Unzugeordnete Artikel
Über Umwege in den Traumjob

Alltag Fünf Jahre Integration mit einigen Hürden: Zwei junge Syrer aus Nürtingen blicken auf ihre bisherige Zeit in Deutschland zurück. Von Matthäus Klemke

Als Sepan und Shokre 2014 aus Syrien nach Deutschland kommen, stehen sie vor dem Nichts. Heute sind die beiden jungen Männer ein gutes Beispiel für gelungene Integration - doch die vergangenen Jahre waren alles andere als einfach.

Fragt man Shokre und Sepan nach ihren ersten Tagen in Deutschland, schütteln beide ungläubig mit dem Kopf. „Es war wirklich schlimm“, sagt der 25-jährige Sepan. Der ein Jahr ältere Shokre nickt zustimmend. „Wir brachen voller Vorfreude nach Deutschland auf. Aber wir wussten ja nicht, was uns hier erwartet“, fährt Sepan fort.

Die Heimat verlassen wollte keiner von beiden. „Mein größter Traum war es, in Syrien eine Familie zu gründen“, sagt Sepan. Bis zum Ausbruch des Krieges führen er und Shokre ein gutes Leben in Syrien. „Als 2011 der Krieg kam, änderte sich alles“, sagt Sepan.

Junge Männer müssen sich entscheiden, ob sie fliehen oder in den Krieg ziehen. Beide beschließen, unabhängig voneinander, ihre Familien zu verlassen und die Flucht nach Deutschland anzutreten. Die Strapazen auf der Tour waren hart: „Wir hatten oft tagelang nichts zu essen, mussten stundenlang durch Wälder laufen. Wir hatten zwei Wochen keine Dusche, kein Bett und keine Verbindung zur Außenwelt.“

Doch in Deutschland ist die Situation anders, als sich die beiden erhofft hatten. Shokre kommt in eine Sammelunterkunft in Karlsruhe, Sepan nach Mannheim. Die Geflüchteten in den Landeserstaufnahmestellen werden auf die Landkreise und Gemeinden aufgeteilt. In den Sammelunterkünften werden Listen ausgehängt. „Dort stand, wer an welchen Ort kommt und wann er abgeholt wird“, sagt Shokre. „Irgendwann habe ich meinen Namen gelesen, und daneben stand Nürtingen. Ich hatte keine Ahnung, wo das ist.“ Auch für Sepan geht es nach Nürtingen, genauer gesagt zur vorläufigen Unterbringung am Lindenplatz in Oberensingen. Dort lernen sich Shokre und Sepan kennen.

In Oberensingen fühlen sich Shokre und Sepan zum ersten Mal willkommen. Auch Helmut Hartmann vom AK Asyl Oberensingen stellt sich den Männern vor: „Ich habe sie mehr oder weniger adoptiert“, sagt der Rentner. Durch das Engagement der Ehrenamtlichen fassen die beiden Syrer neuen Mut: „Aber wir konnten natürlich noch kein Wort Deutsch.“

Die beiden besuchen einen Deutsch-Kurs, lernen in der Freizeit mit Ehrenamtlichen und üben alleine daheim mithilfe von Internet-Videos. Mittlerweile sprechen die beiden sehr gut Deutsch. Schwierig wird es nur, wenn geschwäbelt wird.

Bürokratie ist eine Hürde

Wenn man die beiden fragt, mit was sie in Deutschland am meisten zu kämpfen hatten, müssen sie nicht lange überlegen: die Bürokratie. „Jeden Tag kommt Post von irgendwelchen Behörden“, sagt Sepan. Anträge auszufüllen, sei ohne Hilfe unmöglich: „Manche Dokumente sind 20 Seiten lang. Für uns sind diese Schreiben kaum zu verstehen.“ Ohne die Hilfe von Ehrenamtlichen sei man als Ausländer völlig aufgeschmissen.

Sechs Monate dauert Sepans Asylverfahren, Shokre wartet sieben Monate - dann bekommen sie ihre Aufenthaltserlaubnis. „Wir wollten auf keinen Fall auf das Jobcenter angewiesen sein, also haben wir uns Arbeit gesucht“, sagt Shokre. Irgendwann kommt ihm die Idee, sein Hobby Schwimmen zum Beruf zu machen. „Jetzt mache ich eine Ausbildung zum Fachangestellten für Bäderbetriebe bei den Stadtwerken Nürtingen.“ Seine Zwischenprüfung hat er geschafft, mittlerweile ist er im letzten Lehrjahr. Zusätzlich arbeitet der 26-Jährige an den Wochenenden als Rettungsschwimmer.

Sepan bekommt mithilfe von Helmut Hartmann zunächst eine Stelle im Küchenteam vom Hotel Pflum. Als Sepans Deutschlehrerin seine Kochkünste erkennt, stellt sie ihm Küchenchef Christer Belser von Belsers Restaurant am Marktplatz vor. Der bietet Sepan nach einem Tag Probearbeit direkt einen Arbeitsvertrag an.

Fünf Jahre nach ihrer Flucht haben Shokre und Sepan in Nürtingen ein neues Zuhause gefunden. „Natürlich sehne ich mich nach dem Tag, an dem ich meine Familie wieder in die Arme schließen kann“, sagt Sepan: „Aber das hier ist jetzt mein Leben, und ich möchte in Nürtingen bleiben. Ich habe mir noch so viel vorgenommen.“

Ob sie sich noch fremd in diesem Land fühlen? „Früher hatte ich oft das Gefühl, dass die Leute von oben herab auf mich schauen, nur weil ich nicht von hier bin“, sagt Shokre. Heute sei das nicht mehr so.