Lokale Kultur

Mastochse am Spieß und wilde Kampfstiere

Konzertwochenende der Musikschule: Frühlingskonzert im Lindorfer Bürgerhaus und Kammerkonzert im Bohnauhaus

Musikschule im Doppelpack: Am Wochenende zeigten die jungen Orchestermusiker in zwei Konzerten, welch großes Potenzial in ihnen
Musikschule im Doppelpack: Am Wochenende zeigten die jungen Orchestermusiker in zwei Konzerten, welch großes Potenzial in ihnen steckt.Foto: privat

Kirchheim. Musikschule im Doppelpack am vergangenen Wochenende: Samstags das Frühlingskonzert des symphonischen Orchesters im Lindorfer Bürgerhaus, sonntags

im Bohnauhaus das Kammerkonzert. Generalproben für den Besuch bei der Partnermusikschule von Santa Coloma de Gramenet im Großraum Barcelona. In Lindorf fungierte die evangelische Kirchengemeinde als Veranstalter. Schon zum dritten Mal wird ihr Frühlingskonzert vom Musikschulorchester ausgerichtet.

So erfreulich und zeitgemäß eine solche Kooperation ist, so deutlich wurden auch die Grenzen der Lin­dorfer „Stadthalle“. Den Großteil des Platzes beanspruchte das Orchester, das Auditorium wurde zur „Randerscheinung.“ Doch die launige Begrüßung von Pfarrer Bonnet, zusammen mit der spritzigen Conference von Johannes Stortz, dem Orchesterdirigenten, band Zuhörer und Spieler in eine unwiderstehlich herzliche Atmosphäre ein. Das erleichterte es entschieden, das erste Stück auszuhalten, ein wenig glückliches Orchesterarrangement der berühmten Orgeltoccata d-Moll von Bach. Wie ein Stierkampf hätte es klingen können, als Mastochse am Spieß kam es daher. So wirkte es wenigstens auf den Rezensenten. Immerhin verstand er (als Organist) doch so viel, dass alle vorhandenen Instrumente zum Einsatz kommen sollten. Denn bis zum Schlussstück, den „Danzas Cubanas“ sollte es dauern, bis endlich alle wieder mitspielen durften. Da hatte sich, um im Bild zu bleiben, der Ochsenbraten in eine wilden Horde von Kampfstieren verwandelt. Endlich passte alles zusammen, angefangen von der kessen Trillerpfeife in der Schlagzeugbatterie bis zur entfesselten Perkussionistin Senta Neidlein, die den Titel beim Wort nahm und mit unbändiger rhythmischer Vitalität allen Akteuren ordentlich einheizte. An den Pauken hatte sie zuvor ein professionelles Pianissimo hingezaubert bei dem berühmten „Kol nidrei“ von Max Bruch. Annika Möller spielte das Solo-Cello mit betörendem Schmelz auch unanfechtbarer Intonation. Keine leichte Aufgabe innerhalb der vagabundierenden Intervalle eines groß besetzten Sinfonieorchesters. Am leichtesten machten es ihr noch die Streicherkollegen, denen Johannes Stortz einige bemerkenswert stimmige Klänge entlocken konnte.

Das sollte sich bald ändern, besonders in der Bassgruppe, die beim Bachschen Doppelkonzert für zwei Violinen und Orchester schlichtweg überbesetzt war: sieben Celli und zwei Kontrabässe gegen den Rest der Welt. Obwohl nobelste und hochvirtuose Cellisten dabei waren, man denke nur an die rassige Feinmotorik der Bogenhand von Katharina Sigel, bewirkte der Gruppenzwang einen Zug der Lemminge in das musikalische Verderben, besonders im langsamen Satz. Hier wäre selbst der liebe Gott am Dirigentenpult machtlos gewesen. Vielleicht müsste im Einzelunterricht thematisiert werden, wie eine Bachsche Basslinie so gestaltet werden kann, dass alle übrigen Stimmen nicht gelähmt, sondern inspiriert werden. Ein Konsens darüber, dass es auch in der Barockmusik unbetonte und gekürzte Noten gibt, müsste doch zu erreichen sein.

Dessen ungeachtet fügte sich der eingesprungene zweite Solist Emanuel Pavlic perfekt in das Ensemble ein. Ja, sein nobles fein ziseliertes Spiel hätte auch manchem Tuttisten gut angestanden. Und die erste Sologeige, Laura Mück wäre mit ihren blitzsauberen Tönen noch müheloser durchgekommen. So wie es tags da­rauf im Bohnauhaus geschah, als der reaktionsschnelle Johannes Stortz die Bass-Besetzung in diesem Stück spürbar reduzierte.

Zum Höhepunkt des Abends geriet für viele Mozarts Hornkonzert mit der Solistin Evi Käßbohrer. Von Satz zu Satz wurde sie immer noch besser und riss zum Schluss mit atemberaubendem Tempo das ganze Orchester mit – einschließlich der Fagotte und Klarinetten, munter und proper wie selten. Spätestens bei den zwei Zugaben war deutlich geworden, wie gut Johannes Stortz seine Truppe motivieren kann. Wie begeistert und durchdrungen er selbst von der Musik ist, und wie prima er seinen Laden musikalisch und emotional zusammenhält – seit vielen Jahren schon. Bestätigt wurde diese Einschätzung tags darauf im Bohnauhaus beim Kammerkonzert, wo er zusammen mit Urs Läpple, dem Leiter der Musikschule, als „Orchesterdiener“ fungierte. Beide stellten höchstselbst die Stühle auf, schoben die Notenpulte und noch manch anderes zurecht.

Was schon im Sinfoniekonzert zu ahnen war, welch ungeheures Poten­zial in den jungen Orchestermusikern steckt, offenbarte sich jetzt. Der absolute Knaller: Variationen für Violoncello und Klavier von Bohuslav Martinu. Ein Stück für die Abschlussprüfung an der Musikhochschule. Nun erblühte es unter den Händen von zwei noch nicht einmal volljährigen Künstlerinnen, die damit manch alten Hasen das Fürchten lehrten. Dass Annika Möller eine Ausnahmecellistin ist, wusste man spätestens seit ihrem „Kol nidrei“ im Frühlingskonzert; welch eruptive Energie sie aber freisetzen kann, war erst bei dieser horrend schweren Sonate zu erleben, die von ihr nicht nur souverän gemeistert, sondern in ihrer musikalischen Spannweite auch tief ausgeschöpft und den Zuhörern ans Herz gelegt wurde. Ein seltener Glücksfall ihre Klavierbegleiterin, das Multitalent Julia Lorenz. Noch jünger als die Cellistin, begegnete sie dieser auf Augenhöhe. Im Orchesterkonzert klapperte sie beim Schlagzeug, jetzt agierte sie als äußerst wendige Pianistin und entlockte dem spröden Flügel sogar poetische Pianissimo-Töne.

Das Duo Harfe und Querflöte (Katrin Lachenmeier und Katharina Henß­ler) bezauberte durch die aparte Besetzung und Abwesenheit jeglicher adulter Raffinesse. Wohingegen beim nächsten Stück einmal mehr Senta Neidlein am Schlagzeug mit enormem Tiefgang uns in die Seele trommelte: Nicht, wie am Vorabend, mit anfeuernden Rhythmen, sondern mit verstörendem Verstummen. Vom Orchester haben wir schon gesprochen. Aber das Bachsche Doppelkonzert muss noch einmal erwähnt werden. Diesmal spielte Julia Ziegler die zweite Solovioline; dabei war sie ihrem Vertreter von Samstag in der tonlichen Entfaltung sogar überlegen.

Der Rest gehörte den Ensembles: Streichquartett – Cellophoniker – Teckbrass. Im Quartett, das sich erst seit einem Jahr zusammengefunden hat, glänzten besonders Johann Riepe (Violoncello) und Johannes Rolfs (Viola). Durch nichts zu erschüttern warfen sie sich wie langjährige Profis die Bälle zu. Der Primarius, Johannes Wagler, profitierte in der Führungsrolle von seinen Erfahrungen als Konzertmeister des Orchesters. Bei der Pizzicato-Polka (als Zugabe) tauschte er das erste Pult mit Laura Mück. Wie da alle, besonders die Streicher, ihre Ohren spitzten. Doch nicht das geringste Geklapper; alles zupfte lustvoll zusammen. Große Begeisterung. Die Cellophoniker konnten mit ihren zwei Stücken die Scharte des Bach-Debakels auswetzen. Wie samtig und sauber die Melodieführer, Johannes Riepe und Katharina Sigel, harmonierten. Und Annika Müller wieder Extraklasse als „rhythmischer Turbolader“ inmitten der Unterstimmenriege. Trotzdem kam „Dickie‘s Rag“ von Uwe Reger viel zu behäbig daher; das groovte einfach nicht. Da könnten die Streicher dem „Blech“ noch einiges abgucken.

Denn das fand bei der Schlussnummer den richtigen Drive, obwohl in dieser Großformation sogar einige Novizen mitspielen durften. Zuvor hatte die kleine Besetzung mit barocken Stücken gezeigt, dass auch Blechbläser tänzerisch musizieren und romantisch schwelgen können – wie die beiden Hornisten Evi Käßbohrer und Christoph Lohrmann in Richard Wagners „Pilgerchor aus Tannhäuser“. Und der Trompeter Jannik Burkhardt bewies mit seinen reinen Terzen, dass er besser hört als – das lassen wir lieber offen und erwähnen lieber noch seine virtuosen Kapriolen an der ersten Trompete. Was aber wären alle gewesen, ohne den allgegenwärtigen Tubisten Bernhard Znaimer? Im Bass schlägt halt doch das Herz der Musik.