Lokales

Keiner kommt ungerupft davon

Kabarettprominenz in Kirchheim: Mathias Richling gibt ein Gastspiel in der gut gefüllten Stadthalle

Mathias Richling - "Deutschland to go" in der Stadthalle Kirchheim
Mathias Richling - "Deutschland to go" in der Stadthalle Kirchheim

Kirchheim. Er trägt eine schicke Krawatte, doch der schwarze Anzug passt überhaupt nicht. Die Ärmel lassen die Handgelenke frei, und die

Ulrich Staehle

Beinröhren signalisieren Hochwasser. In dieses Kleidungsstück gezwängt, fegt der spirrlige Mann geradezu schwerelos auf der Bühne herum, schiebt Kofferständer hin und her, setzt sich in einen mit den deutschen Nationalfarben dekorierten Sessel, steht aber gleich wieder auf, um durch eine der Türen ab- und bei der anderen wieder aufzutreten. Und er redet und redet.

Die Rede ist von Mathias Richlings Auftritt in der Stadthalle. In den Genuss dieser Kabarettprominenz kam Kirchheim sicherlich auch dadurch, dass Richling nicht mehr so wie früher im Scheinwerferlicht der TV-Programme steht. Er gehörte zur Mannschaft von Dieter Hildebrandts „Scheibenwischer“ und führte nach Hildebrandts Ausscheiden die Sendung weiter. Hildebrandt machte ihm den Vorwurf, dass er in einer Politsatiresendung der Comedy zu viel Raum gibt, und griff ein.

Nach dieser Kontroverse konnte man gespannt sein, welche Stilrichtung Richling live bei einem Soloauftritt einschlägt. Von Anfang an ist klar: Richling politisiert. Er setzt Texte aus seinem Buch „Deutschland to go“ auf der Bühne um, indem er Koffer in den Parteifarben präsentiert, sie öffnet und die darin steckende Wahrheit an den Tag bringt.

Seine bekannte Imitationsfähigkeit setzt er ein, wenn er Repräsentanten von Parteien zu Wort kommen lässt. Dabei ist nicht mehr wie einst bei seinen TV-Auftritten der Aufwand eines Ganzkörperkostüms möglich, und das ist gut so. Er bleibt in seinem Anzügle und arbeitet nur mit Accessoires, mit Gestik und vor allem mit seiner Stimme, um eine Person zu evozieren. Bei Merkel stellt er sich hinter eine blaue Kostümjacke, als Heiner Lauterbach bringt er einen Ärztekoffer mit, als Seehofer schwenkt er ein Bierglas.

All das erwärmte das Publikum in der kalten Stadthalle, das Gelächter konnte aber eher Galgenhumor sein. Hinter den hochtrabenden Phrasen und Gesten der Figuren aus Politik und Gesellschaft treten deprimierende Tatbestände zutage, Ahnungslosigkeit oder Eigeninteressen und Betrug. „Merkel“ antwortet auf die Frage nach den Auslandseinsätzen der Deutschen: „Haben gerade einen gehabt, in Brasilien“. Lauterbach diagnostiziert Schwindsucht bei der SPD, Özdemir verscherbelt die Ideale der Grünen, Seehofer stemmt sich gegen die vielen Ausländer: „Die Deutschen sind den Bayern fremd genug:“

Der Schwabe Richling – er wird vom Schwabenspezialisten Ulrich Kienzle in „Kienzle und die 17 Schwaben“ als prominenter Schwabe aufgeführt, ist alles andere als schwäbisch maulfaul. Er hat, schwäbisch gesprochen eine „Schwertgosch“. Mit diesem Schwert exekutiert er alles, was einer freiheitlichen Demokratie schadet. Das sind die Repräsentanten der Politik und der Gesellschaft, die doch eigentlich Vorbilder sein sollten, und das sind die Meinungsmacher und die Medien.

Es fehlt an einer verantwortungsvollen Moral der Herrschenden, die eigentlich im Auftrag des Volkes dienen sollten. Die Werte der Demokratie werden im Namen ihrer Rettung beseitigt, zum Beispiel durch den Überwachungsstaat und die Waffenexporte in undemokratische Länder. Dieser Kahlschlag der Werte geschieht sprachlich in einem ungeheuren Tempo („Sie müssen halt schneller hören“), die Sätze sind oft absichtlich abgehackt und ineinander verkeilt. So kommen scheinbar unabsichtlich Wahrheiten ans Licht.

Das ist lustig und trägt über die rabenschwarze Bestandsaufnahme hinweg. Nichts passt in der Gesellschaft dem Satiriker, wie sein Anzug. So ganz trostlos lässt er sein Publikum in der gut gefüllten Stadthalle aber nicht zurück. Er bedankte sich bei ihm für die „Mitarbeit“ mit zwei Zugaben. In der ersten, einem Dialog der beiden Exkanzler Schmidt und Schröder, spielte der Imitationskünstler noch einmal sein ganzes Können aus. Der zweite bildete den finalen Glanzpunkt an Sprachartistik. Bei einem fiktiven, sehr aktuell wirkenden Gespräch zwischen Merkel und Putin überschwemmt Putin die Gesprächspartnerin mit einem Redeschwall, einem wahren Tsunami von Pseudorussisch mit deutschen Brocken, dass der verdutzten Kanzlerin die Sprache wegbleibt. Auch verbal gab es Trost auf den Weg: „Man kann mit den Deutschen alles machen, sogar zur Not eine Demokratie.“

Foto: Markus Brändli