer waren begeistert von dem anschaulichen Vortrag. Bei einem kleinen Imbiss nutzten die Gäste die Gelegenheit, mit Kirchheimer Fachwerkspezialisten ins Gespräch zu kommen. Anschließend konnten sich Zuschauer vor dem Kornhaus von der schweißtreibenden Arbeit der Zimmerleute ein Bild machen. Bei sommerlichen Temperaturen errichteten sie zwischen den Kornhausarkaden einen Vorbau für eine historische Toilette nach Vorbild des abgerissenen Hauses in der Marktstraße 19. Die Ständer dazu stammen ebenfalls aus diesem Haus und sind auf das Jahr 1691 datiert. Dann führten sie vor, wie man mit Muskelkraft, Axt und Breitbeil aus einem Baumstamm im Nu ein Vierkantholz herausarbeitet, weitaus schneller als eine Sägemaschine das könnte. Im Erdgeschoss zeigen Handwerker, Architekten, Behörden und ein historischer Baumarkt Lösungsansätze zur Restauration von historischen Gebäudeteilen anhand von Ausstellungsstücken. Im Untergeschoss hat Museumsleiter Rainer Laskowski mit seiner Archäologie-AG einen Querschnitt durch die gesamte Kirchheimer Fachwerkgeschichte dargestellt (der Teckbote berichtete ausführlich am 18. Mai).