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Anwesenheit des Bürgermeisters sorgt für Irritation

Recht Der AfD-Kreisverband hat in Notzingen getagt. Sven Haumacher war vor Ort. Dafür gibt es deutliche Kritik.

Bürgermeister Sven Haumacher war bei einer Nominierungsveranstaltung des AfD-Kreisverbands in der Notzinger Gemeindehalle vor Ort. Das sorgt für Kritik. Archivfoto: Katja Eisenhardt

Notzingen. Der AfD-Kreisverband Esslingen hat eine Nominierungsveranstaltung der Kandidaten für die Kreistagswahl in der Notzinger Gemeindehalle abgehalten. Die Veranstaltung war nicht öffentlich. In der vergangenen Sitzung des Gemeinderats kritisierte Hans Prell (UKW), dass diese Veranstaltung gemäß Paragraf 9 und Paragraf 3 Absatz 2 Landesverfassungsschutzgesetz (LSVG) von Bürgermeister Sven Haumacher hätte gemeldet werden müssen, nachdem die AfD in Baden-Württemberg unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehe. Die nicht erfolgte Meldung bezeichnete Prell als „schweren Verstoß gegen unser Gesetz“. Kritisiert wurde zudem, dass Sven Haumacher bei der Veranstaltung vor Ort war und angeblich ein Grußwort gehalten habe.

Seit dieser Woche ist aus der Bürgerschaft ein offener Brief an den Bürgermeister im Umlauf, der Stand gestern von 141 Personen unterstützt wird. Darin wird neben den Details zur Veranstaltung hinterfragt, weshalb Sven Haumacher an dieser teilgenommen und es für nötig gehalten habe „in Ihrer Funktion als Vertreter der Ortspolizeibehörde ‚spontan einleitende Worte‘ zu sprechen“, wie es Haumacher in der Sitzung des Gemeinderats geschildert hatte. Aus der Region Stuttgart hätten 30 Oberbürgermeister/-innen einen Appell gegen Rassismus, für Demo­kratie und gegen Rechtsextremismus unterzeichnet. „Große Netzwerke von Bür­germeister/-innen setzen sich ein mit Appellen für die Werte von Vielfalt, Toleranz und des respektvollen Miteinanders“, heißt es im Brief. Mehr als 10 000 Menschen – auch aus Notzingen – hätten in Kirchheim, Nürtingen und Esslingen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie demonstriert: „Wir vermissen von Ihnen eine Positionierung für Demokratie und gegen Rechtsextremismus.“

Auf die Kritik angesprochen, erklärt Sven Haumacher, zu Veranstaltungen im Ort zu gehen, gehöre zu seinen beruflichen Aufgaben und er habe neutral zu sein. Jeder nicht verbotenen Partei sei es erlaubt, für eine Nominierungsveranstaltung nach Notzingen zu kommen. Eine Halle zu mieten, könne man nicht untersagen. Das bestätigt die Pressesprecherin des Esslinger Landratsamts Andrea Wangner: „Alle Verwaltungen sind dem Neutralitätsgebot verpflichtet und dürfen Hallennutzungen wie im vorliegenden Fall nicht ablehnen.“ Weiter erklärt Haumacher, er habe keine „einleitenden Worte“ gesprochen. Er habe sich als Vertreter der Ortspolizeibehörde im hinteren Teil der Halle aufgehalten und sei dann, ohne dass es vorher besprochen oder vereinbart war, nach vorne gebeten worden, um ein Grußwort zu sprechen. „Vorbereitet hatte ich nichts. Ich habe dann kurz die Gemeinde Notzingen vorgestellt und bin danach gegangen.“

Von der Kommunalaufsicht des Landratsamtes und einem Juristen habe er prüfen lassen, ob im aktuellen Fall eine Meldepflicht an den Verfassungsschutz bestand. „Eindeutige Antwort: Nein.“ Der zur Sachlage befragte Jurist teilte mit, es gelte zu prüfen, ob es Anhaltspunkte dafür gebe, die nicht öffentliche Nominierungsveranstaltung des Kreisverbands der AfD zur Kreistagswahl zu melden. Er verweist hier auf Paragraf 3 Absatz 2 LSVG, worauf auf den vorliegenden Fall bezogen „ein gesetzlich normierter Tatbestand nicht vorliegen dürfte“. Sprich, Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind. Und weiter: Die Nominierungsveranstaltung des Kreisverbands der AfD dürfte noch unter Artikel 21 des Grundgesetzes fallen, wonach es Aufgabe der Parteien sei, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Würt­temberg habe mit Beschluss vom 8. September 2017 die Untersagung einer Wahlkampfveranstaltung der AfD gerügt und die dort betroffene Kommune verpflichtet, die Halle zur Verfügung zu stellen: „Die Rechtsgedanken aus dieser VGH-Entscheidung dürften auch auf den vorliegenden Fall Anwendung finden.“

Das Rechtsamt des Esslinger Landratsamts erläutert ebenso, dass für öffentliche Stellen die Pflicht zur Meldung von Informationen bestehe, „wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Informationen für den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland erforderlich sind“. Ob bei der privaten Anmietung der Notzinger Gemeindehalle für eine Veranstaltung solche tatsächlichen Anhaltspunkte bestanden, könne nicht beurteilt werden. Pressesprecherin Andrea Wangner ergänzt, es handle sich um ein komplexes Thema, das eine ausführliche Recherche erfordere. Die Anfrage beim Landesverfassungsschutz laufe noch. Katja Eisenhardt