Kirchheim. Überbordende Bildräume, von einem im besten Sinne eigenwilligen, beißenden Kolorit geprägt. – Hervorstechende Charakteristika der Malerei von Erwin Holl,
die Laudator Andreas Baur bei der Eröffnung der Ausstellung „Mind the Gap“ in der Städtischen Galerie im Kornhaus hervorhob.
„Es geht in den großformatigen Gemälden um die Erfindung und um die Wahrnehmung von Realitäten – um Durchdringung“, betonte der Leiter der Esslinger Villa Merkel. In der Näherung an pflanzlich Organisches, an Maschinen oder Konstruktionen schaffe Holl ganze Szenerien von hybriden Organismen. Manche träten geradezu als Werkstätten oder frankensteinsche Giftküchen in Erscheinung, durchdrungen und überwuchert von Floralem oder Zellstrukturen. Der Laudator verwies hierfür auf ein Bild aus dem Jahr 2008, das nach der mythologischen, unaufhörlich jagenden Rachegöttin Alekto benannt ist.
„Wer die Gemälde dechiffriert, darf eines nicht erwarten: Eindeutigkeit“, sagte Baur. Abbildliches und Abstraktes seien unmittelbar zueinandergestellt. In der Kunst von Erwin Holl sei mit dem sichtbar werdenden Zusammenhang von Entwerfen, Verwerfen und Bildauflösung auch die Trias von Integrität, Anspruch und Moral verbunden. Diese begründe sich aus der expliziten Auseinandersetzung mit Kunst- und Kulturgeschichte und der Reflexion heutiger Bilder, gleich welcher medialer Herkunft sie seien.
Mehrere Arbeiten des Villa-Massimo-Stipendiaten tragen den Titel „Vorhof“. Im Zentrum eines so betitelten Bildes aus dem Jahr 2010 steht eine isometrische Architekturdarstellung. Nur die Umrisslinien sind gegeben. Andreas Baur sprach hier von „grafischen Abbreviaturen in Gestalt von Farbwülsten“.
Die Fotografie eines US-amerikanischen Großgefängnisses diente dem Maler dazu als Vorlage. Den Bildraum und die thematisierte Architektur schneidende Farbbänder laden zu einer perspektivischen Lesart ein, bringen den Bildraum aber zugleich ins Kippen. Höchst ausdifferenziert sei „das ganze Programm der Malerei“ auf den schmalen Flächen dieser ockerfarbenen Bänder vorhanden, stellte Baur fest. Wie ein zweites Gemälde, das eine Pritsche zeigt, auf denen zum Tode Verurteilte geschnallt werden, um ihnen die tödliche Injektion zu verabreichen, fungiere dieses Bild als „Menetekel“. Der „Vorhof“ erschließe sich so als eine „Zone des Übergangs“.
Neu sind fahlfarbene Bilder, die klar strukturiert quantitativ wenig zeigen. Doch auch in diesen Arbeiten, versicherte Baur, bleibe Erwin Holl seinem künstlerischen Prinzip treu. Er etabliere darin mehrschichtige Bedeutungsebenen, die im malerischen Prozess angelegt seien, wobei der Künstler entsprechend dessen innerer Logik reagiere.
Durch die Präsenz der Werke des in Stuttgart lebenden Malers habe der Galerieraum „eine Form von Öffnung“ erfahren. Ebenfalls beeindruckte Andreas Baur, wie lange es sich in den ebenfalls ausgestellten Zeichnungen suchen lässt, wie ausführlich „das Auge in ihnen streunen darf“, wie sich die Vielschichtigkeit der Gemälde in den Zeichnungsblöcken sogar noch weite.
Die Begegnung mit den Originalen eröffne die ganze Breite ihrer „malerischen Klaviatur“ und erschließe die Reize „materialer Farbverkrustungen“, an denen sich das Bild regelrecht zum physischen Gegenüber ausforme. Qualitäten, die einen direkten Anschluss zu Erwins Holls übermalten Betonobjekten mit dem Titel „Burg“ bieten: „Dichte Weltenmodelle“, in denen sich Baur zufolge „Konstruktion und Biomorphes“ zu durchdringen scheinen.