Lokalsport

Die zweite Chance

Stefan Schumacher wagt 2015 mit polnischem Pro-Team einen Neustart

Er hat reinen Tisch gemacht. Spät, aber immerhin. Mehr als ein Jahr nach seinem aufsehenerregenden Freispruch vom Betrugsvorwurf wegen Dopings glaubt Stefan Schumacher an eine zweite Chance. Beim zweitklassigen polnischen Team CCC könnte er im Frühjahr mit 33 Jahren zurückkehren auf die große Radsport-Bühne.

ROT  //    3. Platz fuer Stefan Schumacher (Christina Watches) - Rad-DM Zeitfahren 2013 in Wangen - Elite  - Einzelzeitfahren -
ROT // 3. Platz fuer Stefan Schumacher (Christina Watches) - Rad-DM Zeitfahren 2013 in Wangen - Elite - Einzelzeitfahren - RAD - DM - Deutsche Zeitfahr-Meisterschaft Radfahren - Strasse - Stra?e - ? H. A. ROTH-FOTO - 50259 PULHEIM - Telefon 02238-962790 - www.Roth-Foto.de - Weitere Fotos in der Bilddatenbank www.Augenklick.de und www.Roth-Foto.de , NUR DEUTSCHLAND - *** Local Caption *** - copyright by: ROTH-FOTO , Im Wiesengrund 28 , 50259 Pulheim , Raiffeisenbank Frechen-H?rth , BLZ 37062365 , Kto. 3000518017 , Tel.+49-(0)2238-962790 , Abdruck + jede Verwendung honorarpflichtig. Honorar ist MwSt-pflichtig: + 7% MwSt. Veroeffentlichung ausschliesslich fuer journalistisch-publizistische Zwecke. Verwendung bedingt das Einverstaendniss unserer AGBs: AGBs unter: www.Roth-Foto.de

Nürtingen. Hawaii ist ein guter Ort, um auf andere Gedanken zu kommen. Grandiose Landschaften, einzigartige Natur, Einsamkeit. Beim Wandern mit Ehefrau Ina hat Stefan Schumacher drei Wochen lang abgeschaltet, Kraft getankt, Ballast abgeworfen. Seit Sonntag ist er zurück in Nürtingen. Zurück in seiner Heimatstadt, und wie er hofft, auch bald zurück auf der großen Radsport-Bühne. Den Grundstein dafür hat er schon Anfang Oktober gelegt. Nachdem bekannt geworden war, dass sein dänischer Arbeitgeber Christina Watches zum Jahresende den Betrieb einstellt, hat Schumacher beim Zweitligisten CCC Polsat Polkowice unterschrieben. Ein aufstrebender Rennstall im Radsport-Boomland Polen, eine Klasse höher als bisher und nur noch wenig von dem entfernt, wo der einstige Gerolsteiner-Profi vor seiner Doping-Sperre bereits war: ganz oben.

Schumacher glaubt an seine zweite Chance. Auch wenn er weiß, dass er die Zweifel, die an ihm haften, nicht wird abschütteln können. Erst recht, sollte er im Alter von inzwischen 33 Jahren tatsächlich noch einmal den ganz großen Erfolg haben. Dafür hat er zu häufig und zu lange gelogen. Doch für einen, für den das Leben ohne Radsport keine Alternative ist, gibt es keinen anderen Weg. „Ich bin topfit und ich weiß, dass ich es schaffen kann – sauber.“

Sein neuer Teamkollege bei CCC ist gleichzeitig sein alter: Davide Rebellin, einst mit Schumacher bei Gerolsteiner und vor drei Jahren mit ihm bei Miche in Italien unter Vertrag, hat nach einem Jahr in Polen noch einmal verlängert. Der einstige Weltranglisten-Erste, ebenfalls ein geläuterter Doping-Sünder, ist 43 Jahre alt. Das gilt selbst im Straßenradsport, wo ein langer Atem wichtiger ist als Explosivität, als Grenzbereich. Vergangene Saison hat er für CCC in seiner Heimat Italien den Giro dell‘ Emilia gewonnen. Mit Rebellin wird Schumacher sich im neuen Jahr um die Führungsrolle streiten müssen. Er wagt keine Prognose, wie lange er selbst noch im Sattel sitzen will. ­„Davide ist der beste Beweis, dass es geht“, sagt er. „Ich weiß es nicht, ein paar Jahre noch auf jeden Fall.“

Das wird auch davon abhängen, wie viel von dem wahr wird, wovon er dieser Tage träumt. Mit dem Wechsel zu CCC ist der Nürtinger ein Stück näher an die Beletage des Radsports herangerückt. Die Polen wollen 2016 in die World Tour, sind im kommenden Jahr zum wiederholten Mal ein Kandidat für eine Wildcard bei der einen oder anderen großen Rundfahrt. Ein Start beim Giro, bei der Tour de Suisse oder Ende April beim Klassiker Amstel Gold Race, wo sich Schumacher 2007 als Sieger feiern ließ, wird plötzlich wieder greifbar.

Wenn Ende Januar die Saison mit der Mallorca-Rundfahrt beginnt, ist es für ihn ein Start ins Ungewisse. Seit sechs Jahren ist er keine Rennen mehr über die ganz langen Distanzen gefahren. „Die letzten beiden Jahre“, sagt er, „waren echt zum Abhaken.“ Ein Mammutprozess über 19 Verhandlungstage, drittklassige Rennen, erschwertes Training, keine Motivation. „Ich habe das Ganze unterschätzt“, weiß er heute. „Das hat immens viel Kraft gekostet.“ Mehr als ein Jahr nach seinem Freispruch im Betrugsprozess will er nach vorne schauen und Momente wie im vergangenen Winter vergessen. Da war er am Tiefpunkt angelangt. „Ich habe mich immer häufiger gefragt, wozu ich mich eigentlich noch quäle.“ Jetzt ist die Konzentration auf den Erfolg zurück und auch die Freude am Radfahren. Er ist reifer geworden, er hat geheiratet, er hat seinen Blick auf manche Dinge im Leben verändert. „Ich mache mich nicht verrückt“, sagt Stefan Schumacher. „Ich habe viel trainiert, mein Gewicht stimmt, ich will einfach sehen, wie weit ich komme.“ Das Wichtigste aus seiner Sicht: „Ich freue mich riesig drauf.“

Einen Dienst hat Stefan Schumacher dem Sport erwiesen: Als Konsequenz auf den gescheiterten Versuch der Staatsanwaltschaft, der Seuche Doping mit bestehenden Gesetzen beizukommen, könnte die Politik mit dem jetzt vorgelegten Entwurf bald dafür sorgen, dass Deutschland mit einem Anti-Doping-Gesetz dem Beispiel europäischer Nachbarn folgt. Dann wäre der organisierte Sportbetrug endlich kein Kavaliersdelikt mehr, das der eigenen Gerichtsbarkeit unterliegt, sondern ein Verbrechen im Sinne des Strafrechts.