Lokales

Unfall war kein Zufall

Führerschein für mindestens fünf Jahre weg

Ein 55-jähriger Nürtinger muss seinen Führerschein für fünf Jahre abgeben. Der Mann war im vergangenen November auf der Autobahn bei Kirchheim mit hoher Geschwindigkeit und ungebremst auf einen Sattelzug aufgefahren. Das Schöffengericht in Kirchheim ging im Urteil von einem Suizidversuch aus.

Kirchheim. Den Versuch der Selbsttötung hat der Chemiker aus Nürtingen gestern vehement bestritten. Seine Erklärungsversuche für den Vorgang auf der Autobahn konnten das Gericht allerdings nicht überzeugen: Er sei am 20. November 2012 kurz vor Mitternacht nur deshalb mit seinem Mercedes unterwegs gewesen, um die hohe Geschwindigkeit zu genießen. Der Geschwindigkeitsrausch könne das Selbstwertgefühl steigern.

Als er mit 200 Kilometern pro Stunde auf dem rechten Fahrstreifen fuhr und vor sich den Sattelzug sah, habe er eigentlich ausscheren und überholen wollen. Das sei jedoch nicht möglich gewesen, weil ihn auf der mittleren Spur „ein silberner Mittelklassewagen“ blockierte. Er habe sich aber für das Ausscheren entschieden, und deshalb sei er eben ungebremst auf den Sattelzug aufgefahren, nachdem ihm die mittlere Spur versperrt war.

Der 38-jährige Lastwagenfahrer sagte im Zeugenstand, dass die Autobahn so gut wie leer war. Einen Mittelklassewagen, der ihn mit Tempo 200 überholt haben soll, hätte er mit Sicherheit bemerkt. Er kann sich aber nur an einen heftigen Aufprall erinnern. Im Rückspiegel bemerkte er dann den Mercedes des damals 54-jährigen Unfallverursachers. Er selbst sei „80 oder 90“ gefahren, sagte der Lastwagenfahrer. Nach dem Aufprall habe er langsam gebremst. Andere Menschen seien hinzugekommen. Gesehen hätten sie allerdings nichts.

Ein Beamter der Autobahnpolizei, der den Unfall aufgenommen hat, erinnerte sich an die Aussage einer Notärztin. Diese habe den Unfallverursacher – nachdem er von der Feuerwehr aus dem Wrack befreit worden war – behandelt. Ihr gegenüber soll er gesagt haben, er habe sich das Leben nehmen wollen. Im Krankenhaus habe der Mann diese Aussage auch dem Polizisten gegenüber wiederholt.

Im Gerichtssaal konnte sich der Beschuldigte nicht daran erinnern, etwas von einem Suizidversuch gesagt zu haben. Auf die konkrete Frage, ob er sich denn tatsächlich das Leben nehmen wollte, sagte er lediglich, er habe es in Kauf genommen, bei der Raserei zu sterben. Aber das müsse schließlich jeder in Kauf nehmen, der mit hoher Geschwindigkeit fahre.

Ein Grund für einen Suizidversuch könnte die Krankheit des 55-Jährigen sein: Seit über 30 Jahren leidet er an einer bipolaren Störung, mit manischen und depressiven Phasen. Immer wieder war er in stationärer psychiatrischer Behandlung. Außerdem nimmt er regelmäßig Medikamente, um die Krankheit in den Griff zu kriegen.

Eine Sachverständige erläuterte, dass eine Prognose über den weiteren Verlauf der Krankheit sehr schwer sei. Allerdings stellte sie klar, dass bei einem wirklichen Unfall – selbst bei dieser Erkrankung – das Bremsen als „Überlebensstrategie“ ein „archaisches Reaktionsmuster“ gewesen wäre.

Das Schöffengericht kam zu der Auffassung, dass es sich tatsächlich um einen Suizidversuch gehandelt haben muss und dass kein weiteres Fahrzeug beteiligt war. Weil der 55-Jährige bei diesem Geschehen eine Vielzahl von Verkehrsteilnehmern gefährdet habe und weil nach wie vor eine Gefahr für die Allgemeinheit bestehe, sei ihm die Fahrerlaubnis für die Höchstdauer von fünf Jahren zu entziehen. Der Staatsanwalt hatte ein lebenslanges Fahrverbot gefordert, der Verteidiger dagegen nur für zwei bis drei Jahre. Eine weitere Strafe gibt es nicht. Wegen seiner Erkrankung war der Mann schuldunfähig. Ansonsten hätte er mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechnen müssen. Ob er allerdings nach Ablauf der fünf Jahre seinen Führerschein wiederbekommt, das steht im Ermessen der zuständigen Behörde – des Landratsamts.