Lokales

Nachbarschaftshilfe in Reinkultur

Der Kirchheimer Tauschring hat im vergangenen Jahr über 300 Tauschaktionen betreut

Rund 3 500 Stück seiner virtuellen Währung „Teckie“ hat der Kirchheimer Tauschring im vergangenen Jahr bei 303 Tauschaktionen umgesetzt. Das entspricht rund 875 Stunden ­getauschter Hilfe.

Lesen statt telefonieren: Eine ausrangierte Bücherzelle dient dem Kirchheimer Tauschring seit dem vergangenen Jahr als öffentlic
Lesen statt telefonieren: Eine ausrangierte Bücherzelle dient dem Kirchheimer Tauschring seit dem vergangenen Jahr als öffentlich zugängliches Büchertauschregal.Foto: privat

Kirchheim. Der „Teckie“ trägt seit Mai 2005 dazu bei, dass sich die Bürger Kirchheims in gegenseitiger Hilfe üben. Eine Hand voll ehrenamtlich Engagierter machte sich vor sieben Jahren mit Unterstützung der städtischen Fachstelle Bürgerengagement daran, in Kirchheim einen Tauschring ins Leben zu rufen. Das Prinzip dahinter: Wer für andere eine Arbeit erledigt, die diese nicht selbst erledigen oder mit harter Münze bezahlen können, bekommt dafür Punkte gutgeschrieben, die sogenannten „Teckies“, für die er dann andere Dienstleistungen eintauschen kann – Nachbarschaftshilfe in Reinkultur und ein Beitrag zur Müllvermeidung, weil manches Gebrauchte nicht weggeworfen, sondern wiederverwertet wird.

Einen „Teckie“ gibt es für eine Viertelstunde Arbeit, annähernd 3 500 haben die Tauschring-Mitglieder 2011 getauscht. Das entspricht rund 875 Stunden, in denen Menschen für andere den Garten umgegraben, Fahrräder repariert, kleinere Reparaturen rund ums Haus erledigt oder sie beim Einkaufen oder zum Arzt begleitet haben. Angebote dieser Art wurden im vergangenen Jahr besonders gerne und oft in Anspruch genommen, ebenso wie PC-Hilfe, Kulinarisches, Kreatives oder Massagen.

Manches Unternehmen würde sich freuen, könnte es ähnliche Zuwachsraten verzeichnen wie der Tauschring. Die Zahl derer, die sich an der gegenseitigen Tausch-Hilfe beteiligten, hat sich vom Start 2005 bis ins Jahr 2011 von 52 auf 303 fast versechsfacht. Tauschten vor sieben Jahren nur 22 Prozent der Teilnehmer, so sind es aktuell mehr als 72 Prozent.

Die Kirchheimer Stadtverwaltung habe beim Tauschring Starthilfe geleistet durch die Mitarbeit ihrer Angestellten Heike Kunz im Leitungsteam, sagt Petra Schnitzler. Sie ist eine der „Frauen der ersten Stunde“ im Tauschring. Rolf Hohmeyer, sie selbst, Martina Zweigle, Jürgen Stumpf und Michaela Gernert bildeten zu Anfang den harten Kern. Die drei Letztgenannten sind mittlerweile aus beruflichen Gründen nicht mehr dabei, dafür ist Jürgen Riedelsheimer hinzugestoßen. Er kümmert sich um das „Tauschring-Blättle“, das die momentan 84 Teilnehmer jedes Quartal über neue Angebote und Termine informiert. Außerdem nennt es Adressen von denen, die eine Dienstleistung anbieten, und gibt einen Überblick über den eigenen Stand an „Teckies“.

Um den Tauschring über jetzt sieben Jahre am Leben zu erhalten, sei manchmal ein „langer Atem“ nötig, blickt Petra Schnitzler zurück. „Wir sind mehr oder minder ein Spiegelbild der Gesellschaft: Viele Leute nehmen die Angebote, die sie finden, gerne in Anspruch, wenn es aber dann darum geht, selber jemandem den Rasen zu mähen oder seine Fenster zu putzen, hält sich die Bereitschaft manchmal in Grenzen.“

Am öffentlichsten sichtbar ist das Engagement der Ehrenamtlichen vom Kirchheimer Bürgerbüro am Alleenring vor dem Wachthaus: Dort, am oberen Eingang der Fußgängerzone in der Marktstraße, steht seit genau einem Jahr die „Kirchheimer Bücherzelle“ - eine ausrangierte Telefonzelle als rund um die Uhr geöffnetes Büchertauschregal, aus dem jeder Besucher Bücher mitnehmen oder welche hineinstellen kann. Petra Schnitzler sieht dort ein bis zwei Mal die Woche nach dem Rechten, räumt auf und sortiert neue Bücher ein.

Als die Bücherzelle vor genau einem Jahr von Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker eröffnet wurde, brachte sie als eigenen Beitrag zum Sortiment einen relativ neuen und beliebten Roman mit. Bücher dieser Art würden in den Regalen am Rossmarkt nicht alt, sagt Petra Schnitzler. Vor allem Sachbücher, die 20 oder 30 Jahre alt sind, und Bücher in schlechtem Zustand, seien aber schnell Ladenhüter.

Obwohl die Bücherzelle Tag und Nacht offen ist und an einem gut frequentierten Ort steht, wird sie nach ihren Beobachtungen kaum beschädigt. Einmal habe zwar jemand gezündelt, da sei sie ums Haar abgebrannt. Aber glücklicherweise habe ein Zeitungsauslieferer den Brand rechtzeitig bemerkt und gelöscht. Die Scheiben an dem alten Telefonhäuschen jedoch seien noch heil, freut sie sich: Einen Ersatz müsste das Bürgerbüro nämlich aus eigener Tasche bezahlen. „Menschen unkompliziert und kostenlos Zugang zu Büchern zu ermöglichen, beim einen oder anderen vielleicht wieder Lust aufs Lesen zu wecken – dazu ist die Bücherzelle hoffentlich noch lange da“, hofft Petra Schweitzer.