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Konjunktur für eine LeicheTermine

Mit „Der Besuch der alten Dame“ wagt das Naturtheater Grötzingen einen Richtungswechsel – und das Wagnis lohnt sich

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Aichtal-Grötzingen. Die subversive Macht des Geldes beherrscht das Geschehen im Naturtheater Grötzingen in dieser Spielzeit. Mit dem

Nicole Mohn

modernen Klassiker „Der Besuch der alten Dame“ des Schweizers Friedrich Dürrenmatt wagt die Amateurbühne einen Sprung in das anspruchsvollere Fach – und meistert diesen Sprung mit Bravour, wie die Premiere am Samstagabend bewies.

Seichte Unterhaltung, Degenkämpfe und Abenteuer – in den vergangenen Spielzeiten versuchte das Naturtheater Grötzingen die breite Masse zu bedienen, um genügend Publikum zu binden. Was mal mehr, in der Regel aber weniger gut gelang. Zugpferd der Bühne war stets das Kinderstück. In diesem Jahr aber wagt die Bühne mit dem Dürrenmatt-Stück den Cut – ohne die Unterhaltung dabei auf der Strecke zu lassen.

„Der Besuch der alten Dame“ ist ein zeitkritisches Werk, das es in sich hat. Claire Zachanassian kehrt in ihr Heimatdorf Güllen zurück. Hier kennt man die exzentrische Witwe als Kläre Wäscher. Doch es ist keinesfalls eine Heimkehr aus Verbundenheit: Die vermögende alte Dame sinnt auf Rache. Sie setzt zum Entsetzen der Güllener eine Milliarde Kopfgeld auf ihren ehemaligen Liebhaber Alfred Ill aus.

Der angesehene Kaufmann hat ein dunkles Geheimnis. Mit seinem „Zauberhexchen“ hat er sich einst im Wald vergnügt – mit Folgen. Doch statt dem schwangeren Klärchen zur Seite zu stehen, verleumdet er die Vaterschaft und heiratet stattdessen die reiche Krämerstochter.

Fassungslos erleben die Zuschauer nun mit, wie die Güllener dem Angebot nach und nach verfallen, wie sie sich korrumpieren und verführen lassen. Statt mit der Arbeitslosenhilfe so eben über die Runden zu kommen, träumen sie von neuen Flachbildfernsehern und neuen Autos. Sie ordern teure Zigaretten und Schnaps, bestellen Bio-Milch und belgische Schokolade. Um Alfred Ill zieht sich der Ring immer enger, seine Angst wächst mit jeder kostspieligen Neuanschaffung seiner vermeintlichen Freunde.

Nicht einmal vor der eigenen Familie macht die Macht des Geldes halt: Die Tochter nimmt Tennisstunden, der Sohn braust mit einem neuen Opel auf die Bühne und seine Frau Mathilda hüllt sich in Pelz. Kläre hingegen ehelicht Ehemann Nummer acht, schwelgt derweil scheinbar in Erinnerungen an einst. Sie sucht die Petersche Scheune auf, in der sie und Alfred einst ihre Stelldicheins hatten, und besucht den Konradsweiler Wald. Doch das ist nur Fassade: Nach und nach enthüllt sich, dass sie die Rache von langer Hand geplant hat. Ganz Güllen hat die Witwe aufgekauft und in der Hand, die Fabriken geschlossen und die Arbeiter entlassen. „Konjunktur für eine Leiche“, sagt sie knallhart und ist siegesgewiss, dass ihr Geld ihr die Gerechtigkeit kauft.

Und am Ende kommt es genau so: Die Dorfbewohner schicken Alfred Ill in den Tod. Kaum bleibt ihm Zeit für die letzte Zigarette, sie verbeugen sich vor dem Mammon und richten ihn für seinen Verrat an Kläre Wäscher. Dann wischen sie sich die Hände ab und feiern ihren neuen Reichtum, tanzen auf dem Grabe und Claire zieht mit Gatte Nr. neun und Alfred Ill im Sarg von dannen.

Bildstark hat Regisseurin Helga Kröplin den Dürrenmatt-Klassiker in Szene gesetzt. Sie lässt die Güllener um den Milliardenscheck tanzen wie um das Goldene Kalb. Nach Ills Tod zücken sie weiße Tücher und winken wie zum Abschied. Aber nicht etwa die Tränen wischen sie damit ab: Sie putzen sich ihre Hände ab, putzen die Schuld ab, die sie für das Geld auf sich geladen haben.

Fast schon Karikaturen gleichend, agieren die Charaktere. Ill, der sich vom geschätzten Mitglied der Gesellschaft, ja dem kommenden Bürgermeister, zum Ausgestoßenen und Gejagten wandelt, der vom jovialen Kaufmann zum reuigen Sünder wird, für den es doch keine Gnade gibt. Oder der Lehrer, den der Konflikt zwischen Geldgier und Moral in den Alkohol treibt.

Claires Männer sind nicht mehr als Witzfiguren, die sich von der schrulligen und gefährlichen Verschmähten herumkommandieren lassen. Dazwischen schleicht immer wieder der Panther (elegant: Karin Münzinger) als Sinnbild für das Schicksal, das Ill erwartet. Mit einer ausgeklügelten Ausleuchtung schafft die Regisseurin zusammen mit Beleuchter Dirk Schürmann immer wieder neue Stimmungen in das gelungene Bühnenbild, für das Bettina Vögele und ihr Team verantwortlich zeichnen. Sie nutzt die Weite der Bühne am Galgenberg geschickt – bespielt sie mal in kompletter Breite oder fokussiert den Blick des Publikums auf einen Punkt wie beim letzten Gespräch zwischen Kläre und Alfred.

Auch die Musik setzt Helga Kröp­lin geschickt ein, lenkt damit die Aufmerksamkeit der Zuschauer immer auf das neue Geschehen, kreiert so Tempo und Dynamik.

Das neue Stück besticht zudem durch eine hervorragende Besetzung. Allen voran Johanna Birkle als Claire Zachanassian, die als eiskalte Rachegöttin und als totalitäre Milliardärin eine exzellente Vorstellung gibt. Unter der souveränen Haut der reichen Witwe, die gewohnt ist, dass alles nach ihrer Pfeife tanzt, lässt Birkle das verletzte und zutiefst enttäuschte 17-jährige Mädchen durchblitzen, das von Alfred Ill verraten und verstoßen wird. Und auch Reinhold Oppermann ist an der Rolle des Ill durchaus gewachsen.

Eine persönliche Note erlaubt sich Kröplin zum Schluss. Da sieht man Ills Tochter mit rundem Bauch die Treppe zum Bahnsteig hinaufsteigen. Wieder ein junges Mädchen, das verstoßen von dannen geht. Und zeigt: Die Geschichte Alfred Ills ist kein Einzelfall.

Das Naturtheater Grötzingen hat mit der Inszenierung des Dürrenmatt-Stückes einen Kurswechsel geschafft: Statt auswechselbare Geschichten und Mainstream-Theater bringt das Ensemble des Erwachsenenstückes dank der guten Regiearbeit und Finesse von Regisseurin Helga Kröplin sehenswertes Theater auf die Bühne am Galgenberg, das aus der Beliebigkeit der seichten Unterhaltung wohltuend heraussticht – ohne tiefschürfend oder gar belehrend zu wirken.

Dieser Schritt bedurfte Mut, der vom Publikum nun belohnt werden sollte. Bleibt nur die Hoffnung, dass „Der Besuch der alten Dame“ kein einmaliger Ausflug ins ernstere Fach bleibt, sondern das begeisterte Premierenpublikum Ansporn ist, weiter auf dem neuen Weg zu gehen.

Weitere Termine im Internet unter www.naturtheater-groetzingen.de