Zwischen Neckar und Alb

Ein gewaltiger Sprung für die Stadt

Architektur Die Pläne zur Umgestaltung des Otto-Quartiers stoßen auf enormes Interesse. Die Stadt Wendlingen setzt große Hoffnungen in das Projekt. Von Peter Dietrich

So soll das Hochhaus auf dem Otto-Areal in Wendlingen aussehen. Mit den gedrehten Kuben soll die Höhevon 64 Metern optisch relativiert werden. Grafik: Wolf Architekten

Das Otto-Quartier am Wendlinger Bahnhof ist kein klassisches Neubaugebiet. Es ist ein ganzer künftiger Stadtteil. 106 000 Quadratmeter Gewerbefläche sind dort geplant, dazu kommen 32 750 Quadratmeter Wohnfläche. Das Projekt ist Teil der Internationalen Bauausstellung 2027 (IBA27), bis zur Ausstellung soll das neue Stadtviertel funktionsfähig sein. Es soll Arbeiten, Wohnen und Freizeit ortsnah verbinden und seinen Energiebedarf selbst produzieren - durch Nutzung von Geothermie, der Wärme des Abwassers und der Wärme des Neckarwassers sowie der Fotovoltaik.

Drei Stunden lang gab es im Treffpunkt Stadtmitte detaillierte Projektinformationen, die etwa 130 Plätze der Veranstaltung waren innerhalb von Stunden ausgebucht. Andreas Hofer, der als Intendant der IBA27 als Letzter auf der Rednerliste stand, zeigte am Ende Einsicht: „Ich glaube nicht, dass Sie das noch wollen“, sagte er und statt eines weiteren Vortrags verwies er auf seine Mitarbeiter, die zum Gespräch bereitstünden. Auf Nachfrage nahm Hofer dann aber doch noch kurz Stellung zum Projekt ­Otto-Quartier: „Hier kommt fast alles zusammen, was uns beschäftigt“, sagte er. Das Projekt stelle die richtigen Fragen zur Entwicklung der Stadt. Er stellte aber klar: „Wir werden die Antworten auf die Fragen noch weiterentwickeln müssen.“ Das brauche Zeit.

Dass die Präsentation des Projekts, so visionär und verlockend sich vieles auch anhören möge, noch nicht der Weisheit allerletzter Schluss ist, machte auch Bürgermeister Steffen Weigel deutlich: „Das ist noch nicht die Beschlusslage des Gemeinderats.“ Das neue Projekt müsse sich insgesamt in die Stadt einfügen. An dieser Stelle gibt es noch Diskussionsbedarf, etwa zur Frage der Busanbindung. Auch der Steg über die Bahnlinie mit einem Aufzug direkt zum Bahnsteig, ist noch nicht perfekt, bisher ist nur einer von drei Bahnsteigen direkt erreichbar, und auf allen präsentierten Skizzen fehlte merkwürdigerweise Gleis 3.

Freischwebender Pool

Doch an anderen Stellen wurde bereits enorme Planungsarbeit geleis­tet. Auf dem 9,7 Hektar großen Gelände gibt es bemerkenswerte, teils denkmalgeschützte Bausubstanz, die hervorragend aufgenommen und restauriert wird. Mehrere öffentliche Plätze greifen die Historie auf: So soll, wo einst in der Stoffverarbeitung Wasser eingesetzt wurde, auch künftig wieder Wasser zu sehen sein. Auch der his­torische Kanal wird aufgewertet. Bei allem gehen die Projektpartner behutsam vor, 95 Prozent der Bäume sollen erhalten bleiben. Die Dimensionen sind enorm: Das Hochhaus direkt an der Bahnlinie, optisch in mehrere begrünte Blöcke gegliedert, wird 64,5 Meter hoch, das geplante Hotel weiter südlich soll 160 Zimmer und 70 Suiten umfassen. Von einem „ganz, ganz wertigen Stadtentwicklungskonzept“ sprach Dirk Otto, in siebter Generation Geschäftsführer der Firma Heinrich Otto & Söhne (HOS). Er sei froh, mit Christoph Gröner und dessen „Gröner Group“ einen Projektpartner gefunden zu haben, dessen Konzept „Hand und Fuß“ habe. Der städtebauliche Entwurf stammt vom Stuttgarter Planungsbüro „blocher partners“.

Manches wirkt futuristisch: Ein freischwebender Pool in großer Höhe könnte vom Filmarchitekten Ken Adam stammen, innerhalb des neuen Stadtviertels soll es autonomes Fahren geben. Der Autoverkehr wird über einen großen Rundkurs geleitet, innerhalb soll das Gelände weitgehend autofrei sein. Es soll einen Carsharing-Pool geben, der exklusiv von den Bewohnern genutzt werden kann. Es gibt nicht nur Einzelhandel, Gastronomie und Kultureinrichtungen, sondern auch eine Kindertagesstätte. Schließlich sind rund 300 Wohneinheiten geplant, der größte Teil als Mietwohnungen. Die Objekte sollen an große Investoren wie Pensionskassen verkauft werden, für den Einzelverkauf auf dem freien Markt sind nur etwa 30 bis 50 Wohnungen vorgesehen. In einem kleinen Anteil soll es günstigen Wohnraum geben. Vom neuen Stadtviertel sollen auch Bürger profitieren, die nicht dort wohnen, etwa von den neuen Terrassen direkt am Neckar.

Wie groß das Gelände ist, zeigte ein dreidimensionales Modell im Maßstab 1:500. Für die Region Stuttgart mag das Projekt ein kleiner Schritt sein, aber es ist ein gewaltiger Sprung für Wendlingen. Und es ist nicht das einzige Projekt: Da inzwischen auch auf dem Unterboihinger Otto-Areal die Produktion ruht, beginnen aktuell auch dort die Planungen zur Neunutzung.