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Die Wirklichkeit hinter der Wahrheit

Kinder in Ecuador sind noch immer dringend auf die Arbeit von „Hilfe für Guasmo“ angewiesen

Wenn Regierungen Gesetze oder Verordnungen auf den Weg bringen, geschieht das meist in der Absicht, Dinge nachhaltig zu verbessern. Nicht immer gelingt das. So auch in Ecuador, wo die Reformansätze der Bildungspolitik die wirklich Armen oft gar nicht erreichen.

Die Wirklichkeit hinter der Wahrheit
Die Wirklichkeit hinter der Wahrheit

Kirchheim. Ursula Hauser, Ehrenvorsitzende des Kirchheimer Vereins „Hilfe für Guasmo“, machte sich im Dezember vor Ort ein Bild von der Situation, mit dem Ergebnis: Die harte Realität des Alltags weicht sehr oft vom schönen Schein ab. Die Hilfe aus Deutschland wird trotz aller auf den ersten Blick positiv wahrgenommenen Verbesserungen immer noch mehr als dringend gebraucht.

In der Berichterstattung der Medien des Landes ist zu erfahren, Ecuador sei ein reiches Land, das keine Hilfe von außen benötige. Alle Kinder könnten zur Schule gehen. Das stimmt vordergründig, es gibt eine verbindliche Schulpflicht. Wie aber vor allem die auf dem Land lebenden Kinder zu den teilweise weit entfernten Schulen kommen sollen, bleibt weiterhin Sache der Familien, die das erforderliche Geld für öffentliche Transportmittel oft nicht aufbringen können.

Die Schuluniform ist vorgeschrieben, aber mit einem Preis von 60 bis 120 Dollar für viele Familien unbezahlbar. Die vom Ministerium angeordneten Bücher werden kostenlos abgegeben, aber weitere Unterrichtsmaterialien müssen gekauft werden – doch fehlt häufig auch dafür das Geld. Fort- und Weiterbildung bis hin zum Studium sind generell kostenlos, aber angesichts der Einkommensverhältnisse lässt die Wirklichkeit hinter der Wahrheit den Wunschtraum einer zukunftsfähigen Weiterbildung viel zu oft unbarmherzig platzen.

In den oft weit entfernten Krankenstationen werden Menschen unentgeltlich behandelt, aber Medikamente müssen vom Patienten bezahlt werden. Kinder und Jugendliche, die in Schule und Ausbildung weiterkommen wollen, können das auch künftig kaum allein schaffen. Sie benötigen Unterstützung, die über finanzielle Zuwendungen hinausgehen muss. Um ihre Ziele zu erreichen, werden sie von „Hilfe für Guasmo“ begleitet.

Die Gespräche von Ursula Hauser in Ecuador eröffneten Einsichten, die sich nur schwer mit der positiven öffentlichen Berichterstattung vereinbaren lassen. Menschen werden umgesiedelt in neuere Wohngebiete, etwa im Norden von Guayaquil. In dem neu besiedelten Gebiet fehlt jegliche Infrastruktur; es gibt keine Sozialstation, keine medizinische Versorgung, und der aus Sicht der auswärtigen Besucher berechtigt erscheinenden Frage nach einer Kläranlage wurde eher mit Unverständnis begegnet. Die Arbeitslosigkeit steigt auch hier, und von den politisch Verantwortlichen wird nicht wahrgenommen, dass die Probleme nicht gelöst, sondern nur verlagert werden.

Viele Familien sind groß, die Mütter arbeiten – falls sie überhaupt Arbeit finden. Manchmal, aber nicht immer, kümmern sich dann Großmütter und andere Verwandte um die Kinder. Dem Kirchheimer Verein ist eine Familie bekannt, die fünf Kinder aufgenommen hat und zusätzlich zu den eigenen drei versorgt. In ihrer Behausung, in der es weder einen Tisch noch Stühle gibt, leben derzeit elf Personen, die in drei Betten schlafen.

In solchen Lebenssituationen ist die Ausbreitung von Kriminalität kein Wunder. Zudem ist jetzt der Besitz begrenzter Mengen von – auch harten – Drogen erlaubt. Eine Altersgrenze nach unten ist dabei nicht bekannt. In fast dreißig Jahren konnte der Verein neben erwartungsgemäß schlimmen auch immer wieder außerordentlich erfreuliche Entwicklungen beobachten. Viele der einstigen Stipendiaten haben einen Beruf, und gelegentlich gibt es schöne und beglückende Begegnungen mit ihnen.

Die Erfolge sind und bleiben eine wichtige Motivation, das Engagement fortzuführen. Da die Arbeit von „Hilfe für Guasmo“ in Ecuador im Laufe der Zeit umfassender geworden ist, werden auch weiterhin dringend Menschen in Kirchheim, Nürtingen und Umgebung gesucht, die gerne durch eine ehrenamtliche Tätigkeit einen Beitrag leisten möchten. Der Zeitaufwand ist dabei individuell steuerbar.