Lokale Kultur

Ein Genuss für Herz und Hirn

Das traditionelle „Concerto“ der Stadtkapelle Kirchheim in der Stadthalle

Bei ihrem traditionellen „Concerto“ stellte die Stadtkapelle Kirchheim ihr Können unter Beweis.Foto: Markus Brändli
Bei ihrem traditionellen „Concerto“ stellte die Stadtkapelle Kirchheim ihr Können unter Beweis.Foto: Markus Brändli

Kirchheim. Das traditionelle „Concerto“ der Stadtkapelle Kirchheim fand heuer im Rahmen der Abonnement-Konzertreihe des vhs-Kulturrings statt. Dem eher auf Kammermusik fokussierten Klassik-Fan dürfte dies spannende Einblicke in das lebendig schillernde Repertoire symphonischer Blasmusik beschert haben – ebenso Hochachtung vor dem hohen, in internationalen Wettbewerben gestählten musikalischen Niveau der heimischen Stadtkapelle.

Zum Auftakt erstrahlte Johannes Brahms Akademische Festouvertüre dank des Arrangements von Mark Hindsley im facettenreichen Bläsergewand, das der vertrauten Originalfassung in nichts nachstand. Als kompositorische Danksagung an die Universität Breslau, die ihm den Ehrendoktor zuerkannt hatte, verarbeitete Brahms darin vier Studentenlieder in gewohnt meisterhafter Manier. Bei aller formalen Strenge ist dabei jedoch das musikalische „Augenzwinkern“ unüberhörbar, verglich doch der Meister selbst das Stück mit einem Suppé-Potpourri. Unter der Stabführung von Marc Lange vollführte die Kirchheimer Stadtkapelle einen wunderbaren Spagat zwischen kontrapunktischem Ernst und heiterer Gelöstheit und wurde somit dem anspruchsvollen Werk vollauf gerecht.

Der Sprung in die Gegenwart gelang mit dem 2012 vollendeten zweiten Klarinettenkonzert von Oscar Navarro, das im Kirchheimer Konzertsaal nun seine deutsche Erstaufführung erlebte. Ein einsätziges, in drei klar konturierte Abschnitte gegliedertes Werk, das die große emotionale Geste gleichermaßen beherrscht wie Momente kontemplativer Versenkung. Flirrendes Kolorit liegt hier in der Luft. Packende Reminiszenzen an andalusische Folklore und die wiederkehrende Sogwirkung großer dynamischer Bandbreiten machten die Darbietung zum Genuss für Herz und Hirn – nicht zuletzt des herausragenden Solisten wegen. Mit müheloser Virtuosität und großer plastischer Gestaltungskraft durchmaß Klarinettist Anton Hollich – preisgekrönter Musikprofessor und in der Klassik gleichermaßen zu Hause wie im Jazz und der Volksmusik – die Extreme dieses berückend weit gespannten Klangkosmos aus der Feder eines gerade einmal 33-jährigen Komponisten.

Der iberischen Halbinsel blieb auch James Barnes temperamentvolle „Danza Sinfonica“ treu. Die vielfältigen Klangregister der Stadtkapelle gingen hier in einer impressionistisch duftigen Farbpalette auf, die einmal mehr die immensen künstlerischen Möglichkeiten einer symphonischen Bläserbesetzung deutlich machte.

Johan de Meijs „Extreme Beethoven“ ist ein außergewöhnliches Werk. Metamorphosen über Themen von Beethoven, die ihren Ambitionen nach über eine bloße Hommage an den Wiener Meister weit hinausweisen. De Meij liefert ein dekonstruktivistisches Porträt Beethovens, einen Blick auf die Wiener Klassik durch den Erfahrungsfilter des 20. Jahrhunderts. Motive aus dem sinfonischen Werk, dem fünften Klavierkonzert und dem Solo-Klavierwerk mutieren zu Pattern der Minimal Music, türmen sich zu Clustern auf und unterwandern sich in subversiver Dialektik. Dies alles gleichermaßen humorvoll wie intelligent.

Spätestens beim vorgeschriebenen Hereinplatzen einer in eigenem Tempo musizierenden „Banda“ in den Konzertsaal – während das musikalische Geschehen auf dem Podium natürlich ungerührt weiterläuft –, erahnt man, welche Anforderungen ein solches Konzept an die Ausführenden stellt. Und wischt solch profane Gedanken an technische Schwierigkeiten gleich wieder weg angesichts der traumwandlerischen Sicherheit, mit der sich die Stadtkapelle durch die Fußangeln der De Meijschen Partitur bewegte und dem Werk zu einer glanzvollen und eindrücklichen Interpretation verhalf.

Eigentlich hätte man schon hier, zum Ende des offiziellen Programms, ein vollauf beglücktes Konzertpublikum guten Gewissens auf den Heimweg entlassen können. Die stürmisch eingeforderte Zugabe erwies sich jedoch als mehr als ein bloßes Sahnehäubchen, entpuppte sich doch die Stadtkapelle mit ihrem opulenten Benny-Goodman-Medley als teuflisch swingende Big Band. Und natürlich war nun nochmals der Mann mit der Klarinette gefragt. Mit sympathischer Lässigkeit, wie sie nur der ganz großen Könnerschaft vorbehalten ist, kredenzte Anton Hollich famose Jazz-Soli, an denen wohl auch Altmeister Goodman selbst seine helle Freude gehabt hätte. Das Publikum dankte mit stehenden Ovationen.fs