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„Die Reiselust lässt mich nicht los“

Seit 60 Jahren steht der schwäbische Kosmopolit Reinhold Richter für Reisevorträge auf dem Podest

Reinhold Richter, Aichelbergstraße 366 in Kirchheim (Zufahrt am besten über Altvaterweg):Richter (85 Jahre) hat die halbe Welt b

Reinhold Richter.   Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Wenn Reinhold Richter über seine Reisen spricht, dann

spürt man die Leidenschaft, die dahintersteckt. Seit sechs Jahrzehnten erfreut er Zuhörer im gesamten Südwesten mit seinen Präsentationen. An Volkshochschulen, im Alpenverein, dem Schwäbischen Albverein und in zahlreichen Hörsälen und Seniorenheimen hat er schon für Fernweh und Staunen gesorgt.

„Ich bin nicht einfach nur ein Bildleszeiger“, betont der 85-jährige Kirchheimer. „Das kann ja jeder.“ Wenn Richter einen Vortrag hält, möchte er einerseits das Publikum unterhalten, andererseits aber auch seine Kompetenz beweisen. Als pensionierter Schulleiter und alter Hase im Vortragsgeschäft weiß er, was zu einem guten Reisebericht dazugehört: Nicht nur ansprechende Bilder, die er während seiner Ausflüge auf der ganzen Welt selbst aufgenommen hat, sondern auch die interessante und erlebnisreiche Vermittlung ausgewählter Teile der Reise sowie der Geschichte, der Musik und der Mentalität des jeweiligen Landes sind sein Anspruch.

Der begeisterte Fotograf und Bergsteiger verfügt über einen ungeheuren Wissens- und Erfahrungsschatz, den er nach und nach mit weiteren Reisen, aber auch autodidaktisch mit Fachbüchern, Bild- und Kunstbänden erweitert hat. In seinem Arbeitszimmer hat er eine umfangreiche Bibliothek mit Werken zu allen Themenbereichen, die für seine Vorträge wichtig sind. „Ich brauche kein Internet, ich habe alles griffbereit. Ich halte das Buch für viel wertvoller als alles, was im Internet zusammengetippt verfügbar ist“, sagt Richter.

Seine Liebe zur Fotografie und zum Reisen hat er wohl von seinem Vater geerbt: „Ich wurde von klein auf an das Wandern und Bergsteigen herangeführt, hatte schon mit 13 Jahren meine ersten hochalpinen Touren bewältigt und dem Vater beim Fotografieren zugeschaut“, erklärt Richter. Zum Vortragsredner wurde er während seines Mathematik- und Physikstudiums in den 50er-Jahren an der Universität Stuttgart. „Ich habe Vorträge von anderen Alpinisten gesehen, da war von lauter Kraxelhuberei und hohen Schwierigkeitsgraden die Rede“, erinnert er sich. Die Zuhörer seien oft frustriert aus den Vorträgen gegangen, „weil sie nichts vom Gehörten nachmachen konnten“.

Das wollte er ändern. „Bilder von Bergtouren hatte ich, Alpinvorträge konnte ich also machen“, dachte er sich. „Aber ich wollte es anders gestalten – so, dass die Leute mehr davon haben.“ Richter bereitete sich akribisch vor, sammelte Informationen über den Talbereich und die dortige Flora und Fauna. 1954, mit 25  Jahren, kam es bei einer Mitgliederversammlung des Alpenvereins Geislingen zu seinem ersten Vortrag über die südliche Ortlergruppe und die Königsspitze. „Schon die Pressekritik war mein Sprungbrett“, sagt Richter heute über den „Schlüsselvortrag“, mit dem alles anfing. An einen Satz erinnert er sich besonders: „Mit einmaliger lichtbildnerischer Schönheit und geistiger Spritzigkeit gestaltete Jungmitglied Reinhold Richter den Abend.“ Seine Vortragsweise kam gut an, und so wurde er bald auch interessant für die Volkshochschulen, seinem späteren Hauptvortragsfeld. „Das war etwas völlig anderes – Volkshochschulvorträge sind Lehrvorträge“, schmunzelt Richter. „Aber ich hatte höheres Lehramt studiert und wusste, wie man so was gestaltet.“

Einer der am häufigsten gebuchten Vorträge handelt von den Burgen und Schlössern der Schwäbischen Alb, für die Richter sich ausgiebig mit Burgenkunde befasst hat. „Den hab‘ ich bestimmt mehr als 200 Mal gehalten.“ Seine besondere Vorliebe gilt aber den Bergen. Alleine in den Alpen hat er über 600 Gipfel bestiegen, viele auf schwierigen Routen. Mittlerweile hat der gebürtige Pforzheimer alle Kontinente der Erde mehrmals bereist und auch dort Bergtouren unternommen: in China, in Australien, in den nordamerikanischen Rocky Mountains.

„Mein Archiv umfasst zurzeit etwa 750 000 Dias und 250 verschiedene Vorträge aus aller Welt“, erzählt Richter stolz. Von „Irlands wundervolle Bergwelt“ über „Die Insel Krim und Odessa, Perlen der Ukraine“ bis nach „Tibet – Das Herz Asiens“ haben ihn seine Reisen geführt. „Ich war Anfang der 60er-Jahre einer der Ersten, die mit mehreren Projektoren Panoramen auf die Leinwände warfen und Vorträge mit Musik untermalten“, sagt Richter. Damals gehörte er zu den Pionieren unter den Vortragsrednern, heute sei so etwas nichts Ungewöhnliches mehr. Ihn stört aber, dass manche Redner oft unpassende Musik verwenden. Einmal hörte er bei einem Vortrag über das norwegische Nordkap etwa „Capriccio Italien“ von Tschaikowski, meint er mit einem Kopfschütteln. „Das hab‘ ich in Sizilien drin, wo es besser passt.“

Seine Reisen unternahm er überwiegend als Ausgleich neben seiner anstrengenden beruflichen Tätigkeit. Richter war zunächst Lehrer am Schlossgymnasium in Kirchheim, dann fünf Jahre stellvertretender Schulleiter am Mörike-Gymnasium in Göppingen, zuletzt 20 Jahre Leiter des Gottlieb-Daimler-Gymnasiums in Bad Cannstatt. Sein Hobby konnte er in seinen Beruf einbringen: Als Schulleiter half er etwa dabei, Schulpartnerschaften mit Brasilien, den USA und China zu begründen.

1993 kam der Ruhestand. Nun war mehr Zeit für das Reisefieber, das längst auch seine Frau Heide und die drei Kinder erfasst hatte, die ihn häufig begleiteten. Seine beiden Söhne kamen sogar mit ihm auf den Mont Blanc, 2008 unternahm Richter gemeinsam mit Sohn Bernhard als Fahrer eine 4 000-Kilometer-Tour durch die Wüsten und das Bergland Namibias. Seine großen Leidenschaften – neben dem Reisen und Bergsteigen gehört dazu auch das Schachspiel – haben Richter bis heute körperlich und geistig fit gehalten.

Neben seinem 60. Vortragsjubiläum markiert 2014 leider auch das Jahr, in dem er seine Frau Heide verloren hat. „Sie war wesentlich beteiligt an meinem beruflichen Aufstieg, der Organisation meiner Vortragstätigkeit und der Liebe zum Reisen“, sagt Richter mit Bedauern. Doch ein Ende der Reisen und Vorträge ist auch mit seinen 85 Jahren noch nicht in Sicht. „Die Reiselust lässt mich nicht los“, erklärt Richter. Im Oktober zieht es ihn wieder in die Ferne, es geht in den Iran. Und nächstes Jahr bricht er zu einem der letzten Flecken Erde auf, die ihm noch fehlen: „Die Reise in die Antarktis ist schon gebucht.“