Weilheim · Lenningen · Umland

Auch „U-Boot-Christen“ sind heute willkommen

Gottesdienst Wer an Heiligabend nach langer Pause mal wieder in die Kirche geht, muss keine Strafpredigt befürchten: Die Geistlichen freuen sich über jeden Besucher. Von Peter Dietrich

Volle Kirchen wie bei Konzerten - so auf diesem Archivbild von der Weilheimer Peterskirche - sind am heutigen Abend die Regel.Fo
Volle Kirchen wie bei Konzerten - so auf diesem Archivbild von der Weilheimer Peterskirche - sind am heutigen Abend die Regel. Foto: Carsten Riedl

Heiligabend ist für mich der schwierigste Gottesdienst im ganzen Jahr“, sagt der katholische Pfarrer Franz Keil. „Ich habe einen hohen Anspruch, ich will den Leuten etwas Gutes mitgeben. Sie haben ein Anrecht darauf, dass diese Feier gut vorbereitet ist.“ Fast die Hälfte der Besucher, schätzt Franz Keil, seien sonst nicht regelmäßig da. „Sie sind mir genauso wichtig wie die anderen, die regelmäßig kommen.“ Von Schelte, etwa dem Vorwurf, da kämen „U-Boot-Christen“, hält der Pfarrer gar nichts. Der Gottesdienstbesuch sei ein erfreuliches Zeichen, „dass zumindest Weihnachten für sie ganz wichtig ist“.

Ein Anknüpfungspunkt ist für Franz Keil die Musik: „Kein Heiligabend ohne ‚Stille Nacht‘. Auch wenn der Text fragwürdig ist, das muss einfach sein. Wenn man das weglässt, verspielt man Emotionen.“ Gerade in diesen unruhigen Zeiten sei Weihnachten eine Hoffnungsbotschaft. „Ich denke, dass die Kirche einiges anzubieten hat. Die Menschwerdung Gottes ist etwas Hoffnungsvolles.“ Auf die Krippenfeier um 16 Uhr folgt in St. Ulrich um 22 Uhr die Mitternachtsmesse. Früher war sie tatsächlich um Mitternacht, und Pfarrer Keil fragt sich, ob man sie nicht zurückverlegen sollte, dann bliebe am Abend zuhause mehr Zeit.

„Ich freue mich sehr auf Weihnachten“, sagt Daniel Trostel, evangelischer Pfarrer in Dettingen und Stellvertreter von Dekanin Renate Kath. „Das ist eine Chance, die Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Ich freue mich über solche, die jeden Sonntag kommen, aber auch über solche, die nur heute erscheinen.“ Nach dem Familiengottesdienst um 15 Uhr in der Georgskirche fährt Daniel Trostel nach Notzingen, denn die dortige Pfarrstelle ist gerade vakant. Den größten Dettinger Gottesdienst, die Christvesper um 17 Uhr mit dem Posaunenchor, leitet sein Kollege Wilfried Veeser. „Da ist mit 500 bis 600 Leuten die Hütte voll.“ Um 22 Uhr gibt es eine meditative Bildbetrachtung mit Vikar Dr. Stefan Opferkuch: „Die Vielfalt ist uns wichtig.“ Die Pfarrer sind bei der Predigt an Heiligabend frei: „Für mich muss es auf jeden Fall ein Text zur Liebe Gottes sein.“

Wie ist das mit der Familie? „Ich bin selbst Pfarrerskind, bin das gar nicht anders gewohnt“, sagt Daniel Trostel. „Die Kinder sind alle als Musiker im Gottesdienst engagiert.“ Zuhause gefeiert wird dann ab 19 Uhr, wenn alle da sind. An Weihnachten kämen viele Menschen mit Sehnsucht in den Gottesdienst, sagt Trostel, Sehnsucht nach Glück und Zufriedenheit. „Ich will weitergeben, dass Gott diese Sehnsucht stillen möchte.“ Hat der Pfarrer schon Rückmeldungen bekommen? „Einmal habe ich über Vergebung durch Gott und untereinander gesprochen. Danach hat sich ein Mann gemeldet, den das angesprochen hat, er kommt seitdem immer wieder.“

„Auch in der evangelisch-methodistischen Kirche gibt es seltene Gottesdienstbesucher“, sagt Pastor Stefan Herb vom Bezirk Teck. „Manche nennen sie ‚Weihnachtschristen‘, ich freue mich über sie. Denn alle sind an der Krippe willkommen.“ Stefan Herb versucht, sich vorzustellen, woher sie kommen, aus welchem Alltag, mit welchen Gefühlen, Gedanken, Befürchtungen und Erwartungen. Auch die ersten Besucher der Krippe seien ja solche Weihnachtschristen gewesen: „Sie waren nie zuvor an der Krippe oder in einem Weihnachtsgottesdienst.“ Deshalb will er in der Predigt schlicht die Weihnachtsgeschichte auslegen. Bei der Musik setzt Pastor Herb auf eine Mischung aus traditionellen Liedern und moderner Musik.

Günter Öhrlich, Pastor der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde (EFG), erwartet an Heiligabend über 700 Gäste im Steingauzentrum. Sie verteilen sich auf den Familiengottesdienst mit dem Weihnachtsmusical „Vater Martin“ um 15.30 Uhr und die Feier mehr für die Erwachsenen um 17.30 Uhr. Um die 20 Prozent der Leute seien fremd, schätzt der Pastor. Teils handelt es sich um Verwandte, die zu Besuch sind. „Das Herausforderndste ist, die alte Botschaft in unser heutiges Leben zu transferieren. Ich vertraue darauf, dass Gott durch die Lieder und die Botschaft das Herz berühren kann.“

Beim Predigttext ist Pastor Öhrlich frei. „Höchstwahrscheinlich werde ich über Bethlehem und seine Symbolik sprechen.“ Die Liedauswahl verschiebe sich an Weihnachten etwas. „An diesem Tagen ist uns auch das Traditionelle wichtig. Dazu gehört unbedingt ‚O du fröhliche‘ als Schlusslied.“