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Der Täter ist selten ein Unbekannter

Auf der Straße müssen Frauen keine Angst haben – Sexualstraftaten sind meist Beziehungsdelikte

Experten zufolge ist die Gefahr für Frauen, Opfer von Gewalt- oder Sexualstraftaten zu werden, in den eigenen vier Wänden größer als im öffentlichen Raum. Ein Trend, der sich auch in Kirchheim widerspiegelt.

Parkhäuser sind nachts der Schrecken vieler Frauen. Tatsächlich passieren dort die wenigsten Gewalttaten. Foto: Jean-Luc Jacques
Parkhäuser sind nachts der Schrecken vieler Frauen. Tatsächlich passieren dort die wenigsten Gewalttaten. Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. In der Polizeilichen Kriminalstatistik für das Land Baden-Württemberg bewegt sich die Zahl der Straftaten, bei denen Frauen Opfer von Gewalttaten werden, seit Jahren auf einem nahezu konstanten Niveau. In Kirchheim registrierte die Polizei 2014 121 Frauen, denen Gewalt angetan wurde. Laut Revierleiter Thomas Pitzinger fand die deutliche Minderzahl der Fälle im öffentlichen Raum statt. „Gewalt gegen Frauen wird überwiegend durch Partner oder Ex-Partner und im häuslichen Bereich verübt“, berichtet Pitzinger.

Im öffentlichen Raum sind Frauen laut Martina Kaplan als Opfer von Gewaltdelikten unterrepräsentiert. „80  Prozent der Sexualstraftaten sind statistischen Erkenntnissen zufolge Beziehungsdelikte. Das heißt, Täter und Opfer kennen sich“, so die Leiterin des Referats Prävention des Polizeipräsidiums Reutlingen. „Beim Gros der Delikte, die im öffentlichen Raum stattfinden, kommt es nicht zu gefährlichen oder schweren Ausei­nandersetzungen.“ Thomas Pitzinger bestätigt diese Erkenntnisse für Kirchheim: „17 Prozent der Frauen wurden Opfer von Sexualdelikten, zumeist von exhibitionistischen Handlungen. Die übrigen Anzeigen bezogen sich überwiegend auf einfache Körperverletzungen, wie beispielsweise ein Schlag ins Gesicht.“

Eine Vergewaltigung ist in der Teckstadt seit Jahren die absolute Ausnahme, wie Kurt Höhlich vom Ermittlungsdienst des Kirchheimer Reviers betont. Fälle sexueller Beleidigung, zu denen unter anderem unsittliche Berührungen zählen, wurden in den letzten Jahren in der Fachwerkstadt vergleichsweise selten zur Anzeige gebracht. Was aber nicht bedeute, dass es solche Vorkommnisse nicht gäbe. „Aus diversen Gründen ist in diesem Bereich ein gewisses Dunkelfeld vorhanden“, so Höhlich. Zudem stimmt das subjektive Sicherheitsempfinden der Bürger laut Martina Kaplan nicht zuletzt aufgrund von Berichten in Medien und sozialen Netzwerken häufig nicht mit der objektiven Sicherheitslage überein.

Frauen hätten oft Angst, alleine ins Parkhaus zu gehen, dabei seien sie gerade dort laut polizeilicher Kriminalstatistik am wenigsten von Gewalt oder Sexualstraftaten betroffen, nichtsdestotrotz würden sie sich dort unwohl fühlen. Zwischenfälle ereignen sich Kurt Höhlich zufolge in der Teckstadt zumeist nachts im Umfeld von Diskotheken. Allerdings seien hier in der Regel nicht Frauen betroffen, die zum Opfer werden, sondern Männer, die sich um eine Frau streiten oder wegen Nichtigkeiten im alkoholisierten Zustand in die Haare bekommen würden. „Insgesamt betrachtet liefert die Analyse der Kirchheimer Fallzahlen keinen Grund dafür, dass man in der Stadt Angst haben muss“, resümiert Hauptkommissar und stellvertretender Leiter des Kirchheimer Reviers, Daniel Straub.

Trotzdem kann es passieren, dass Frauen in schwierige Situationen geraten. „Wichtig ist, dass Gefahren erkannt und vermieden werden“, erklärt Kaplan. „Sprich: Wer sich auf dem Weg von der Disco nach Hause unsicher fühlt, sollte sich mit Freunden auf den Weg machen oder ein Taxi nehmen.“ Die Beamtin rät auch davon ab, zu gerade erst geknüpften Bekanntschaften ins Auto zu steigen oder mit in deren Wohnung zu gehen.

Kommt es auf der Straße zu Auseinandersetzungen mit Fremden, sei es wichtig, beim „Sie“ zu bleiben. „Dadurch ist für Passanten deutlich zu erkennen, dass es sich nicht um einen Beziehungskonflikt handelt, in den sich Außenstehende ungern einmischen“, weiß die Kriminalrätin. „Das ‚Sie‘ hilft bei Dritten, die Hemmschwelle zum Eingreifen deutlich abzusenken.“ Reagiere niemand, sei es ratsam, Unbeteiligte, die vorbeikommen, direkt anzusprechen und um Hilfe zu bitten. „Hallo, Sie in der roten Jacke, rufen Sie bitte die Polizei, ich werde bedroht“, ist laut Martina Kaplan, „ein idealer Satz, um Passanten aus der Anonymität zu heben und zu Verbündeten zu machen.“

Davonzulaufen, laut um Hilfe zu rufen und im Notfall sogar an Haustüren zu klingeln, sei gerade dann eine Lösung, wenn Straßen menschenleer sind. „Frauen haben dabei häufig Angst, unhöflich zu erscheinen. Doch das ist egal, schließlich geht es um Leib und Leben“, betont die Beamtin. Deshalb sei es auch völlig legitim, sich körperlich zur Wehr zu setzen. „Eine Studie ergab, dass leichte Gegenwehr in 64 Prozent und massive Gegenwehr in 84 Prozent der Fälle zum Tatabbruch führt“, sagt Kaplan, die Frauen damit Mut macht, sich im Ernstfall keinesfalls in die Opferrolle zu begeben. Auch wenn Vorfälle glimpflich verlaufen, sollten Betroffene die Polizei informieren. „Denn sachdienliche Hinweise erhöhen die Chancen, Täter zu überführen und weitere Vorfälle zu unterbinden“, so Daniel Straub.