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Hobeln, kosten und Gutes verkünden

Winfried Kretschmann war gestern zu Gast auf dem Archemarkt im Freilichtmuseum in Beuren

Ministerpräsident Winfried Kretschmann stattete gestern dem Archemarkt im Freilichtmuseum in Beuren einen Besuch ab. Im Schlepptau von Bodyguards und zahlreichen Pressevertretern probierte er unterschiedliche Köstlichkeiten und hobelte Filderspitzkraut.

Ministerpräsident Kretschmann beim 9. Archemarkt im Freilichtmuseum mit Landrat Eininger beim Filderkraut hobeln
Ministerpräsident Kretschmann beim 9. Archemarkt im Freilichtmuseum mit Landrat Eininger beim Filderkraut hobeln

Beuren. Als Ministerpräsident hat man es nicht immer einfach: Da muss man zum Beispiel Schwarzen Brei probieren – und das vor einer Meute von Pressefotografen und Kameraleuten. Mit einem Holzlöffelchen führt er sich das aus Wasser, Musmehl und etwas Salz hergestellte Gemisch, das mit geschmelzten Zwiebeln, Speck und Schmalz verfeinert wurde, in der Bauernstube des Wohn- und Stallhauses im Freilichtmuseum zum Mund – und alle warten gespannt auf das Resümee. Kretschmann kaut und schluckt und schaut – und dann: „Ka ma essa“, sagt der Stargast des Tages schließlich in breitestem Schwäbisch, und Museumsleiterin Steffi Cornelius atmet auf.

„Überraschend gut geschmeckt“ habe der Schwarze Brei, sagt der Ministerpräsident noch, als das Schüsselchen leer ist. Zuvor durfte er an einer anderen Station des Archemarkts eine weitere außergewöhnliche, für manche eher gewöhnungsbedürftige Köstlichkeit versuchen: Albschnecken, und zwar in einer besonderen Variante: als Wurst und als Praline. „Ich finde Schnecken als Vorspeise gut“, lautete Kretschmanns Statement dazu. „Was man an Austern finden kann, nachdem man Schnecken gegessen hat, ist mir völlig schleierhaft.“

Doch nicht nur zum Probieren und Filderspitzkraut-Hobeln ist der Grünen-Politiker an diesem herrlichen, sonnigen Nachmittag ins Beurener Freilichtmuseum gekommen; er hat Steffi Cornelius, dem Landrat des Kreises Esslingen, Heinz Eininger, den anwesenden Bundestags- und Landtagsabgeordneten und den zahlreichen anderen Besuchern auch eine frohe Botschaft zu verkünden: Die Landesregierung hat beschlossen, die Fördermittel für die sieben Freilichtmuseen im Land ab dem Haushaltsjahr 2015 um 150 000 Euro zu erhöhen. Künftig erhalten die Museen also insgesamt 750 000 Euro im Jahr. Sichtlich erfreut über diese Nachricht ist der Landrat, der sich zuvor in seiner Begrüßungsrede bewusst nicht zu Zuschussanträgen äußerte und in diesem Rahmen keine Forderungen stellen wollte. „Es ist immer schöner, wenn es von selbst kommt und man es nicht sagen muss“, meint Eininger mit einem Augenzwinkern.

Das zusätzliche Geld jedenfalls könne man sehr gut gebrauchen, zumal ja bei den Gebäuden im Museumsdorf immer wieder Sanierungen anstünden. Der Landrat präsentiert dem Ministerpräsidenten auch das neue Informationsgebäude, den einzigen Neubau des Museums. Außerdem verweist er auf das ehrwürdige Haus Bühler aus Öschelbronn bei Herrenberg, erbaut im Jahr 1799, das in Beuren wieder aufgebaut wird. „Im nächsten Jahr wollen wir das Gebäude, das viele Tagungsmöglichkeiten bietet, in Betrieb nehmen“, informiert Eininger.

Mit dem Asylkompromiss und anderen politischen Fragen will Eininger den Ministerpräsidenten an diesem Nachmittag nicht konfrontieren. Vielmehr möchte er ihm das Museum – „einen beliebten Freizeit- und Kulturort“ – und den Archemarkt zeigen, der zum neunten Mal in Beuren zahlreiche Besucher anlockt. „Essen, was man retten will“: So lautet das Motto der Veranstaltung des Freilichtmuseums und der Stuttgarter Regionalgruppe von Slow Food Deutschland. Vorgestellt, verkostet und verkauft werden „Archepassagiere“ aus dem Slow-Food-Projekt „Arche des Geschmacks“ – also selten gewordene und vom Verschwinden bedrohte Nutzpflanzen und die daraus hergestellten Lebensmittel. Neben den Albschnecken und dem Schwarzen Brei gibt es zum Beispiel Alblinsen, Backwaren aus Dickkopfweizen, fränkischen Grünkern und Stuttgarter Geißhirtle.

Das Motto des Archemarkts bezeichnet Kretschmann als paradox; doch dieser scheinbare Widerspruch verweise auf eine Tatsache: „Was nicht gegessen wird, wird vergessen.“ Es gelte, regionale und wertvolle Lebensmittel vor dem Vergessen und Verschwinden zu bewahren. „Es geht aber auch darum, das kulinarische Erbe der Region zu retten“, ergänzt Kretschmann. Dieses Erbe sei in Gefahr, weil weltweit vertriebene Massenprodukte sie verdrängen würden. Die Industrialisierung führe zu Vereinheitlichung. „Geschmacklich kann man keinen Fortschritt erkennen.“ Auch die ökologische Entwicklung sei bedenklich, wenn zum Beispiel Äpfel von der anderen Seite des Globus‘ stammen oder in den USA ein „gigantischer Pestizideinsatz“ stattfinde.

Zur Globalisierung, von der die Menschen in Deutschland ja auch leben würden, gebe es einen gegenläufigen Trend: die Slow-Food-Bewegung. Es sei erfreulich, dass diese auch durch Veranstaltungen wie den Archemarkt auf regionale, selten gewordene Produkte hinweist und dazu animiert, bei regionalen Erzeugern einzukaufen. „Ökologische Ziele muss man nicht mit dem erhobenen Zeigefinger erreichen“, ergänzt Kretschmann. „Eine engagierte Zivilgesellschaft ist entscheidend, die diese Produkte fördert und unter die Leute bringt.“

„Wir sind ein Industriestandort, aber wir sind auch gesegnet mit einer reichen Kulturlandschaft“, fügt Kretschmann hinzu. „Das macht unseren Charme aus“; und die Menschen würden beides benötigen. Das Freilichtmuseum in Beuren setze sich dafür ein, dass gewisse Kenntnisse bewahrt und weitergetragen würden, sagt der Ministerpräsident auch in die Kamera eines Fernsehteams von ZDFneo, das ihn an diesem Tag begleitet. Lobende Worte gibt es zudem für den Einsatz der Museumsverantwortlichen für die Streuobstwiesen. Insgesamt habe das Freilichtmuseum „eine sehr, sehr wichtige Funktion.“

Winfried Kretschmann (links) und Landrat Heinz Eininger beim Hobeln von Filderspitzkraut - der Spaß kam dabei nicht zu kurz. Die
Winfried Kretschmann (links) und Landrat Heinz Eininger beim Hobeln von Filderspitzkraut - der Spaß kam dabei nicht zu kurz. Die beiden haben sich beim Archemarkt außerdem Schwarzen Brei schmecken lassen (kleines Bild).Fotos: Genio Silviani