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„Die Athleten muss man unterstützen“

Straßenumfrage zu den Winterspielen in Sotschi: Passanten kritisieren Putins Russland

Noch bis Sonntag kämpfen die Athleten bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi um Medaillen. Doch das Sportspektakel am Schwarzen Meer ist nicht unumstritten. Der Teckbote hat Stimmen eingefangen.

Umfrage Sotschi

Anne Scholpp

Kirchheim. Eingriffe in die Natur, gigantische Kosten für die Sportstätten, Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Vetternwirtschaft: Die Olympischen Winterspiele waren selten so umstritten wie jetzt im russischen Sotschi. Viele Politiker reisen nicht in den subtropischen Badeort am Schwarzen Meer, auch Bundespräsident Joachim Gauck nicht. Verfolgen die Menschen aus der Region rund um die Teck die Spiele? Was sagen Sie zu den Kritikpunkten? Der Teckbote hat sich in Kirchheims Innenstadt umgehört.

„Ich schaue die Spiele an, so weit ich die Zeit dazu habe“, erzählt Anne Scholpp aus Stuttgart. Vor

Umfrage Sotschi

Hartmut Kieninger

allem die Snowboarder haben es der 53-Jährigen angetan. Allerdings stört sie sich an den gewaltigen Umweltzerstörungen im Zusammenhang mit den Spielen in Sotschi und an „dem Kommerz und der Protzerei“. Präsident Wladimir Putin bezeichnet sie als Größenwahnsinnigen, der über das Ziel hinausgeschossen sei. Dass Gauck beschlossen hat, nicht nach Sotschi zu fliegen, findet die 53-Jährige gut. Sie betont aber, dass es dennoch auch um den Sport an sich gehen sollte. „Die Athleten trainieren jahrelang und bringen gigantische Leistungen. Sie zu ignorieren, wäre traurig.“

Auch Hartmut Kieninger aus Kirchheim hat seine Probleme mit Putins Russland. „Es ist eine Diktatur der Oligarchen und Parteimitglieder.“ Es würden Minderheiten, wie homosexuelle Menschen,

Umfrage Sotschi

Marianne Dörr

diskriminiert. Und Putin präsentiere sich in PR-Kampagnen als lupenreiner Demokrat, was sehr fragwürdig sei. Generell findet der 60-Jährige die Olympischen Winterspiele interessant, aber: „was Putin mit Russland macht, gefällt mir gar nicht“. Der russische Präsident verkörpere das Unrechtssystem im Osten; und die Sportler, die am wenigsten dafür könnten, würden instrumentalisiert. Dabei sei die Grundidee der Olympischen Spiele eigentlich eine andere: die Völkerverständigung. Hartmut Kieninger zieht Parallelen zwischen den aktuellen Spielen und den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin: „Ein bisschen Drittes Reich ist auch in Sotschi.“

Begeistert von den Leistungen der Athleten ist Marianne Dörr aus Kirchheim. Sie fasziniert vor allem Eiskunstlauf sowie Skiabfahrt und -freestyle. „Ich schaue die Spiele jeden Tag an“, erzählt

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Klaus Kramer

die 65-Jährige, die selbst Ski fährt. Dass man Sotschi als Austragungsort ausgewählt hat, findet Marianne Dörr jedoch bedenklich. „Die politischen Verhältnisse in Russland sind unerträglich. Das ist keine Demokratie.“ Besonders sauer stößt ihr die Umweltzerstörung auf, aber auch die Tatsache, dass viele Menschen wegen den Spielen ihre Wohnung verloren haben. Genauso unsäglich sei der Staat Katar, wo im Jahr 2022 die Fußball-Weltmeisterschaft stattfindet, ergänzt Marianne Dörr. Dennoch hält sie nichts davon, die Sportveranstaltungen zu boykottieren. „Die Athleten muss man unterstützen“, betont sie.

Völlig vorbei gehen die Olympischen Winterspiele an Klaus Kramer aus Stuttgart. „Sie interessieren mich einfach nicht“, winkt der 60-Jährige ab. Ihn stört, dass für die Sportstätten, die nach den

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Regina Mezger

Spielen nicht mehr benötigt werden, Milliarden ausgegeben wurden. „Dieses Geld hätte man für Wichtigeres und Dringenderes ausgeben können.“ Zum Glück hätten sich die Bayern gegen die Olympischen Spiele ausgesprochen, erinnert Klaus Kramer an den Bürgerentscheid im vergangenen Jahr. Sonst wäre dort im Hinblick auf Umweltzerstörungen dasselbe passiert wie jetzt in Sotschi, ergänzt der Stuttgarter.

Auch Regina Mezger aus Degerloch interessiert sich nicht für die Spiele in Russland. Das liegt zum einen daran, dass sie es generell nicht attraktiv findet, sich Wintersport im Fernsehen anzuschauen. Zum anderen hängt es aber auch mit der politischen Lage in Russland zusammen. „Ich sehe das kritisch. Es wurde sehr viel Geld rausgeballert, das der armen Bevölkerung besser zugute gekommen wäre“, sagt die 40-Jährige.

Bundespräsident Gauck hält sie im Hinblick auf seine Entscheidung, nicht nach Sotschi zu reisen, für feige. „Er sagte, er habe keine Zeit. Da versteckt er sich auch ein bisschen“, kritisiert die 40-Jährige. Sie hätte es begrüßt, wenn Gauck ein klares Statement abgegeben hätte oder wenn er in Russland die Chance genutzt hätte, um die Probleme anzusprechen. Regina Mezger verweist darauf, dass der Gesundheitsminister von Norwegen mit seinem Ehemann die Olympischen Winterspiele am Schwarzen Meer besucht. „Das ist ein großes Zeichen.“

Fotos: Jean-Luc Jacques