Lokales

Auf der Suche nach Glück

Extremkletterer Thomas Huber gewährte Einblicke in sein Leben zwischen Himmel und Erde

Lenningen. „Im Vakuum der Zeit“ lautete der Titel eines Vortrags, der in der Turn- und Festhalle Oberlenningen zu hören war. Was sich hinter diesem wissenschaftstheoretisch anmutenden Titel verbirgt, wurde eindrucksvoll vermittelt. Warum die

Halle so schnell ausverkauft war, erklärte sich von selbst. Zu Gast war mit Thomas Huber einer der besten Extremkletterer, der mit seinem Bruder Alexander gemeinsam schon zu Lebzeiten zur weltbekannten Legende geworden ist.

Dass der ältere der beiden „Huberbuam“ kein abgehobener Star, sondern ein willensstarker Naturbursche ist, war schon nach wenigen Worten klar. Dass er sich nicht verbiegen lässt, sondern zu seinem Landesidiom steht und auch in Hamburg bayrisch redet, brachte ihm Applaus und viel Sympathien ein. Bis dahin hatten sich die Besucher auch schon etwas an seinen „leichten Akzent“ gewöhnt und daher keine wirklichen Probleme, zu verstehen, was er seinem Publikum unbedingt nahebringen wollte.

Nicht nur die Menge, auch die Vielfalt der Menschen zeigte, dass der Projektgruppe „gut beDACHt“ um Pfarrer Dirk Schmidt ein genialer Coup gelungen ist. Ziel war es schließlich, die Sanierung der Sankt Martinskirche zu unterstützen. und Thomas Huber begeistert Alt und Jung, Extremsportler und Kletterenthusiasten genauso wie Schönwetteralpinisten, Sonntagsspaziergänger oder auch bekennende Nichtsportler.

Zum Auftakt zeigte er aber erst einmal, wie er sich an einem stark überhängenden Felsbrocken nach oben zu kämpfen versucht. Begonnen hat Thomas Huber mit dem Klettern schon im Alter von zehn Jahren und teilt damit diese Leidenschaft nicht nur mit seinem mit ihm gemeinsam eine der stärksten Seilschaften der Welt bildenden Bruder Alexander, sondern auch mit seinen beiden bergbegeisterten Eltern.

Wichtig war ihm bei dem eindrucksvollen Abend in Lenningen aber nicht, die vielen versammelten Menschen durch seine unglaublichen Leistungen zu beeindrucken und durch demonstrierte Kondition und perfekt beherrschte Technik zu verblüffen, sondern ihnen nahezubringen, woher er die enorme innere Kraft nimmt, sich trotz vieler Enttäuschungen und Verletzungen immer wieder neu zu motivieren und zunächst unmöglich Scheinendes doch noch möglich zu machen.

Neben dem sportlichen Ehrgeiz, der die beiden Huber-Brüder immer wieder zu Höchstleistungen befähigt, ist Thomas Huber vor allem die Suche nach dem „Vakuum der Zeit“ wichtig und damit der Moment, in dem die einzige konstante Veränderung im Leben eines Menschen, die unaufhaltsam fortschreitende Zeit, für einen kurzen Moment stehen zu bleiben scheint.

In diesen seltenen, hart erkämpften und für ihn daher „heiligen Momenten“, bildet der normalerweise „Meilen“ vorauseilende Geist eine Einheit mit dem Körper und sorgt damit für eine alle Grenzen sprengende Freiheit und Freude. Wenn er nach unsäglichen Strapazen ganz oben ist und das Gipfelkreuz mit Händen greifen kann, empfindet Thomas Huber jedes Mal aufs Neue „ein Moment der Leere, des Nichts“, das dann aber sofort Platz macht für ein wahres Feuerwerk geradezu süchtig machender Glücksgefühle, die der dreifache Vater immer wieder und möglichst oft erleben will – in den Bergen genauso wie im Kreis seiner Familie.

Auf die Frage, was bei seinen halsbrecherischen Unternehmungen am schwierigsten ist, antwortet er „der Abschied von meiner Frau und meinen Kindern“. Wie nah Scheitern und Erfolg zusammenliegen, weiß er ganz genau und schilderte daher seine Annäherungen an die Drei Zinnen.

Im Jahr 2000 hatte Alexander Huber eine nur mit Normalhaken abgesicherte Route an der Westlichen Zinne eröffnet und ein Jahr später auch noch in einem Zug frei durchstiegen. Thomas Huber hatte daraufhin überlegt, dass es doch möglich sein müsse, die Drei Zinnen alle gleich an einem Tag zu meistern. Um das in 24 Stunden schaffen zu können, musste die Zeit für den Abstieg allerdings auf ein absolutes Minimum reduziert werden. Dem mühsamen Aufstieg sollte daher ein Base-Jump von der gerade erkletterten Steilwand – also ein fallschirmunterstützter Sprung in die Tiefe – und ein „Sprint“ zur nächsten Zinne folgen.

Bei einem Start um Mitternacht war es theoretisch möglich, am frühen Vormittag schon von der ersten Zinne zu springen, die Tagesmitte mit der zweiten zu verbringen und in der wieder hereinbrechenden Dunkelheit das dritte Gipfelkreuz anzusteuern, um mit einem letzten Sprung in die Nacht das selbst gesetzte 24-Stunden-Limit gemeinsam mit seinem Freund Dean Potter einzuhalten.

Thomas Huber hatte sich darauf eingestellt, dass er nach dieser Tortour „seine Unterarme schon ein bisschen spüren“ wird. Ein frühes Knacken in der Schulter und starke Schmerzen hatte ihm dann aber schlagartig bewusst gemacht, dass er in den kommenden Stunden mit einem Sehnenriss in der Schulter keinen Gipfel mehr stürmen wird.

Eine Operation und vier Monate Ausfallzeit folgten. Durch ein Bild der Drei Zinnen hoch motiviert, trainierte er hart und war bald wieder fit. Nachdem er beim Sprung von der Großen Zinne von heftigem Rückenwind gepackt und in eine Geröllhalde geschleudert wurde, kam er erneut in die Klinik. Beim 2008 unternommenen dritten Versuch war er mit seiner Ärztin schon per „Du“, brauchte sie dieses Mal aber nicht. Gegenwind hatte er dennoch. In greifbarer Nähe des Gipfels ging plötzlich seine Lampe aus. Der Akku war leer und Thomas Huber räumt ein, dass alles was er in diesem Moment größter Enttäuschung von sich gegeben habe „brutal unchristlich“ gewesen sei.

Wer von sich sagt: „Ich bin eine Maschine. Wenn ich losgehe, gehe ich“, kann sich aber nicht gut von einem leeren Akku vom eingeschlagenen Weg abbringen lassen. Thomas Huber sprang schnell in die Tiefe und kletterte nochmals lange nach oben. Die „Kleine Zinne“ bereitete ihm nach den vorangegangenen verschärften Strapazen dann allerdings enorme Probleme. 22 Stunden war er schließlich schon nonstop unterwegs gewesen, als er doch noch das unendliche Glücksgefühl des „Vakuums der Zeit“ mit jeder Faser seines Körpers spüren durfte.

Mit einer wochenlangen Expedition in die Antarktis, wo er gemeinsam mit seinem Bruder und Stephan Siegrist mit der Erstbesteigung der Westwand des Holtana aufhorchen ließ und nach diesem dritthöchsten Gipfel dieser Gegend mit dem Ulvetanna in gleicher Besetzung auch noch den höchsten Gipfel bezwang, schloss er ein sehr erfolgreiches und gut „zeit-vakuumiertes“ Jahr 2008 ab.

Das Finale seiner perfekt inszenierten Multivisions-Show bestritt er dann im 8 611 Meter hohen Karakorum-Gebirge in Zentralasien, wo er mit seinem Bruder, Franz Hinterbrandner und Mario Walder eine sogenannte „Rotpunktbegehung“, also einen freien Durchstieg ohne Sturz, der Route „Eternal Flame“ am „Nameless Trago Tower“ schaffte.

Seinen wichtigsten Sieg feierte Thomas Huber freilich fernab aller Gipfelkreuze. Ein im Jahr 2011 diagnostizierter Nierentumor hatte sich als gutartig erwiesen und konnte erfolgreich entfernt werden. Das sorgte vermutlich für das bislang größte „Vakuum der Zeit“ im Leben des ambitionierten 47-jährigen Extremkletterers und Familienvaters.