Kirchheim

Geschichte in Geschichten verpackt

Pierre Jarawan liest am Freitag in der Bastion aus seinem Debütroman „Am Ende bleiben die Zedern“

Kirchheim. „Am Ende bleiben die Zedern“: Der Kirchheimer und jetzige Wahl-Münchner Pierre Jarawan hat unter diesem Titel seinen ersten

Roman vorgelegt, für den er 2015 das Literaturstipendium der Stadt München erhalten hat. Am Freitag stellt er das Buch in seiner alten Heimat vor, in der Kirchheimer Bastion – auf genau der Bühne, auf der er sich einst seine ersten Meriten beim Poetry Slam erworben hatte.

Die Zedern im Titel geben bereits die Richtung vor: Es geht um den Libanon als Sehnsuchtsort. Das Land ist die Heimat von Pierre Jarawans Vater und auch von Samirs Eltern. Samir wiederum ist der Ich-Erzähler des Romans. Sowohl die Eltern des Roman-Helden als auch die Eltern des Autors sind in den 80er-Jahren vor dem Bürgerkrieg im Libanon geflohen. Damit hat es sich aber bereits mit den erkennbaren Parallelen zwischen Leben und Erstlingswerk des Romanschriftstellers.

Weitere Parallelen dürften sicherlich vorhanden sein, ohne sich allerdings aus den spärlichen Informationen des Klappentexts zu erschließen. Sie müssen sich aber auch gar nicht erschließen, denn zunächst geht es hier um ein Buch von eigenem Wert. Sollte es sich als wertbeständig erweisen, ist es immer noch die Aufgabe späterer Generationen, in ihren Interpretationen herauszuarbeiten, wie sehr der Autor mit seinem Ich-Erzähler verwoben ist – oder auch nicht.

Wer glaubt, im Roman Anspielungen auf Kirchheim erkennen zu können, sieht sich rasch enttäuscht. Das einzige, was als Reminiszenz an Kirchheim auftaucht, ist die Erwähnung einer Familien-Bildungsstätte, an der Samirs Mutter Nähkurse gibt. Obwohl Pierre Jarawan – 1985 im jordanischen Amman geboren – bereits mit drei Jahren nach Kirchheim kam, hält er sich im Roman generell mit Details zurück, was erkennbare Orte in Deutschland betrifft. Seine Geschichte könnte überall in der Bundes­republik spielen. Hier ist sie so wenig an einen Ort gebunden wie ein Märchen. Zeitlos scheint die Geschichte ebenfalls zu sein, obwohl es klare Zeitangaben gibt. Aber die Erwähnung von proppenvollen Turnhallen, in denen Flüchtlinge hausen, scheint aktueller denn je – auch wenn das alles, im Falle Samirs und seiner Familie, schon rund 25 Jahre zurückliegt.

Umso detaillierter sind die Schilderungen von Orten und Geschehnissen im Libanon – vom Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 1975 bis heute. Und das ist mit Sicherheit die große Stärke des Romans: Eingebettet in eine spannende Geschichte, mit ständigen, aber durchaus nachvollziehbaren Sprüngen auf der Zeitebene, werden die Leser direkt mit dem libanesischen Bürgerkrieg konfrontiert.

Ein Stück Zeitgeschichte lässt sich somit nachvollziehen, und das nicht nur abstrakt in einem Sachbuch, sondern mit allen Auswirkungen auf die handelnden Personen – auf Personen, die einem beim Lesen ans Herz wachsen. Da ist Samirs Vater Brahim, der wunderbare Geschichten erzählt, ein altes Dia als Geheimnis hinterlässt und dann spurlos verschwindet. Da ist Brahims alter Freund Hakim, der mit seiner Tochter Yasmin ebenfalls aus dem Libanon geflohen war und der sich zu Samirs Ersatzvater entwickelt – erst recht, nachdem Samirs Mutter allzu früh durch tragische Umstände ums Leben kommt. Und da ist die wundervolle Yasmin, zwei Jahre älter als Samir und weitaus mehr als diese zwei Jahre lebenstüchtiger.

Samir dagegen erlebt den Vaterverlust als das große Trauma seines Lebens. Die Geschichte erzählt sowohl von den Erinnerungen des kleinen Jungen an die glückliche gemeinsame Zeit mit dem Vater als auch von den vielen Jahren schrecklicher und lähmender Ungewissheit. Schließlich reist der erwachsene Samir tatsächlich in den Libanon, um nach seinen Wurzeln zu suchen, vor allem natürlich nach dem Vater. Die Reise soll ihm helfen, sein Leben endlich auf die Reihe zu kriegen und sein Trauma zu überwinden. Nach vielen Verwicklungen samt den dazugehörigen retardierenden Elementen gelingt ihm das aussichtslose Unterfangen sogar.

Er lernt seine Familiengeschichte kennen, die ihm sein Vater bereits viele Jahre zuvor – in Märchengeschichten verpackt – erzählt hatte. Genau diese Verwobenheiten zwischen Brahims Geschichte und Brahims Geschichten gehören zu den künstlerischen, nahezu poetischen Höhepunkten des Romans. Die märchenhaften Geschichten passen natürlich ganz hervorragend in den Orient. Und dazu gehört eine ausgesprochen blumige Sprache mit vielen gewagten Bildern. Ungewöhnliche Bilder scheinen eben auch zum Werk eines Poetry Slammers zu gehören.

Aber so berechtigt es durch das Sujet sein mag und so erfahren Pierre Jarawan mit solchen Bildern ist: Es bleibt Geschmacksache, und für den Geschmack des Rezensenten sind die vielen übertriebenen Vergleiche des Guten bei weitem zu viel. Ob man das Herz nicht nur klopfen spürt, sondern gleich auch noch hören muss, ob den Vater „stets ein Mantel der Zuversicht“ umgibt sowie eine „an-

steckende Heiterkeit, die wie eine Parfumwolke von ihm ausging“ – hier gilt: Weniger wäre manchmal mehr gewesen. Auch bei Streichung von 50 Prozent aller sprachlichen Bilder wäre Pierre Jarawan vom lakonischen Hemingway-Stil noch weit genug entfernt geblieben. – Aber wie dem auch sei: „Am Ende bleiben die Zedern“, und die Zedern stehen für sich, als ein starkes Bild der Sehnsucht.