Lokales

Kirchheim macht sich unabhängig

Die Stadt kauft ihr Stromnetz zurück – Langfristig ist der Aufbau eigener Werke geplant

Die Stadt Kirchheim geht in der Energieversorgung neue Wege. Anstatt das Stromnetz, für das die Konzession Ende des Jahres ausläuft, wieder aus der Hand zu geben, kauft die Stadt ihr Netz zurück und verpachtet es. Langfristig ist der Aufbau eines Integrierten Werks, also eines Stadtwerks, geplant.

Strommast im Wohngebiet Baumgarten , Stromleitung

Strommast im Wohngebiet Baumgarten , Stromleitung

Kirchheim. Ende des Jahres laufen rund um die Teck die Konzessionen für die Stromnetze aus. In vielen Gemeinden ist die Entscheidung darüber, wer die Netze künftig betreiben soll, bereits gefallen. Nur in Kirchheim hörte man kein Sterbenswörtchen – bis zum vergangenen Dienstag. „Die Stadt Kirchheim unter Teck beabsichtigt, ein eigenständiges, kommunal dominiertes Unternehmen, die „Energie Kirchheim“ aufzubauen und dauerhaft wirtschaftlich zu betreiben“, stand plötzlich auf der städtischen Internetseite.

Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker hat diesen Kurs gegenüber dem Teckboten bestätigt. Grundlage ist ein Gemeinderatsbeschluss, der vorsieht, dass die Stadt Kirchheim die Konzession für ihr Stromnetz nicht länger vergibt, sondern das Netz zurückkauft. Ein Wirtschaftlichkeitsgutachten hatte ergeben, dass die Leitungen in gutem Zustand sind.

Gemeinsam mit einem Partner-Energieversorger, der nun gesucht wird, will die Stadt eine Gesellschaft gründen, die Netzeigentumsgesellschaft „Energie Kirchheim“. Die Stadt Kirchheim hält daran bis zu 74,9 Prozent, der Partner, an den das Netz zunächst verpachtet wird, 25,1 Prozent, also die Sperrminorität. Alternativen zu diesem sogenannten Pachtmodell, wie zum Beispiel die Beteiligung am NEV-Modell oder die reine Konzessionsvergabe, sind damit vom Tisch.

Der Rückkauf des Netzes soll aber noch nicht das Ende der Fahnenstange sein: „Wir halten uns die Möglichkeit offen, ein Integriertes Werk zu gründen, sobald wir genug technisches Know-how haben“, so Angelika Matt-Heidecker. Ein Integriertes Werk ist im Grunde ein Stadtwerk, darf aber voraussichtlich nicht so heißen, weil es in Kirchheim bereits Stadtwerke gibt. Das Werk würde zu 100 Prozent der Stadt gehören und neben dem Netzeigentum die Bereiche Netzbetrieb, Stromvertrieb und -produktion abdecken. „Auch die Umlandkommunen könnten zu einem späteren Zeitpunkt mit einsteigen“, so die Oberbürgermeisterin.

So weit ist es allerdings noch nicht. Der Verfahrensbrief ist nun veröffentlicht, bis zum 31. August können sich Unternehmen mit ihrer Geschäftsidee bewerben. Im September wird die Stadt Gespräche mit den Bewerbern führen. „Ich hoffe, dass sich der Gemeinderat im November für einen Partner entscheidet“, so Matt-Heidecker. Im Frühjahr nächsten Jahres soll es einen Gründungsbeschluss geben.

Die EnBW Regional AG hat bereits bekannt gegeben, sich bewerben zu wollen. „Als aktueller Netzbetreiber in Kirchheim ist die EnBW Regional AG auch weiterhin an der Konzession interessiert. Aus diesem Grund werden wir uns selbstverständlich erneut um die Konzession bewerben – auch in Form einer gemeinsamen Netzgesellschaft mit der Stadt ist dies für uns vorstellbar“, ließ das Unternehmen auf Anfrage verkünden.

Die Bürgerenergiegenossenschaft Teckwerke, die ihr Modell im Rahmen der Konzessionsausschreibung dem Gemeinderat vorgestellt hatte, fühlt sich hingegen von der Oberbürgermeisterin „blockiert“. Die Teckwerke waren mit dem Vorschlag angetreten, gemeinsam mit der Stadt und einem technischen Partner eine Gesellschaft zu bilden. Kern des Vorschlags ist die Bürgerbeteiligung: Die Bürger sollen über die Genossenschaft zu 25 Prozent am Netz beteiligt werden. Von dieser Möglichkeit ist jedoch im Verfahrensbrief nicht die Rede. „Nach einer ersten Durchsicht der Unterlagen können wir uns gar nicht bewerben, weil die Stadt Kirchheim nur einen technischen Partner sucht“, so Vorstandsmitglied Felix Denzinger. „Wir bringen aber nicht das technische Know-how mit, sondern die Bürgerbeteiligung.“ In den Ausschreibungsunterlagen sei von Bürgerbeteiligung am Netz jedoch keine Rede; lediglich von der potenziellen Bereitschaft des Bewerbers, Bürgersolaranlagen zu betreiben, werde gesprochen.

Das kann Angelika Matt-Heidecker bestätigen. „Bürgerbeteiligung am Netz ist nicht vorgesehen. Das hat der Gemeinderat beschlossen“, sagte sie. Sie spreche sich dagegen aus, dass einige wenige Bürger Anteile am Netz hielten. Stattdessen sollten alle Kirchheimer Bürger profitieren. „Wenn das Netz der Stadt gehört, gehört es automatisch allen“, sagte sie. Bei der Energieerzeugung sei die Beteiligung der Bürger dagegen ausdrücklich erwünscht. Als Stichworte nannte die Oberbürgermeisterin Bürgersolaranlagen und Kraft-Wärme-Kopplung.

Den Vorwurf der Blockade will sich Angelika Matt-Heidecker jedoch nicht gefallen lassen. „Wenn sich die Teckwerke gemeinsam mit einem technischen Partner bewerben, ist das kein Problem. Wir haben extra Bietergemeinschaften ins Verfahren aufgenommen.“ Sprich: Die Teckwerke könnten sich mit der EnBW oder einem anderen Unternehmen gemeinsam bewerben. In diesem Punkt fühlt sich die Bürgerenergiegenossenschaft jedoch aufs Glatteis geführt. „Ist die Bewerbung einmal abgegeben, darf man daran nichts mehr ändern. Wenn sich die Teckwerke mit einem technischen Partner bewerben, den die Stadt nicht haben will, sind wir automatisch draußen“, kritisiert Denzinger. Er findet, dass es Aufgabe der Stadt ist, einen technischen Partner zu suchen, nicht Aufgabe der Teckwerke.

Felix Denzinger und sein Vorstandskollege Ulrich Mach fühlen sich jedoch nicht erst seit dieser Woche von der OBin blockiert. Seit April hätten sie versucht, bei Matt-Heidecker einen Termin zu bekommen, um mit ihr eine mögliche Kooperation zwischen Teckwerken und der EnBW zu erörtern. Vorab hatte es einige informelle Gespräche zwischen der Bürgerenergiegenossenschaft und dem Unternehmen gegeben. Die Rathauschefin habe jedoch nicht auf die Terminanfrage reagiert. Daraufhin hätten Denzinger und Mach die Fraktionen gebeten, ihren Vorschlag in einer Fraktionssitzung erörtern zu dürfen. CDU, Grüne und CIK hätten zugestimmt. „Als die Verwaltung davon Wind bekam, wurden wir von SPD und Freien Wählern wieder ausgeladen“, so Denzinger. Begründung: „Wir würden das Bieterverfahren beeinflussen.“

„Ich habe den Fraktionen tatsächlich gesagt, dass sie durch solche Einladungen das Verfahren gefährden, weil die Möglichkeit besteht, dass man dem Bieter durch eine unabsichtliche Äußerung einen Wissensvorsprung verschafft“, räumte Angelika Matt-Heidecker ein. Sie habe sogar bei den Fraktionen, in denen die Teckwerke ihren Vorschlag präsentiert hatten, nachfragen müssen, was gesprochen worden sei. Hintergrund sei das Kartellrecht. „In so einem Verfahren darf ich keinem Bewerber einen Wissensvorteil verschaffen“, erklärte Angelika Matt-Heidecker. Wenn in dem Verfahren ein noch so kleiner Fehler unterlaufe, könne der unterlegene Bieter auf Schadenersatz klagen, und es müsse von Neuem ausgeschrieben werden. „Das kann ich nicht riskieren“, so die Oberbürgermeisterin. Schließlich bewegten sich die Beratungskosten im laufenden Verfahren schon jetzt im sechstelligen Bereich.

Das Kartellrecht ist laut Matt-Heidecker auch der Grund, warum der gesamte Entscheidungsprozess hinter verschlossenen Türen abgelaufen ist. Die Bewerber mussten sich einzeln in nicht öffentlicher Sitzung vorstellen, um zu verhindern, dass der eine dem anderen in die Karten schauen kann. Öffentliche Bewerbervorstellungen, wie sie aktuell in Stuttgart laufen, seien nur vor dem eigentlichen Verfahren möglich. Felix Denzinger und Ulrich Mach hatten der Oberbürgermeisterin im Gespräch mit dem Teckboten mangelnde Transparenz vorgeworfen. „In Kirchheim wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen“, so Denzinger. Das sieht Angelika Matt-Heidecker anders: „Wir haben eine repräsentative Demokratie“, verwies sie auf die Gemeinderäte, die die verschiedenen Szenarien im vergangenen Jahr geprüft haben.