Lokalsport

Ein Wolf für alle Fälle

Knights-Neuzugang Enosch Wolf gilt als einer der vielseitigsten Center in der zweiten Basketball-Bundesliga

Von einem Glücksgriff zu reden, wäre falsch. Enosch Wolfs Qualitäten waren schon vor seinem Wechsel unter die Teck bekannt. Mit Michael Mai hat der 2,15- Meter-Mann nun einen Trainer gefunden, der ihm die Freiheit lässt, sie auch zu zeigen.

Kein typischer Brett-Center, trotz seiner 2,15-Meter-Körpergröße: Enosch Wolf (links). Foto: Deniz Calagan

Kirchheim. Vom letztjährigen Sorgenkind zum Klassenprimus: Nach zehn Spieltagen stellt das reboundstärkste Team in der Pro A nicht etwa der unangefochtene Spitzenreiter Würzburg, sondern noch immer der Tabellenneunte aus Kirchheim. Hinter der neuen Dominanz der Knights unter den Körben steht vor allem ein Name: Enosch Wolf. Mit durchschnittlich 9,2 Rebounds pro Spiel liegt der 24-jährige im ligaweiten Vergleich auf Platz zwei hinter dem Chemnitzer André Calvin. Am vergangenen Samstag gegen Ehingen erzielte Wolf mit 14 Rebounds und 18 Punkten bereits sein fünftes Double-Double in dieser Saison. Einen ähnlichen Glanzstart im Knights-Trikot legte nur der bis dato erfolgreichste Kirchheimer Rebounder in der Pro A hin: Marcus Smallwood verbuchte in der Saison 2010/2011 in nur 20 Spielen für die Kirchheimer elf Double-Doubles bei einem Schnitt von 10,8 Rebounds pro Spiel. Noch mehr Zahlen? Bitte schön: Wolf ist mit durchschnittlich 18,4 Effektivitätspunkten derzeit der mit Abstand vielseitigste Akteur im Dress der Knights.

Ein Wolf für alle Fälle. Auf jeden Fall: Ein Typ, der Spaß macht. Und einer, der aneckt. Ein Angepasster ist Enosch Wolf in seiner noch jungen Karriere nie gewesen. „Man muss mich nicht mögen“, meint er selbstbewusst. „Aber ich erwarte, dass man mir mit dem gleichen Respekt begegnet, den ich entgegen bringe.“ Wolfs basketballerische Vita beginnt im zarten Alter von acht Jahren in Göttingen. Sein erster Trainer: Vater Horst ein Ex-Nationalspieler, der in den 80er-Jahren sein Geld als Profi in Köln, Gießen und in Ludwigsburg verdiente, wo Enosch 1990 zur Welt kam. Mutter Inken spielte jahrelang für die BG Göttingen in der Bundesliga, sein jüngerer Bruder Julius ist seit diesem Jahr Gegner beim Ligarivalen aus Jena, und auch die Schwester – mit 16 Jahren das Küken in der Familie – ist eine erfolgreiche Basketballerin.

Doch keinem im Wolf-Team haftet das Etikett des Unbequemen, des schlampigen Talents, so hartnäckig an wie dem älteren der beiden Brüder. Wolf wäre nicht Wolf, würde er nicht offen darüber reden. „Ich habe in der Vergangenheit viele Fehler gemacht“, räumt er unumwunden ein und meint damit nicht nur jene Geschichte, die vor zwei Jahren durch die Presse ging. Während seiner dreijährigen Zeit am US-College saß er nach Handgreiflichkeiten gegenüber einer Bekannten für kurze Zeit in Polizei-Arrest, wurde von den „UConn Huskies“, mit denen er ein Jahr zuvor die NCAA-Meisterschaft gefeiert hatte, daraufhin suspendiert. Dass vieles von den damaligen Ereignissen verzerrt wiedergegeben wurde, ärgert ihn heute nicht mehr. Wenn er von Fehlern redet, dann meint er immer auch seinen Sport. Vertane Chancen, verschleudertes Talent. Vom College wagt er im Sommer 2013 den Sprung in die BBL zu den Telekom Baskets nach Bonn. Doch schon in der Winterpause trennen sich die Wege wieder, nachdem er über knapp fünf Minuten Spielzeit nicht hinauskommt. Er wechselt in die Pro A nach Nürnberg, wo es ähnlich schlecht läuft. „Ich habe in den ganzen Jahren nie wirklich was gerissen“, gesteht er heute selbstkritisch ein. Er sagt aber auch: „Man hat mir nie eine echte Chance gegeben.“

Die scheint er in Kirchheim nun zu bekommen – und diesmal ist er offenbar fest entschlossen, sie auch zu nutzen. Dabei ist schwer zu sagen, was zuerst da war: das Vertrauen des Trainers oder seine konstant starken Leistungen vom Start weg. „Wir wussten alle nicht, was uns mit ihm erwartet“, sagt der Kirchheimer Coach Michael Mai, der am Talent des 24-Jährigen zwar nie gezweifelt hat, ihm aber immer wieder klar macht, dass dies allein nicht ausreicht. Offenkundig mit Erfolg. „Enosch tritt dieses Jahr viel ernsthafter, viel reifer auf als in der Vergangenheit“, bescheinigt ihm sein Trainer.

Eine Reife, die sich auch physisch äußert. Vor seinem Wechsel aufs College brachte der 2,15-Meter-Hüne 130 Kilo auf die Waage. „Das war nicht alles Muskelmasse“, räumt er ein. Mangelndes Bewusstsein für die richtige Ernährung, die eine oder andere Party zu viel. Alles in allem: fehlende Professionalität. Sein aktuelles Kampfgewicht beträgt 111 Kilo. Um fettfreie Körpermasse zuzulegen, arbeitet er hart im Fitnessstudio. Ein Unterschied zu früher, der sich auch auf dem Parkett niederschlägt. Enosch Wolf gilt in der Pro A, verglichen mit Kollegen ähnlicher Statur, als einer der Beweglichsten und Athletischsten. Ein Center modernen Typs, der auch mal auf die Flügel ausweicht, das Dribbling beherrscht und über einen guten Wurf aus der Halbdistanz verfügt. Was Körpergröße und Leistung betrifft, kann ihm derzeit kein vergleichbarer Gegner in der Liga das Wasser reichen. Weder der Gießener Björn Schoo (2,13 Meter) noch Vechtas Big Man Oliver Mackeldanz (2,12 Meter).

Wolf hat alles, was man braucht, um als Basketballprofi in Deutschland Erfolg zu haben. Die richtige Größe, den richtigen Pass und neuerdings auch die richtige Einstellung zum Beruf. Die Rückkehr in die BBL ist sein offen formuliertes Ziel im kommenden Jahr. Das Nahziel: „Am Saisonende einer der besten Big Guys in der Pro A zu sein“, sagt Wolf. Damit liegt er im Plan und daran will er weiter arbeiten. An seiner Sprungkraft, seiner Explosivität, seinem Distanzwurf. „Die Gegner studieren dich Woche für Woche per Video“, sagt er. „Wenn du dein Spiel nicht permanent veränderst, dann bist du irgendwann leicht auszurechnen.“

Wer sich konstant entwickeln will, braucht gute Ratgeber. Der wohl wichtigste im Leben des Enosch Wolf ist sein Vater: Er ist bis heute das große Vorbild geblieben. Seine Trikot-Nummer acht trägt auch er auf dem Rücken, und selbst auf dem Spielfeld ist ihm keiner näher als der Vater: Dessen legendärer „Hook-Shot“, der Haken-Wurf, der zum Markenzeichen wurde, ist als großflächiges Tatoo auf Enosch Wolfs linkem Oberarm verewigt. „Like father, like son“ steht dort zu lesen – wie der Vater, so der Sohn.