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„Seit Jahren wird nur diskutiert“

Vorsorge Der frühere Umweltminister Franz Untersteller rät Nürtingen zu schnellerem Handeln beim Hochwasserschutz. Als Botschafter eines weltweiten Bündnisses bleibt er für den Klimaschutz aktiv. Von Uwe Gottwald

Franz Untersteller lebt mit seiner Familie in Nürtingen und ist für den weltweiten Klimaschutz aktiv.
Franz Untersteller lebt mit seiner Familie in Nürtingen und ist für den weltweiten Klimaschutz aktiv.

Zehn Jahre lang vertrat Franz Untersteller die Grünen als Umweltminis- ter in der baden-württembergischen Landesregierung. Bereits vor gut eineinhalb Jahren hatte er seinen Rückzug aus der Landespolitik angekündigt, die 37 Jahre lang in unterschiedlichen Funktionen sein politisches und berufliches Betätigungsfeld war. Jetzt möchte sich der ausgewiesene Energieexperte nochmals in anderer Form für den Klimaschutz starkmachen. Untersteller, der seit dem Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in seiner Wahlheimat Nürtingen lebt, schreibt der Stadt ins Stammbuch, mehr in Sachen Hochwasserschutz tun zu müssen.

„Unwetter gab es bei uns schon immer, vor allem in dieser Jahreszeit“, sagt Untersteller. „Die Wahrscheinlichkeit sehr heftiger Unwetter ist aber eine Folge des Klimawandels“, so seine Überzeugung. Wärmere Luft speichere mehr Wasser, das innerhalb kurzer Zeit mächtige Niederschläge und schnell steigende Pegel zur Folge haben könne. Die Landesregierung trage mit ihren Programmen zur Kohlendioxid-Reduzierung zum Klimaschutz bei. „Aber wir können das Rad nicht zurückdrehen, wir müssen auch Anstrengungen unternehmen, uns an die bereits spürbaren Folgen anzupassen“, betont Untersteller. Ein Weg sei das sogenannte Starkregenrisikomanagement, zu dem gehört, für verschiedene Gebiete die Wahrscheinlichkeit von Starkregenereignissen abzuschätzen. Die Untersuchungen dazu seien vom Land gefördert, allerdings hätten das bislang noch zu wenige Städte und Gemeinden angenommen.

Die Stadt Nürtingen allerdings hat sich vor einigen Monaten dazu auf den Weg gemacht. Ein weniger gutes Zeugnis stellt Untersteller der Neckarstadt dagegen aus, wenn es um die Umsetzung des technischen Hochwasserschutzes geht. „Da wird seit Jahren diskutiert, doch nichts geschieht“, kritisiert er scharf. Dabei seien die Mittel des Landes, das 70 Prozent der Maßnahmen finanziert, vorhanden. Untersteller räumt aber auch ein, dass dies flächendeckend verlässlich erst seit 2016 der Fall ist, auch wenn für Maßnahmen entlang des Rheins schon viel investiert wurde. Dort wird bis zum Abschluss aller Maßnahmen im Jahr 2028 mit Kosten von rund 1,5 Milliarden Euro gerechnet.

Mit dem von ihm als Umweltminister initiierten Gesetz zum Wasserentnahmeentgelt stünden nun jedoch landesweit jährlich 82,5 Millionen Euro für Schutzmaßnahmen zur Verfügung. In der Regel geht es um technischen Hochwasserschutz, also Dämme zu bauen oder zu erhöhen. Für Nürtingen wird derzeit mit Gesamtkosten von 32,5 Millionen Euro alleine am Neckar gerechnet, wovon die Stadt gut zehn Millionen Euro tragen müsste. Untersteller rechnet allerdings damit, dass diese Summe am Ende wohl nicht ausreichen wird. Darüber hinaus führt er das Tiefenbachtal an. Ohne Schutzmaßnahmen dort sei die Kirchheimer Vorstadt gefährdet und eine Bebauung der östlichen Bahnstadt problematisch bis fraglich.

Dass Klimaschutz vor allem aber auch eine globale Frage ist, zeigt Untersteller mit seiner neuen Rolle als Botschafter des weltweiten Klimaschutzbündnisses „Under2 Coalition“. Die Namensgebung bezieht sich auf das Ziel einer Begrenzung der Erderwärmung unter zwei Grad Celsius. Baden-Württemberg baute mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Umweltminister Untersteller gute Beziehungen zum US-Bundesstaat Kalifornien auf. Dessen Gouverneur war bis 2019 Jerry Brown, mit dem Kretschmann eine enge Kooperation in Sachen Klimaschutz vereinbarte. Ein von Untersteller vorgeschlagenes Bündnis von Regionen hat mittlerweile 230 Mitglieder mit über einer Milliarde Einwohner, die 41 Prozent der Weltwirtschaftsleistung erbringen. Gemeinsam mit dem heute 83-jährigen Brown wurde der 64-jährige Nürtinger als Botschafter zu den führenden Repräsentanten der mittlerweile nichtstaatlichen Organisation berufen. Bei Tagungen und Projekten sollen sie ihre Erfahrungen einbringen. „Ich freue mich auf diese Aufgabe“, betont Untersteller.