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Geistliches WortIch werde am Zaun stehen

In der nächsten Woche werde ich bei Konstanz am Grenzzaun stehen. Während der letzten Wochen wurde der Grenzzaun neu errichtet und ausgebaut. Der Grenzzaun trennt und dient der Sicherung der Landesgrenze zwischen Deutschland und der Schweiz. Auf der anderen Seite wird meine Familie stehen. An genau dem Ort, an dem ich schon beim Konstanzer Seenachtfest flanierte. Bisher vermeintlich grenzenlos, auf jeden Fall ohne Grenzzaun!

Wie wird es wohl sein? Aus den Medien weiß ich mittlerweile, dass kein Austausch von Gegenständen stattfinden darf. Es wird geahndet, als Schmuggel, und wird bestraft. Ich merke, wie mich dieser Grenzzaun als Auslandsschweizer plötzlich sehr begrenzt! Es ist nochmals eine andere Begrenztheit als die gerechtfertigten Maßnahmen im öffentlichen Raum. Und ich merke, dass dieses Gefühl von Begrenztheit weit verbreitet ist. Da sind Besuchsverbote im Krankenhaus und Altersheimen, Kinder, die nicht mehr in der Schule lernen dürfen und Arbeitende, welche Kurzarbeit verrichten müssen oder gekündigt wurden. Grenzzäune - so viele!

Ich verspüre bei mir und anderen eine Sehnsucht nach Weite. Mir kommt die Liedstrophe von Eugen Eckert in den Sinn:

Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht bringe ich vor dich. Wandle sie in Weite: Herr, erbarme dich.

Aktuell schützen die engen Grenzen mich und meine Mitmenschen und dienen unserer Sicherheit. Dennoch wünsche ich mir, wie der Autor der Liedstrophe, baldige Weite! Nicht nur an der Landesgrenze! Ich wünsche mir freies Bewegen in den Einkaufsläden, im Park, auf Spielplätzen und Sportanlagen … und in Kirchen. Doch so schnell wird es nicht gehen, es wäre eine zu kurze Sichtweise. Es gilt, die engen Grenzen zu akzeptieren, mit ihnen zu leben, wenigstens vorerst. Auch wenn es Ohnmachtsgefühle bei mir auslöst. Und genau darum geht es in den weiteren Strophen des Liedes:

Meine ganze Ohnmacht, was mich beugt und lähmt, bringe ich vor dich. Wandle sie in Stärke.

Meine tiefe Sehnsucht, nach Geborgenheit bringe ich vor dich. Wandle sie in Heimat. Der Glaube an Gott stärkt mich. Ich merke, dass ich Ruhe finde, ein Heimatgefühl verspüre, obschon mich der Grenzzaun von der Familie trennt. Gleichzeitig kommen mir weitere Grenzzaunsituationen in dieser Welt in den Sinn. Die Flüchtlinge, die an den europäischen Außengrenzen stehen, Hungerleidende, die bereits seit Jahren auf ausreichend Nahrungsmittel hoffen, Betroffene des Klimawandels. Auch dafür möchte ich beten und mich einsetzen - heute und morgen.

Michael Breiter

Mitarbeiter der ev. methodistischen Kirche